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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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kranken Franzosen auf ihren Schultern über die Grenze zu tragen. "Diesem
Aufruf," hieß es, "wird sogleich Folge gegeben. Man übersteigt den Col la
Croix, eine der längsten und schwierigsten Alpenhöhen, die noch von Schnee
bedeckt ist. Nach einem zehnstündiger, beschwerlichen Marsch gelangt man
ins erste französische Dorf, wo die Kranken abgeliefert werden. Sie vergaßen
ihre Leiden, um ihre Retter zu segnen und die Bewohner des jenseitigen Thales
Luzern kehren nach dieser über alles Lob erhabenen That zu ihrem Herde
zurück u. s. w."

Diese edle That wurde aber den Waldcnsern von ihren piemontesischen
Feinden zum Verbrechen gemacht und auch Suwarow erließ an sie eine sehr
drohende Proclamation.

Die Nüssen rückten in Pignerol ein. Appii^ welcher spater in Frankfurt
a. M. als Prediger fungirte, rettete durch sein muthiges Benehmen die Wal-
denser vor den Gefahren einer Plünderung und erhielt von einem comman-
direnden russischen Offizier sogar die Erlaubniß, Patrouillen zum Schutz er¬
richten zu dürfen. Unter den größten Gefahren machte sich Appin abermals
auf den Weg ins russische Hauptquartier, da nur ein untergeordneter Befehls¬
haber ihm, wennauch schriftlich, seine Zusagen ertheilt hatte, und erhielt von
dem Fürsten Bagration die Bestätigung derselben. Es war die höchste Zeit;
denn schon sammelten sich fünf- bis sechshundert Menschen mit Stricken, Säcken
u. s. w. und verlangten Waffen, um die Barbets (der Schimpfname der Wal-
denser) zu plündern und sie zu ermorden. Kroaten trieben sie auf Befehl
Bagrations auseinander. Appin hatte sich ihm mit seinem Kops für die
ruhige, gesetzmäßige Haltung der Bewohner des Thales Luzern verbürgt.

> Ein Waldenser, Namens Maranta, hatte in Frankreich eine Schar
Freiwilliger geworben, mit welcher er die Kosaken angriff, allein zurückgeworfen
wurde. Die Waldenser sollten mit ihnen, sagten ihre Feinde, im Einverständ¬
nis) sein und so wurden ihre Deputaten verhaftet; einige von ihnen hatten die
Flucht ergriffen. Appin rechtfertigte die Seinigen gegen die papistischen An¬
klagen und bewies ihre Lügenhaftigkeit.

Napoleon war aus Aegypten zurückgekehrt und die Schlachten bei Montebello
und Marengo waren geschlagen. Ganz Piemont nebst der Lombardei fiel in die
Hände der Franzosen. Die Siege, an denen die Waldenser keinen Theil hatten,
verschafften ihnen zuerst eine Stellung, wie sie sie vorher nie eingenommen,
noch je geahnt hatten; sie wurden politisch gleichberechtigte Bürger und nie¬
mand hinderte sie mehr an der freien Ausübung ihrer Religion, für welche
sie seit Jahrhunderten gekämpst und geblutet hatten.

Nach Karl Emanuels Abdankung trat nämlich eine provisorische Regie¬
rung in Piemont ein, welche der Kirche alle weltliche Macht nahm und das
Civilgesetz proclamirte. Aller Unterschied der Rechte und Pflichten zwischen


kranken Franzosen auf ihren Schultern über die Grenze zu tragen. „Diesem
Aufruf," hieß es, „wird sogleich Folge gegeben. Man übersteigt den Col la
Croix, eine der längsten und schwierigsten Alpenhöhen, die noch von Schnee
bedeckt ist. Nach einem zehnstündiger, beschwerlichen Marsch gelangt man
ins erste französische Dorf, wo die Kranken abgeliefert werden. Sie vergaßen
ihre Leiden, um ihre Retter zu segnen und die Bewohner des jenseitigen Thales
Luzern kehren nach dieser über alles Lob erhabenen That zu ihrem Herde
zurück u. s. w."

Diese edle That wurde aber den Waldcnsern von ihren piemontesischen
Feinden zum Verbrechen gemacht und auch Suwarow erließ an sie eine sehr
drohende Proclamation.

Die Nüssen rückten in Pignerol ein. Appii^ welcher spater in Frankfurt
a. M. als Prediger fungirte, rettete durch sein muthiges Benehmen die Wal-
denser vor den Gefahren einer Plünderung und erhielt von einem comman-
direnden russischen Offizier sogar die Erlaubniß, Patrouillen zum Schutz er¬
richten zu dürfen. Unter den größten Gefahren machte sich Appin abermals
auf den Weg ins russische Hauptquartier, da nur ein untergeordneter Befehls¬
haber ihm, wennauch schriftlich, seine Zusagen ertheilt hatte, und erhielt von
dem Fürsten Bagration die Bestätigung derselben. Es war die höchste Zeit;
denn schon sammelten sich fünf- bis sechshundert Menschen mit Stricken, Säcken
u. s. w. und verlangten Waffen, um die Barbets (der Schimpfname der Wal-
denser) zu plündern und sie zu ermorden. Kroaten trieben sie auf Befehl
Bagrations auseinander. Appin hatte sich ihm mit seinem Kops für die
ruhige, gesetzmäßige Haltung der Bewohner des Thales Luzern verbürgt.

> Ein Waldenser, Namens Maranta, hatte in Frankreich eine Schar
Freiwilliger geworben, mit welcher er die Kosaken angriff, allein zurückgeworfen
wurde. Die Waldenser sollten mit ihnen, sagten ihre Feinde, im Einverständ¬
nis) sein und so wurden ihre Deputaten verhaftet; einige von ihnen hatten die
Flucht ergriffen. Appin rechtfertigte die Seinigen gegen die papistischen An¬
klagen und bewies ihre Lügenhaftigkeit.

Napoleon war aus Aegypten zurückgekehrt und die Schlachten bei Montebello
und Marengo waren geschlagen. Ganz Piemont nebst der Lombardei fiel in die
Hände der Franzosen. Die Siege, an denen die Waldenser keinen Theil hatten,
verschafften ihnen zuerst eine Stellung, wie sie sie vorher nie eingenommen,
noch je geahnt hatten; sie wurden politisch gleichberechtigte Bürger und nie¬
mand hinderte sie mehr an der freien Ausübung ihrer Religion, für welche
sie seit Jahrhunderten gekämpst und geblutet hatten.

Nach Karl Emanuels Abdankung trat nämlich eine provisorische Regie¬
rung in Piemont ein, welche der Kirche alle weltliche Macht nahm und das
Civilgesetz proclamirte. Aller Unterschied der Rechte und Pflichten zwischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/16>, abgerufen am 02.10.2024.