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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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steht, so lernen sie früh den Gefahren des Meeres die Stirn bieten. Ihren
von den Vätern angestammten Sitz aufzugeben, weil derselbe leicht eine Beute
des Meeres werden könnte, liegt diesen tapfern Herzen ebenso fern, als ihr
Schiff zu verlassen, weil sie damit scheitern könnten. Nur die Sorge um
Familie und Habe, welche dem Wohnsitz anvertraut bleiben, macht einen Unter¬
schied; aber auch der Verlust von theuern Menschen und Glücksgütern fällt bei
dem Seemann nicht so schwer ins Gewicht. Wie der Soldat, ist er ein Sohn
der blinden Göttin Fortuna, an jähe Glückswechsel jeder Art gewöhnt. Heute
schlägt ihm der Sturm einen Bruder, morgen einen Sohn von dem Deck
seines Schiffes weg; aber fest bleibt er am Steuer und würgt den Schmerz
in die Brust hinab. "Menschen sind sterblich, pflegt er zu sagen, und ob
einer, der nichts mehr spürt, von Würmern oder von Fischen gebissen wird,
lauft aus eins hinaus. Wenigstens ist der nasse Tod ein gesunder Tod, und
wir werden ebenso schnell als billig besorgt."

Wanger-Oge ist abzuleiten von dem altfriesischen Stamm der Wangrier,
deren Gebiet im Westen des Jahdebusens lag und jetzt ein Theil der olden-
burgischen Herrschaft Jever ist. Ich besuchte die Insel im Sommer 1844 mit
meiner Familie und verweilte daselbst sechs Wochen. Da es klares Wetter
war, konnten wir sie schon von dem gegenüberliegenden Festland recht wohl
sehen. Obschon sie keine malerischen Formen hat. nahm sie sich doch mit ihrer
Hochaussteigenden Kirche, mit demi runden Leuchtthurm und den Salinegebäu¬
den, wo Salz aus Seewasser gewonnen wurde, stattlich genug aus. -- Im
hellsten Sonnenschein soll sie einer Schneelandschaft, bei dunklem Wetter einem
Walde gleichen.

Oft erscheint die Insel seltsam in die Luft gehoben -- updragt (aufge¬
tragen) -- wie es im Plattdeutschen heißt; es gehört das zu den Zauberwerken
der Fee Morgana. die bekanntlich in Afrikas Sandebenen besonders thätig
ist. Diese Erscheinung, die mit einem guten deutschen Wort Kimmung heißt,
erklärt sich durch die dickere Luftschicht auf der See und dem flachen Strande,
erzeugt durch das in der Sonne verdampfende Meerwasser. Ich habe sie wie¬
derholt zur Abendzeit im Kleinen auf der Insel beobachtet. Vögel, die auf
dem Wasser schwammen oder auf den Sandbänken saßen, schwammen oder'
saßen, so schien es, wunderbar groß in der Luft. Personen, die in der Ferne
vor mir herschritten, gingen wie auf Stelzen, und nahmen sich mit ihren
Riesenbeinen phantastisch genug aus. Helgoland, das gewöhnlich, auch beim
hellsten Wetter, wegen zu großer Entfernung nicht gesehen wird, steigt, wenn
der Zauberstab der Fata Morgana winkt, bisweilen hinter dem Horizont her¬
vor und wird dann von dem "Auge der Wangrier" gesehen.

Regelmäßige Reisegelegenheiten nach Wanger-Oge gab es damals zwei¬
erlei: entweder mit den Dampfschiffen, die von Bremen aus die drei Bade-


steht, so lernen sie früh den Gefahren des Meeres die Stirn bieten. Ihren
von den Vätern angestammten Sitz aufzugeben, weil derselbe leicht eine Beute
des Meeres werden könnte, liegt diesen tapfern Herzen ebenso fern, als ihr
Schiff zu verlassen, weil sie damit scheitern könnten. Nur die Sorge um
Familie und Habe, welche dem Wohnsitz anvertraut bleiben, macht einen Unter¬
schied; aber auch der Verlust von theuern Menschen und Glücksgütern fällt bei
dem Seemann nicht so schwer ins Gewicht. Wie der Soldat, ist er ein Sohn
der blinden Göttin Fortuna, an jähe Glückswechsel jeder Art gewöhnt. Heute
schlägt ihm der Sturm einen Bruder, morgen einen Sohn von dem Deck
seines Schiffes weg; aber fest bleibt er am Steuer und würgt den Schmerz
in die Brust hinab. „Menschen sind sterblich, pflegt er zu sagen, und ob
einer, der nichts mehr spürt, von Würmern oder von Fischen gebissen wird,
lauft aus eins hinaus. Wenigstens ist der nasse Tod ein gesunder Tod, und
wir werden ebenso schnell als billig besorgt."

Wanger-Oge ist abzuleiten von dem altfriesischen Stamm der Wangrier,
deren Gebiet im Westen des Jahdebusens lag und jetzt ein Theil der olden-
burgischen Herrschaft Jever ist. Ich besuchte die Insel im Sommer 1844 mit
meiner Familie und verweilte daselbst sechs Wochen. Da es klares Wetter
war, konnten wir sie schon von dem gegenüberliegenden Festland recht wohl
sehen. Obschon sie keine malerischen Formen hat. nahm sie sich doch mit ihrer
Hochaussteigenden Kirche, mit demi runden Leuchtthurm und den Salinegebäu¬
den, wo Salz aus Seewasser gewonnen wurde, stattlich genug aus. — Im
hellsten Sonnenschein soll sie einer Schneelandschaft, bei dunklem Wetter einem
Walde gleichen.

Oft erscheint die Insel seltsam in die Luft gehoben — updragt (aufge¬
tragen) — wie es im Plattdeutschen heißt; es gehört das zu den Zauberwerken
der Fee Morgana. die bekanntlich in Afrikas Sandebenen besonders thätig
ist. Diese Erscheinung, die mit einem guten deutschen Wort Kimmung heißt,
erklärt sich durch die dickere Luftschicht auf der See und dem flachen Strande,
erzeugt durch das in der Sonne verdampfende Meerwasser. Ich habe sie wie¬
derholt zur Abendzeit im Kleinen auf der Insel beobachtet. Vögel, die auf
dem Wasser schwammen oder auf den Sandbänken saßen, schwammen oder'
saßen, so schien es, wunderbar groß in der Luft. Personen, die in der Ferne
vor mir herschritten, gingen wie auf Stelzen, und nahmen sich mit ihren
Riesenbeinen phantastisch genug aus. Helgoland, das gewöhnlich, auch beim
hellsten Wetter, wegen zu großer Entfernung nicht gesehen wird, steigt, wenn
der Zauberstab der Fata Morgana winkt, bisweilen hinter dem Horizont her¬
vor und wird dann von dem „Auge der Wangrier" gesehen.

Regelmäßige Reisegelegenheiten nach Wanger-Oge gab es damals zwei¬
erlei: entweder mit den Dampfschiffen, die von Bremen aus die drei Bade-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/30>, abgerufen am 24.08.2024.