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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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die sich Mühe gibt, leise zu treten, bald w>e Rauschen von Frauengewändcrn;
bald knacken verrätherische Treppenstufen, bald klingt es wie klappende Schrank¬
türen oder wie Schiebladen, die auf- und zugehen, bald wie ein Flüstern
und Räuspern im Flurgang; jetzt stößt es an, wie wenn große schwere Kisten
getragen werden, oder es fällt gar zu Boden, und rollt die Diele entlang,
ganz so wie ein Schachteldeckel. Dabei steht das Himmelbett noch unberührt,
Vater und Mutter sind also auch jetzt noch nicht schlafen gegangen.

"Wenn die Auguste Nademachcr doch Recht hätte! Wenn es doch die Eltern
selbst wären, und nicht der Engel die Bescherung brächte!"

Furchtbarer junger Zweifel im Ausschiebebettstellchen, vermessener kleiner
Fibelfanst, verzehre dich nicht in vergeblichem Grübeln über das Unfaßbare,
von dem wir einmal nichts wissen sollen und nichts wissen können. Wenn
dir der Friede deiner Seele lieb ist, lege dich ruhig wieder hin und schlummere
den Schlummer gläubiger Unschuld wie dein Schwesterchen, dem das große
Geheimniß der Nacht keine andere Unruhe verursacht, als daß es wie ein
Fragezeichen sein Beinchen zwanglos über das Deckbett streckt.

Mitternacht ist vorüber, vom Thurme haben Choralklänge die alte Him¬
mels botscha se verkündet: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!
Der Nachtlampe Docht sängt an zu verkosten, das Oel wird knapp, und das
Wasser ans dem dieses schwimmt, ist ein schlechter Feuerwerker; prasselnd,
^sehend, spritzend fährt das Flämmchen noch einmal auf, grade hell genng, er¬
nennen zu lassen, daß nun aus den Stühlen an dem Himmelbett Kleider liegen;
dann ist Alles finster und still.

"Noch immer nicht Morgen?" "Noch lange nicht. Soll ich dir meine
Hand geben? Willst du ein Schlückchen Wasser? -- So, nun lege dich auf
d>e andere Seite und schlafe weiter." "Auch jetzt noch nicht?" "Nein. Schlafe
^>r ganz ruhig, du wirst schon geweckt werden."

Die Sonne wußte recht gut, weshalb sie gestern Abend so frühzeitig in
d>e entlegenste Südwestecke hinabsank, sie hat einen weiten Weg unten um die
ganze Erde herum, ehe sie wieder aufsteigt im Osten. Der Zeit aber ist es
ganz "echt, sie null wieder einbringen, was in den übergeschlagen letzten
^ager an rennender Hast zu viel geschah, oder will sie gar, im demüthigen
Gefühl ihrer Endlichkeit, ganz und gar vom Posten gehen und der Ewigkeit
^bst die Ehrenwache bei den hochheiligen Mysterien überlassen?"

Dennoch schwingt der Pendel, die Zeiger rücken, der Glockenhammer hebt
wenn die schleichenden Stunden endlich vollbracht sind. Der Hohn wird
drüsig auf seiner Latte, obwol er weder selbst Bescheerung erwartet, noch für
^me Familie heimlich aufgebaut hat. Er krähte schon mehrmals und läßt
nicht länger irre dadurch führen, daß noch Mond und Sterne scheinen,
^ hat die Uhr im Kopfe. Die Hofthüre wird geöffnet, der Widerhall des


die sich Mühe gibt, leise zu treten, bald w>e Rauschen von Frauengewändcrn;
bald knacken verrätherische Treppenstufen, bald klingt es wie klappende Schrank¬
türen oder wie Schiebladen, die auf- und zugehen, bald wie ein Flüstern
und Räuspern im Flurgang; jetzt stößt es an, wie wenn große schwere Kisten
getragen werden, oder es fällt gar zu Boden, und rollt die Diele entlang,
ganz so wie ein Schachteldeckel. Dabei steht das Himmelbett noch unberührt,
Vater und Mutter sind also auch jetzt noch nicht schlafen gegangen.

„Wenn die Auguste Nademachcr doch Recht hätte! Wenn es doch die Eltern
selbst wären, und nicht der Engel die Bescherung brächte!"

Furchtbarer junger Zweifel im Ausschiebebettstellchen, vermessener kleiner
Fibelfanst, verzehre dich nicht in vergeblichem Grübeln über das Unfaßbare,
von dem wir einmal nichts wissen sollen und nichts wissen können. Wenn
dir der Friede deiner Seele lieb ist, lege dich ruhig wieder hin und schlummere
den Schlummer gläubiger Unschuld wie dein Schwesterchen, dem das große
Geheimniß der Nacht keine andere Unruhe verursacht, als daß es wie ein
Fragezeichen sein Beinchen zwanglos über das Deckbett streckt.

Mitternacht ist vorüber, vom Thurme haben Choralklänge die alte Him¬
mels botscha se verkündet: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!
Der Nachtlampe Docht sängt an zu verkosten, das Oel wird knapp, und das
Wasser ans dem dieses schwimmt, ist ein schlechter Feuerwerker; prasselnd,
^sehend, spritzend fährt das Flämmchen noch einmal auf, grade hell genng, er¬
nennen zu lassen, daß nun aus den Stühlen an dem Himmelbett Kleider liegen;
dann ist Alles finster und still.

„Noch immer nicht Morgen?" „Noch lange nicht. Soll ich dir meine
Hand geben? Willst du ein Schlückchen Wasser? — So, nun lege dich auf
d>e andere Seite und schlafe weiter." „Auch jetzt noch nicht?" „Nein. Schlafe
^>r ganz ruhig, du wirst schon geweckt werden."

Die Sonne wußte recht gut, weshalb sie gestern Abend so frühzeitig in
d>e entlegenste Südwestecke hinabsank, sie hat einen weiten Weg unten um die
ganze Erde herum, ehe sie wieder aufsteigt im Osten. Der Zeit aber ist es
ganz »echt, sie null wieder einbringen, was in den übergeschlagen letzten
^ager an rennender Hast zu viel geschah, oder will sie gar, im demüthigen
Gefühl ihrer Endlichkeit, ganz und gar vom Posten gehen und der Ewigkeit
^bst die Ehrenwache bei den hochheiligen Mysterien überlassen?"

Dennoch schwingt der Pendel, die Zeiger rücken, der Glockenhammer hebt
wenn die schleichenden Stunden endlich vollbracht sind. Der Hohn wird
drüsig auf seiner Latte, obwol er weder selbst Bescheerung erwartet, noch für
^me Familie heimlich aufgebaut hat. Er krähte schon mehrmals und läßt
nicht länger irre dadurch führen, daß noch Mond und Sterne scheinen,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/295>, abgerufen am 29.06.2024.