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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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und Schillers nennt. Verfeindet mit der Obrigkeit, unzufrieden mit der Menge,
aus der Heimat verbannt, ohne äußern Schutz gegen die Anmaßungen des
Ausländers: ich bin ein Landsmann Goat.des und Schillers, das ist mein
Adelsbrief! Man sieht, daß die Freudenfeuer diesseit und jenseit des Oceans
kein bloßes Kinderspiel sind.

Was war der wahre Inhalt des Zeitalters, als dessen Repräsentanten
wir Schiller verehren? -- Es war der Begriff der Humanität, der Glaube an
die Wirklichkeit und an die Einheit des Guten und Schonen, die Ueberzeugung,
daß die Erde eine Wahrheit ist, daß die Ideale auf ihr wachsen, wie die
Blumen des Frühlings, daß der Himmel über ihr steht, aber nicht außer ihr;
daß die Menschen, nach Gottes Ebenbild geschaffen, das Recht und die
Fähigkeit haben, das Göttliche aus der eignen Brust zu schöpfen. Dies
war der Glaube, dem unsre Dichter und Denker ein reiches und schönes
Leben weihten, der ihnen Kraft gab, immer neu zu schaffen, der ihr Leben
beseeligte und ihre Werke verklärte. -- Diesen Glauben hat man uns zu
verkümmern gesucht, man hat, um den Himmel zu bereichern, die Erde wieder
arm machen wollen, man hat das Göttliche dem Menschlichen entgegengesetzt,
den unbekannten Gott in ein finstres Dunkel verbannt, und die höchsten, ja
die heiligsten Erregungen des Herzens gebrandmarkt. Gegen diese Anmaßungen
einer lichtscheuen Zunft ist das Schillerfest ein lebendiger Protest des deut¬
schen Volks.

Warum ist Schiller von unsern Dichtern der populärste? Auch seine Feinde,
die Romantiker, haben es sehr gut gewußt und ihn deswegen grimmig gehaßt:
weil er den sittlichen Kern des deutsche Volkslebens zu treffen und mächtig
Zu erregen wußte. Er selbst verstand sich nicht immer, er bemühte sich zu¬
weilen, wetteifernd mit Jenen Kunststücke zu machen in der Weise der Grie¬
chen oder Spanier; aber was von ihm fortlebt in dem Herzen des Volks,
das hat er aus dem Herzen des Volks geschöpft. Andre Nationen, z. B. alle
romanischen, haben ihre Freude am Klang, am bloßen Spiel der Phantasie,
am Witz: der Deutsche wird wahrhaft nur dann erregt, wenn sein Gemüth
ins Spiel kommt, und zwar sein Gemüth in den allgemeinen Beziehungen
wirklichen Lebens. Niemand wird leugnen, daß die individuellen sub-
jectiven Regungen des Gemüths bei Göthe eine viel reichere Nahrung finden
^s bei Schiller, daß sein Lied der Liebe, selbst sein Lied der Freiheit in viel


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und Schillers nennt. Verfeindet mit der Obrigkeit, unzufrieden mit der Menge,
aus der Heimat verbannt, ohne äußern Schutz gegen die Anmaßungen des
Ausländers: ich bin ein Landsmann Goat.des und Schillers, das ist mein
Adelsbrief! Man sieht, daß die Freudenfeuer diesseit und jenseit des Oceans
kein bloßes Kinderspiel sind.

Was war der wahre Inhalt des Zeitalters, als dessen Repräsentanten
wir Schiller verehren? — Es war der Begriff der Humanität, der Glaube an
die Wirklichkeit und an die Einheit des Guten und Schonen, die Ueberzeugung,
daß die Erde eine Wahrheit ist, daß die Ideale auf ihr wachsen, wie die
Blumen des Frühlings, daß der Himmel über ihr steht, aber nicht außer ihr;
daß die Menschen, nach Gottes Ebenbild geschaffen, das Recht und die
Fähigkeit haben, das Göttliche aus der eignen Brust zu schöpfen. Dies
war der Glaube, dem unsre Dichter und Denker ein reiches und schönes
Leben weihten, der ihnen Kraft gab, immer neu zu schaffen, der ihr Leben
beseeligte und ihre Werke verklärte. — Diesen Glauben hat man uns zu
verkümmern gesucht, man hat, um den Himmel zu bereichern, die Erde wieder
arm machen wollen, man hat das Göttliche dem Menschlichen entgegengesetzt,
den unbekannten Gott in ein finstres Dunkel verbannt, und die höchsten, ja
die heiligsten Erregungen des Herzens gebrandmarkt. Gegen diese Anmaßungen
einer lichtscheuen Zunft ist das Schillerfest ein lebendiger Protest des deut¬
schen Volks.

Warum ist Schiller von unsern Dichtern der populärste? Auch seine Feinde,
die Romantiker, haben es sehr gut gewußt und ihn deswegen grimmig gehaßt:
weil er den sittlichen Kern des deutsche Volkslebens zu treffen und mächtig
Zu erregen wußte. Er selbst verstand sich nicht immer, er bemühte sich zu¬
weilen, wetteifernd mit Jenen Kunststücke zu machen in der Weise der Grie¬
chen oder Spanier; aber was von ihm fortlebt in dem Herzen des Volks,
das hat er aus dem Herzen des Volks geschöpft. Andre Nationen, z. B. alle
romanischen, haben ihre Freude am Klang, am bloßen Spiel der Phantasie,
am Witz: der Deutsche wird wahrhaft nur dann erregt, wenn sein Gemüth
ins Spiel kommt, und zwar sein Gemüth in den allgemeinen Beziehungen
wirklichen Lebens. Niemand wird leugnen, daß die individuellen sub-
jectiven Regungen des Gemüths bei Göthe eine viel reichere Nahrung finden
^s bei Schiller, daß sein Lied der Liebe, selbst sein Lied der Freiheit in viel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/255>, abgerufen am 29.06.2024.