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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Oge beordert wurden -- gelang es dem Vogte der Insel, vor dem die sämmt¬
lichen Seeteufelinnen erscheinen mußten, den Aufstand zu dämpfen.

Da die mit Seewasser durchnäßten Haare nur schwer trocknen, so sind
die Damen genöthigt. Stunden lang mit aufgelösten Haaren als ebenso viele
Ophelien umherzuwandeln. Sie tragen dann ein Teller- oder Taschentuch
über den Rücken und dazu den sogenannten helgolander Hut. der hinten
ganz offen ist.

Obschon ich im Allgemeinen das Stillliegen und die Körperpflege in den
Bädern hasse, so war mir doch der Aufenthalt auf Wanger-Oge im hohen
Grade angenehm, nicht nur, weil mir die von Gästen aus nah und fern zu¬
sammengesetzte Gesellschaft wohlbehagte, sondern auch, und ganz besonders,
weil der stete Verkehr mit dem Meere beim Baden und auf den Spaziergängen
am Strande einen großen Reiz auf mich ausübte. Die chemische Mischung
des Seewassers, die Vermengung desselben mit allerlei thierischen Stoffen,
seine Bewegung durch Wellenschlag und Flut, dies alles sammt der eigen¬
thümlichen Beschaffenheit der Luft wirkt auf den Körper als wunderkräftige
Würze. Um so mehr ist man erstaunt zu erfahren, daß die Seebäder in
Deutschland erst durch Lichtenbergs Empfehlung, nach dem Vorgange der
Engländer in Gebrauch gekommen sind.

Der belebende Eindruck der Flut ist so groß, daß sogar -- wie mir auf
Wanger-Oge versichert wurde -- Sterbende nicht leicht verscheiden, so lang
die See im Steigen ist. Chemnitz erzählte uns von einem Arzte, der es
gewagt habe, im vierten Paroxismus eines nervösen Tertiarsiebers, beim
Eintritte der trockenen Hitze, sich ins brausende Meer zu stürzen. Der Erfolg
Kar, daß die Krankheit wich, nachdem ihm den ganzen Tag über wie einem
Lustigberauschten zu Muthe gewesen, und er auch von andern dafür gehalten
worden war.

Wir hatten unsere Wohnung in einem Schifferhäuschen aufgeschlagen,
Ko uns zwei einfache, niedrige, aber reinliche Stübchen mit der Aussicht auf
das brandende Meer eingeräumt worden waren. Rings auf dem Simse stand
Geschirr, welches der Hausherr von mancherlei Seefahrten mitgebracht hatte:
Theekannen, Tassen, Teller. Schüsseln, Krüge und Töpfe aus Amsterdam,
London, Kopenhagen, Bergen und Petersburg: die Frau Schifferin wußte die
Geschichte jedes Stücks zu erzählen. Federbetten mit einer Schütte Stroh
darunter, welches, wenn man sich legte, auf allen Seiten hervorquoll; die
Nachbarschaft des nur durch eine Bretterwand getrennten Stalls, wo der Trom¬
mler des Morgens, der Hahn, und ein paar Schafe sich sehr vernehmbar
Machten, hinderten uns nicht, vortrefflich zu schlafen. Mancher hätte vielleicht
Einsiedelei, in die wir uns eingesponnen hatten, unbequem oder langweilig
gesunden; uns sagte die völlige Zwanglosigkeit, die ja einen Hauptreiz des


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Oge beordert wurden — gelang es dem Vogte der Insel, vor dem die sämmt¬
lichen Seeteufelinnen erscheinen mußten, den Aufstand zu dämpfen.

Da die mit Seewasser durchnäßten Haare nur schwer trocknen, so sind
die Damen genöthigt. Stunden lang mit aufgelösten Haaren als ebenso viele
Ophelien umherzuwandeln. Sie tragen dann ein Teller- oder Taschentuch
über den Rücken und dazu den sogenannten helgolander Hut. der hinten
ganz offen ist.

Obschon ich im Allgemeinen das Stillliegen und die Körperpflege in den
Bädern hasse, so war mir doch der Aufenthalt auf Wanger-Oge im hohen
Grade angenehm, nicht nur, weil mir die von Gästen aus nah und fern zu¬
sammengesetzte Gesellschaft wohlbehagte, sondern auch, und ganz besonders,
weil der stete Verkehr mit dem Meere beim Baden und auf den Spaziergängen
am Strande einen großen Reiz auf mich ausübte. Die chemische Mischung
des Seewassers, die Vermengung desselben mit allerlei thierischen Stoffen,
seine Bewegung durch Wellenschlag und Flut, dies alles sammt der eigen¬
thümlichen Beschaffenheit der Luft wirkt auf den Körper als wunderkräftige
Würze. Um so mehr ist man erstaunt zu erfahren, daß die Seebäder in
Deutschland erst durch Lichtenbergs Empfehlung, nach dem Vorgange der
Engländer in Gebrauch gekommen sind.

Der belebende Eindruck der Flut ist so groß, daß sogar — wie mir auf
Wanger-Oge versichert wurde — Sterbende nicht leicht verscheiden, so lang
die See im Steigen ist. Chemnitz erzählte uns von einem Arzte, der es
gewagt habe, im vierten Paroxismus eines nervösen Tertiarsiebers, beim
Eintritte der trockenen Hitze, sich ins brausende Meer zu stürzen. Der Erfolg
Kar, daß die Krankheit wich, nachdem ihm den ganzen Tag über wie einem
Lustigberauschten zu Muthe gewesen, und er auch von andern dafür gehalten
worden war.

Wir hatten unsere Wohnung in einem Schifferhäuschen aufgeschlagen,
Ko uns zwei einfache, niedrige, aber reinliche Stübchen mit der Aussicht auf
das brandende Meer eingeräumt worden waren. Rings auf dem Simse stand
Geschirr, welches der Hausherr von mancherlei Seefahrten mitgebracht hatte:
Theekannen, Tassen, Teller. Schüsseln, Krüge und Töpfe aus Amsterdam,
London, Kopenhagen, Bergen und Petersburg: die Frau Schifferin wußte die
Geschichte jedes Stücks zu erzählen. Federbetten mit einer Schütte Stroh
darunter, welches, wenn man sich legte, auf allen Seiten hervorquoll; die
Nachbarschaft des nur durch eine Bretterwand getrennten Stalls, wo der Trom¬
mler des Morgens, der Hahn, und ein paar Schafe sich sehr vernehmbar
Machten, hinderten uns nicht, vortrefflich zu schlafen. Mancher hätte vielleicht
Einsiedelei, in die wir uns eingesponnen hatten, unbequem oder langweilig
gesunden; uns sagte die völlige Zwanglosigkeit, die ja einen Hauptreiz des


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[0119] Oge beordert wurden — gelang es dem Vogte der Insel, vor dem die sämmt¬ lichen Seeteufelinnen erscheinen mußten, den Aufstand zu dämpfen. Da die mit Seewasser durchnäßten Haare nur schwer trocknen, so sind die Damen genöthigt. Stunden lang mit aufgelösten Haaren als ebenso viele Ophelien umherzuwandeln. Sie tragen dann ein Teller- oder Taschentuch über den Rücken und dazu den sogenannten helgolander Hut. der hinten ganz offen ist. Obschon ich im Allgemeinen das Stillliegen und die Körperpflege in den Bädern hasse, so war mir doch der Aufenthalt auf Wanger-Oge im hohen Grade angenehm, nicht nur, weil mir die von Gästen aus nah und fern zu¬ sammengesetzte Gesellschaft wohlbehagte, sondern auch, und ganz besonders, weil der stete Verkehr mit dem Meere beim Baden und auf den Spaziergängen am Strande einen großen Reiz auf mich ausübte. Die chemische Mischung des Seewassers, die Vermengung desselben mit allerlei thierischen Stoffen, seine Bewegung durch Wellenschlag und Flut, dies alles sammt der eigen¬ thümlichen Beschaffenheit der Luft wirkt auf den Körper als wunderkräftige Würze. Um so mehr ist man erstaunt zu erfahren, daß die Seebäder in Deutschland erst durch Lichtenbergs Empfehlung, nach dem Vorgange der Engländer in Gebrauch gekommen sind. Der belebende Eindruck der Flut ist so groß, daß sogar — wie mir auf Wanger-Oge versichert wurde — Sterbende nicht leicht verscheiden, so lang die See im Steigen ist. Chemnitz erzählte uns von einem Arzte, der es gewagt habe, im vierten Paroxismus eines nervösen Tertiarsiebers, beim Eintritte der trockenen Hitze, sich ins brausende Meer zu stürzen. Der Erfolg Kar, daß die Krankheit wich, nachdem ihm den ganzen Tag über wie einem Lustigberauschten zu Muthe gewesen, und er auch von andern dafür gehalten worden war. Wir hatten unsere Wohnung in einem Schifferhäuschen aufgeschlagen, Ko uns zwei einfache, niedrige, aber reinliche Stübchen mit der Aussicht auf das brandende Meer eingeräumt worden waren. Rings auf dem Simse stand Geschirr, welches der Hausherr von mancherlei Seefahrten mitgebracht hatte: Theekannen, Tassen, Teller. Schüsseln, Krüge und Töpfe aus Amsterdam, London, Kopenhagen, Bergen und Petersburg: die Frau Schifferin wußte die Geschichte jedes Stücks zu erzählen. Federbetten mit einer Schütte Stroh darunter, welches, wenn man sich legte, auf allen Seiten hervorquoll; die Nachbarschaft des nur durch eine Bretterwand getrennten Stalls, wo der Trom¬ mler des Morgens, der Hahn, und ein paar Schafe sich sehr vernehmbar Machten, hinderten uns nicht, vortrefflich zu schlafen. Mancher hätte vielleicht Einsiedelei, in die wir uns eingesponnen hatten, unbequem oder langweilig gesunden; uns sagte die völlige Zwanglosigkeit, die ja einen Hauptreiz des 14*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/119>, abgerufen am 25.08.2024.