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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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deren Erhaltung man aufgegeben hat, weil die ungeheuern Kosten einer hin¬
reichenden Bedeichung in keinem Verhältniß zu dem Gewinn der unfruchtbaren
Eilande ständen. ..Wäre die Anhänglichkeit der Menschen an den Boden, auf
dem sie geboren wurden, nicht so groß; verlöre die Gefahr, die uns täglich
bedroht, nicht einen guten Theil von ihrem Schrecken: diese Nordseeinsulaner
würden sich längst nach dem sichern Festland übergesiedelt haben; aber gleich
den Bewohnern der Bergabhänge des Vesuv und Aetna, trotzen sie leichtsinnig
dem Verderben, und lachen über das Schwert des Damokles. das am dünnen
Haar über ihrem Haupte schwebt. Jene Südländer halten wenigstens Wohn¬
sitze von außerordentlicher Fruchtbarkeit und Schönheit fest, während im Gegen¬
theil diese Friesen mit dem Ocean um Sandinseln ringen, die kaum dürftiger
gedacht werden können. Schritt vor Schritt weichen sie der aus Westen an¬
dringenden Gefahr, und wenn Neptun mit gewaltigem Dreizack ihre dürftigen
Aecker und Wohnungen zerreißt und zerschmettert: richten sie weiter ostwärts
ihre Hütte und, wenn es sein muß, ihr Kirchlein auf und pflanzen ihre Kar¬
toffeln, welche nebst Fischen und andern Seethieren ihre Nahrung bilden.

Auf den kleinern friesischen Inseln im Westen Schleswigs, den sogenann¬
ten Halligen, findet ein ähnlicher Kampf trotzigkühner Menschen mit den
wilden Elementen Statt, welcher um so furchtbarer ist. als diese Eilande, deren
Zahl jetzt etwa noch sechzehn beträgt, nur von wenigen Familien bewohnt
werden, so daß an eine größere, gemeinsame Abwehr gegen das Meer nicht ge¬
dacht werden kann. Der einzige Schutz dieser armen Menschen, welche nichts
als ein paar Schafe besitzen, die sich von hartem Schilfgras nähren, besteht
in aufgeschütteten Erdhügeln von zwanzig Fuß Höhe, Warften genannt.
Daraus erbauen sie, wie dies auch in den Marschgegenden des Festlandes
geschieht, ihre Wohnungen. Jede höhere Flut überdeckt die Eilande bis zu
den Warften; dann sind in dem weiten Ocean nur noch diese Punkte wasser¬
frei -- hier und dort eine Hand voll Erde mit einem Gebäude darauf, in
welchem Menschenherzen schlagen: Greise, Weiber, Kinder, vor deren Schwelle
der unerbittliche Tod lauert, indeß vielleicht der Herr des Hauses auswärts
auf einer Seefahrt begriffen ist. Hat eine gewöhnliche starke Flut die Höhe
von zwanzig Fuß. so kann die Springflut, wenn sie vom Nordwest gepeitscht
wird, doppelt so hoch anlaufen. Von Angst erfüllt flüchten die Bewohner
mit ihren Schafen unter das Dach; aber wie fest auch das Haus eingerammt
sein mag, nicht immer ist es im Stande, den anstürzcnden Wasscrbergen zu
widerstehn. Die Balken werden losgespült und neigen sich; die Wogen, welche
durch die zertrümmerten Laden und Fenster in die Wohnung gebrochen sind,
zerreißen, immer höher steigend, auch das Dach, und Menschen und Vieh
sinken in das weite Grab der Wasserwüste.

Da der männliche Theil der Nordseeinsulaner sast nur aus Schiffern be-


Grenzboten IV. 18S9. 3

deren Erhaltung man aufgegeben hat, weil die ungeheuern Kosten einer hin¬
reichenden Bedeichung in keinem Verhältniß zu dem Gewinn der unfruchtbaren
Eilande ständen. ..Wäre die Anhänglichkeit der Menschen an den Boden, auf
dem sie geboren wurden, nicht so groß; verlöre die Gefahr, die uns täglich
bedroht, nicht einen guten Theil von ihrem Schrecken: diese Nordseeinsulaner
würden sich längst nach dem sichern Festland übergesiedelt haben; aber gleich
den Bewohnern der Bergabhänge des Vesuv und Aetna, trotzen sie leichtsinnig
dem Verderben, und lachen über das Schwert des Damokles. das am dünnen
Haar über ihrem Haupte schwebt. Jene Südländer halten wenigstens Wohn¬
sitze von außerordentlicher Fruchtbarkeit und Schönheit fest, während im Gegen¬
theil diese Friesen mit dem Ocean um Sandinseln ringen, die kaum dürftiger
gedacht werden können. Schritt vor Schritt weichen sie der aus Westen an¬
dringenden Gefahr, und wenn Neptun mit gewaltigem Dreizack ihre dürftigen
Aecker und Wohnungen zerreißt und zerschmettert: richten sie weiter ostwärts
ihre Hütte und, wenn es sein muß, ihr Kirchlein auf und pflanzen ihre Kar¬
toffeln, welche nebst Fischen und andern Seethieren ihre Nahrung bilden.

Auf den kleinern friesischen Inseln im Westen Schleswigs, den sogenann¬
ten Halligen, findet ein ähnlicher Kampf trotzigkühner Menschen mit den
wilden Elementen Statt, welcher um so furchtbarer ist. als diese Eilande, deren
Zahl jetzt etwa noch sechzehn beträgt, nur von wenigen Familien bewohnt
werden, so daß an eine größere, gemeinsame Abwehr gegen das Meer nicht ge¬
dacht werden kann. Der einzige Schutz dieser armen Menschen, welche nichts
als ein paar Schafe besitzen, die sich von hartem Schilfgras nähren, besteht
in aufgeschütteten Erdhügeln von zwanzig Fuß Höhe, Warften genannt.
Daraus erbauen sie, wie dies auch in den Marschgegenden des Festlandes
geschieht, ihre Wohnungen. Jede höhere Flut überdeckt die Eilande bis zu
den Warften; dann sind in dem weiten Ocean nur noch diese Punkte wasser¬
frei — hier und dort eine Hand voll Erde mit einem Gebäude darauf, in
welchem Menschenherzen schlagen: Greise, Weiber, Kinder, vor deren Schwelle
der unerbittliche Tod lauert, indeß vielleicht der Herr des Hauses auswärts
auf einer Seefahrt begriffen ist. Hat eine gewöhnliche starke Flut die Höhe
von zwanzig Fuß. so kann die Springflut, wenn sie vom Nordwest gepeitscht
wird, doppelt so hoch anlaufen. Von Angst erfüllt flüchten die Bewohner
mit ihren Schafen unter das Dach; aber wie fest auch das Haus eingerammt
sein mag, nicht immer ist es im Stande, den anstürzcnden Wasscrbergen zu
widerstehn. Die Balken werden losgespült und neigen sich; die Wogen, welche
durch die zertrümmerten Laden und Fenster in die Wohnung gebrochen sind,
zerreißen, immer höher steigend, auch das Dach, und Menschen und Vieh
sinken in das weite Grab der Wasserwüste.

Da der männliche Theil der Nordseeinsulaner sast nur aus Schiffern be-


Grenzboten IV. 18S9. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/29>, abgerufen am 29.06.2024.