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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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um die wahrscheinliche Dauer der Fahrt befragt, geben, auch beim günstigsten
Wetter, keine entschiedene Antwort, weil ein schnelles Umsetzen des Windes
nur allzuhäufig ist. Es war ein schöner, sonniger und doch nicht heißer Tag,
als wir den Kanal hinab dem Meer und der Insel entgegenführen. Auf den
Ufern rechts und links, welche, immer weiter auseinandergehend, sich wie
grüne Zungen in die See erstreckten, weideten die schönsten Rinder und Schafe;
junge Pferde galoppirten mit flatternden Mähnen an dem äußersten Rande
des Grodens im tiefen Gras, indem sie uns ein fröhliches guten Tag! guten Tag!
zuwieherten. Allmälig rückten die Landspitzen immer ferner; das Vieh nahm
sich nur noch wie weiße und schwarze Flecken im Grünen aus. Silberweiße
Seeschwalben umschwärmten in zackigen Fluge mit dem schrillen Ruft kriäh!
kriäh! unser Schiff, tauchten spielend die Flügelspitzen und die rothen Füßchen
ins Wasser und haschten, unserer Wellenspur folgend, kleine Fische. Hier und
da sah das naßglänzende Haupt eines Seehunds oder der schwarze Rücken
eines Delphins aus den Wellen hervor. Sieh, jetzt schnellt er sich empor,
und der weiße Bauch glänzt in der Sonne. Arion, du mußt ein guter Rei¬
ter gewesen sein, wenn du auf diesem tollen Springer die Meerflut durch¬
schnitten hast. In großem Zickzack rückten wir -- denn der Schiffer mußte
den Wind von der Seite fassen -- der Insel immer näher, deren Formen sich
allmälig deutlicher entwickelten. Jetzt konnten wir die Hauptspitze des hohen
Kirchthurms von den kleineren Spitzen, welche sie umstehen, unterscheiden.
Man zeigte uns den Wagen des Vogts, der am Ufer hielt, um uns aus dem
Schiffe, das nicht völlig landen konnte, abzuholen. Bis an die Achsen fuhr
er ins Meer hinein und nahm uns auf, indeß Badegäste und Insulaner in
neugierigen Gruppen sich sammelten. So kamen wir zu Wagen, und nicht
zu Schiffe, auf Wanger-Oge an.

Das Meer zwischen dem Festland und unserer Insel ist im Ganzen nur
seicht und zeigt nicht leicht hohe Wellen; erst auf der Nordseite Wanger-Oges
tritt uns Neptun in voller Größe und Majestät entgegen. Zur Ebbezeit
wird jene Strecke großentheils wasserfrei. Auch ist es bekannt, daß Graf
Anton Günther von Oldenburg, der berühmte Pferdezüchter, über das
"Watt" -- so heißt mit einem friesischen Worte das ganze Ufergebiet,
welches nur während der Flut unter Wasser steht -- wiederholt von
Ieverland nach Wanger-Oge geritten ist. Noch zu Anfang unseres Jahr¬
hunderts -- hat man mir erzählt --fingen Wagen nach der Insel; ja, die
Wanger-Oger sollen noch jetzt Wege kennen, um zu Fuß hinüber und her¬
über zu gelangen -- trotz der Einschnitte, welche das Meer seitdem in das
Watt gegraben hat.

Nach Norderney fahren die Badegäste den ganzen Sommer hindurch vom
Festland während der Ebbe im Wagen.


um die wahrscheinliche Dauer der Fahrt befragt, geben, auch beim günstigsten
Wetter, keine entschiedene Antwort, weil ein schnelles Umsetzen des Windes
nur allzuhäufig ist. Es war ein schöner, sonniger und doch nicht heißer Tag,
als wir den Kanal hinab dem Meer und der Insel entgegenführen. Auf den
Ufern rechts und links, welche, immer weiter auseinandergehend, sich wie
grüne Zungen in die See erstreckten, weideten die schönsten Rinder und Schafe;
junge Pferde galoppirten mit flatternden Mähnen an dem äußersten Rande
des Grodens im tiefen Gras, indem sie uns ein fröhliches guten Tag! guten Tag!
zuwieherten. Allmälig rückten die Landspitzen immer ferner; das Vieh nahm
sich nur noch wie weiße und schwarze Flecken im Grünen aus. Silberweiße
Seeschwalben umschwärmten in zackigen Fluge mit dem schrillen Ruft kriäh!
kriäh! unser Schiff, tauchten spielend die Flügelspitzen und die rothen Füßchen
ins Wasser und haschten, unserer Wellenspur folgend, kleine Fische. Hier und
da sah das naßglänzende Haupt eines Seehunds oder der schwarze Rücken
eines Delphins aus den Wellen hervor. Sieh, jetzt schnellt er sich empor,
und der weiße Bauch glänzt in der Sonne. Arion, du mußt ein guter Rei¬
ter gewesen sein, wenn du auf diesem tollen Springer die Meerflut durch¬
schnitten hast. In großem Zickzack rückten wir — denn der Schiffer mußte
den Wind von der Seite fassen — der Insel immer näher, deren Formen sich
allmälig deutlicher entwickelten. Jetzt konnten wir die Hauptspitze des hohen
Kirchthurms von den kleineren Spitzen, welche sie umstehen, unterscheiden.
Man zeigte uns den Wagen des Vogts, der am Ufer hielt, um uns aus dem
Schiffe, das nicht völlig landen konnte, abzuholen. Bis an die Achsen fuhr
er ins Meer hinein und nahm uns auf, indeß Badegäste und Insulaner in
neugierigen Gruppen sich sammelten. So kamen wir zu Wagen, und nicht
zu Schiffe, auf Wanger-Oge an.

Das Meer zwischen dem Festland und unserer Insel ist im Ganzen nur
seicht und zeigt nicht leicht hohe Wellen; erst auf der Nordseite Wanger-Oges
tritt uns Neptun in voller Größe und Majestät entgegen. Zur Ebbezeit
wird jene Strecke großentheils wasserfrei. Auch ist es bekannt, daß Graf
Anton Günther von Oldenburg, der berühmte Pferdezüchter, über das
„Watt" — so heißt mit einem friesischen Worte das ganze Ufergebiet,
welches nur während der Flut unter Wasser steht — wiederholt von
Ieverland nach Wanger-Oge geritten ist. Noch zu Anfang unseres Jahr¬
hunderts — hat man mir erzählt —fingen Wagen nach der Insel; ja, die
Wanger-Oger sollen noch jetzt Wege kennen, um zu Fuß hinüber und her¬
über zu gelangen — trotz der Einschnitte, welche das Meer seitdem in das
Watt gegraben hat.

Nach Norderney fahren die Badegäste den ganzen Sommer hindurch vom
Festland während der Ebbe im Wagen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/32>, abgerufen am 29.06.2024.