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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Stelle des Exoterischen und Buchstäblichen des Christenthums muß das Eso¬
terische und Geistige treten. Der ewig belebende Geist der Bildung wird
dasselbe in neue und dauernde Formen kleiden, da es dem Geist der neuen
Welt am Stoff nicht fehlt, das Unendliche in ewig neuen Formen zu ge¬
bären. Die Poesie fordert die Religion als die oberste, ja einzige Möglich¬
keit auch der poetischen Versöhnung; die Philosophie hat mit dem wahrhaft
speculativen Standpunkt auch den der Religion wieder errungen, und die
Wiedergeburt des esoterischen Christenthums, wie die Verkündigung des ab¬
soluten Evangeliums in sich vorbereitet."

Es ist kaum nöthig hervorzuheben, daß das nicht die Sprache der Wissen¬
schaft ist, und man ahnt bereits den ganzen Unfug, der in späterer Zeit aus
dieser Mischung von poetischer und prosaischer Combination hervorging. Der
Schreiber dieser Zeilen hat anderwärts so lebhast gegen diesen Unfug protestirt,
daß er sich hier erlaubt, einmal die andere Seite hervorzukehren, die in der
That vorhanden ist.

Die Richtigkeit der Kantischen Resultate vorausgesetzt, hatte mit den drei
großen Kritiken die Speculation ihre Schuldigkeit gethan; ihre Rolle war fortan
ausgespielt und ihre Aufgabe ging an die positiven Wissenschaften über. So
etwas war aber dem eben erwachten speculativen Geist nicht zuzumuthen. Die
Schriften der Kantianer waren fast durchweg überflüssig, denn sie wiederholten
nur abgeschwächt den Beweis, daß man über das Absolute nicht zu speculiren
habe; aber grade um das Absolute und um nichts Anderes war es damals
der Welt zu thun. Wo der Geist sich so mächtig regt wie im Faust, da ist
es umsonst, ihm Gründe des Verstandes entgegenzuhalten.

Der herrschende Trieb war auf das Aesthetische gerichtet und Fichtes Be¬
mühungen, ihn zum Praktischen abzulenken, waren um so fruchtloser, da er
selbst eine höchst unpraktische Natur war. Was konnte auch damals die Praxis
der wahren Bildung bieten, während die Kunst ihr schon die höchsten Leistungen
dargebracht hatte. Wollte die Philosophie die strebsame Jugend gewinnen,
so mußte sie in der Weise Fausts speculiren, sie mußte den Schatz des Ge¬
müths vergrößern, der Einbildungskraft glänzende Bilder und lockende Per-
spectiven öffnen. Das hat Schelling redlich gethan, und er hat nicht blos
glänzende, sondern zuweilen auch überraschend wahre Bilder aufgerollt, wie
die obige Skizze vom Christenthum zeigt. Es ist richtig, wenn auch nicht in
dem Grade wie Noack es darstellt, daß er sehr viel von seinen Vorgängern
entlehnt hat, aber dadurch', daß er ihm schnell eine schöne und zugleich eine
verstündliche Form gab, hat er es in sein Eigenthum verwandelt. Die Farbe
gehört ihm ganz eigen an und ebenso manche seiner tiefsten Anschauungen.

Was das Urtheil der Nachwelt betrifft, so ist Fichte viel glücklicher gewesen,
als Schelling; bei Fichte denkt man immer nur noch an die Reden an die


Stelle des Exoterischen und Buchstäblichen des Christenthums muß das Eso¬
terische und Geistige treten. Der ewig belebende Geist der Bildung wird
dasselbe in neue und dauernde Formen kleiden, da es dem Geist der neuen
Welt am Stoff nicht fehlt, das Unendliche in ewig neuen Formen zu ge¬
bären. Die Poesie fordert die Religion als die oberste, ja einzige Möglich¬
keit auch der poetischen Versöhnung; die Philosophie hat mit dem wahrhaft
speculativen Standpunkt auch den der Religion wieder errungen, und die
Wiedergeburt des esoterischen Christenthums, wie die Verkündigung des ab¬
soluten Evangeliums in sich vorbereitet."

Es ist kaum nöthig hervorzuheben, daß das nicht die Sprache der Wissen¬
schaft ist, und man ahnt bereits den ganzen Unfug, der in späterer Zeit aus
dieser Mischung von poetischer und prosaischer Combination hervorging. Der
Schreiber dieser Zeilen hat anderwärts so lebhast gegen diesen Unfug protestirt,
daß er sich hier erlaubt, einmal die andere Seite hervorzukehren, die in der
That vorhanden ist.

Die Richtigkeit der Kantischen Resultate vorausgesetzt, hatte mit den drei
großen Kritiken die Speculation ihre Schuldigkeit gethan; ihre Rolle war fortan
ausgespielt und ihre Aufgabe ging an die positiven Wissenschaften über. So
etwas war aber dem eben erwachten speculativen Geist nicht zuzumuthen. Die
Schriften der Kantianer waren fast durchweg überflüssig, denn sie wiederholten
nur abgeschwächt den Beweis, daß man über das Absolute nicht zu speculiren
habe; aber grade um das Absolute und um nichts Anderes war es damals
der Welt zu thun. Wo der Geist sich so mächtig regt wie im Faust, da ist
es umsonst, ihm Gründe des Verstandes entgegenzuhalten.

Der herrschende Trieb war auf das Aesthetische gerichtet und Fichtes Be¬
mühungen, ihn zum Praktischen abzulenken, waren um so fruchtloser, da er
selbst eine höchst unpraktische Natur war. Was konnte auch damals die Praxis
der wahren Bildung bieten, während die Kunst ihr schon die höchsten Leistungen
dargebracht hatte. Wollte die Philosophie die strebsame Jugend gewinnen,
so mußte sie in der Weise Fausts speculiren, sie mußte den Schatz des Ge¬
müths vergrößern, der Einbildungskraft glänzende Bilder und lockende Per-
spectiven öffnen. Das hat Schelling redlich gethan, und er hat nicht blos
glänzende, sondern zuweilen auch überraschend wahre Bilder aufgerollt, wie
die obige Skizze vom Christenthum zeigt. Es ist richtig, wenn auch nicht in
dem Grade wie Noack es darstellt, daß er sehr viel von seinen Vorgängern
entlehnt hat, aber dadurch', daß er ihm schnell eine schöne und zugleich eine
verstündliche Form gab, hat er es in sein Eigenthum verwandelt. Die Farbe
gehört ihm ganz eigen an und ebenso manche seiner tiefsten Anschauungen.

Was das Urtheil der Nachwelt betrifft, so ist Fichte viel glücklicher gewesen,
als Schelling; bei Fichte denkt man immer nur noch an die Reden an die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/80>, abgerufen am 22.07.2024.