Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Menschwerdung Gottes ist eine Menschwerdung von Ewigkeit; der Mensch
Christus ist in der Erscheinung nur der Gipfel und insofern auch wieder der
Anfang derselben, denn von ihm aus sollte sie sich dadurch fortsetzen, daß
alle seine Nachfolger Glieder eines und desselben Leibes wären/' "Das Chri¬
stenthum hat schon vor und außer demselben im Jntellectualsystem der indi¬
schen Religion, als dem ältesten Idealismus, existirt; auch in der griechischen
Bildung regen sich Ahnungen derselben, vornehmlich im Platon. Die ersten
Bücher des Christenthums sind selbst nichts, als auch eine besondere und noch dazu
unvollkommene Erscheinung desselben; seine Idee ist nicht in diesen Büchern zu
suchen. Schon im Geist des'Heidenbekehrers Paulus ist das Christenthum etwas
anders geworden, als es im Geist des ersten Stifters war. Und man kann sich des
Gedankens nicht erwehren, welch ein Hinderniß der Vollendung die sogenannten
biblischen Bücher sür dasselbe gewesen sind, die an echt religiösem Gehalt
keine Vergleichung mit so vielen andern der frühern und spätern Zeit, vor¬
nehmlich der indischen, auch nur von fern aushalten. Darum möchte wol
der Gedanke der Hierarchie, dem Volke diese Bücher zu entziehen, den tiefern
Grund haben, daß das Christenthum als lebendige Religion, nicht als eine
Vergangenheit, sondern als eine ewige Gegenwart fortdauere. Eigentlich
waren es diese Bücher, welche als Urkunden, deren nur die Geschichtsforschung,
nicht der Glaube bedarf, beständig von neuem das empirische Christenthum
an die Stelle der Idee gesetzt haben, welche durch die ganze Geschichte der
neuen Welt im Vergleich mit der alten lauter als durch jene Bücher verkün¬
digt wird, in denen sie noch sehr unentwickelt liegt. Der Geist der neuen
Zeit geht mit sichtbarer Konsequenz auf Vernichtung aller blos endlichen For¬
men, und es ist Religion, ihn auch hierin zu erkennen. Der Protestantismus
war auch zur Zeit seines Ursprungs eine neue Zurückführung des Geistes zum
Unsinniichen, obgleich dieses blos negative Bestreben, außerdem daß es die
Stetigkeit in der Entwickelung des Christenthums aushob, nie eine positive
Vereinigung und eine äußere symbolische Erscheinung als Kirche derselben schaffen
konnte. An die Stelle der lebendigen Auctorität trat die andere todte in aus-
üeswrbenen Sprachen geschriebener Bücher, und da diese ihrer Natur nach
^icht bindend sein konnte, eine viel unwürdigere Sklaverei, die Abhängigkeit
von Symbolen, die ein blos menschliches Ansehn für sich hatten. Mit Hilfe
k'ner sogenannten Exegese, einer aufklärenden Psychologie und schlaffen Moral,
haben vornehmlich deutsche Gelehrte alles speculative und selbst das subjec-
t've symbolische (Mystische) aus dem Christenthum entfernt. Dazu gesellte
sich das psychologische Bestreben, viele Erzählungen, die offenbar jüdische Fa¬
beln sind, aus psychologischen Täuschungen begreiflich zu machen. Zuletzt
sollte auch noch der Volksunterricht rein moralisch, ohne alle Ideen sein.
Aber die Moral ist nicht das Auszeichnende des Christenthums." -- "An


Grenzboten III. 1SS9. 9

Die Menschwerdung Gottes ist eine Menschwerdung von Ewigkeit; der Mensch
Christus ist in der Erscheinung nur der Gipfel und insofern auch wieder der
Anfang derselben, denn von ihm aus sollte sie sich dadurch fortsetzen, daß
alle seine Nachfolger Glieder eines und desselben Leibes wären/' „Das Chri¬
stenthum hat schon vor und außer demselben im Jntellectualsystem der indi¬
schen Religion, als dem ältesten Idealismus, existirt; auch in der griechischen
Bildung regen sich Ahnungen derselben, vornehmlich im Platon. Die ersten
Bücher des Christenthums sind selbst nichts, als auch eine besondere und noch dazu
unvollkommene Erscheinung desselben; seine Idee ist nicht in diesen Büchern zu
suchen. Schon im Geist des'Heidenbekehrers Paulus ist das Christenthum etwas
anders geworden, als es im Geist des ersten Stifters war. Und man kann sich des
Gedankens nicht erwehren, welch ein Hinderniß der Vollendung die sogenannten
biblischen Bücher sür dasselbe gewesen sind, die an echt religiösem Gehalt
keine Vergleichung mit so vielen andern der frühern und spätern Zeit, vor¬
nehmlich der indischen, auch nur von fern aushalten. Darum möchte wol
der Gedanke der Hierarchie, dem Volke diese Bücher zu entziehen, den tiefern
Grund haben, daß das Christenthum als lebendige Religion, nicht als eine
Vergangenheit, sondern als eine ewige Gegenwart fortdauere. Eigentlich
waren es diese Bücher, welche als Urkunden, deren nur die Geschichtsforschung,
nicht der Glaube bedarf, beständig von neuem das empirische Christenthum
an die Stelle der Idee gesetzt haben, welche durch die ganze Geschichte der
neuen Welt im Vergleich mit der alten lauter als durch jene Bücher verkün¬
digt wird, in denen sie noch sehr unentwickelt liegt. Der Geist der neuen
Zeit geht mit sichtbarer Konsequenz auf Vernichtung aller blos endlichen For¬
men, und es ist Religion, ihn auch hierin zu erkennen. Der Protestantismus
war auch zur Zeit seines Ursprungs eine neue Zurückführung des Geistes zum
Unsinniichen, obgleich dieses blos negative Bestreben, außerdem daß es die
Stetigkeit in der Entwickelung des Christenthums aushob, nie eine positive
Vereinigung und eine äußere symbolische Erscheinung als Kirche derselben schaffen
konnte. An die Stelle der lebendigen Auctorität trat die andere todte in aus-
üeswrbenen Sprachen geschriebener Bücher, und da diese ihrer Natur nach
^icht bindend sein konnte, eine viel unwürdigere Sklaverei, die Abhängigkeit
von Symbolen, die ein blos menschliches Ansehn für sich hatten. Mit Hilfe
k'ner sogenannten Exegese, einer aufklärenden Psychologie und schlaffen Moral,
haben vornehmlich deutsche Gelehrte alles speculative und selbst das subjec-
t've symbolische (Mystische) aus dem Christenthum entfernt. Dazu gesellte
sich das psychologische Bestreben, viele Erzählungen, die offenbar jüdische Fa¬
beln sind, aus psychologischen Täuschungen begreiflich zu machen. Zuletzt
sollte auch noch der Volksunterricht rein moralisch, ohne alle Ideen sein.
Aber die Moral ist nicht das Auszeichnende des Christenthums." — „An


Grenzboten III. 1SS9. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107665"/>
          <p xml:id="ID_224" prev="#ID_223" next="#ID_225"> Die Menschwerdung Gottes ist eine Menschwerdung von Ewigkeit; der Mensch<lb/>
Christus ist in der Erscheinung nur der Gipfel und insofern auch wieder der<lb/>
Anfang derselben, denn von ihm aus sollte sie sich dadurch fortsetzen, daß<lb/>
alle seine Nachfolger Glieder eines und desselben Leibes wären/' &#x201E;Das Chri¬<lb/>
stenthum hat schon vor und außer demselben im Jntellectualsystem der indi¬<lb/>
schen Religion, als dem ältesten Idealismus, existirt; auch in der griechischen<lb/>
Bildung regen sich Ahnungen derselben, vornehmlich im Platon. Die ersten<lb/>
Bücher des Christenthums sind selbst nichts, als auch eine besondere und noch dazu<lb/>
unvollkommene Erscheinung desselben; seine Idee ist nicht in diesen Büchern zu<lb/>
suchen. Schon im Geist des'Heidenbekehrers Paulus ist das Christenthum etwas<lb/>
anders geworden, als es im Geist des ersten Stifters war. Und man kann sich des<lb/>
Gedankens nicht erwehren, welch ein Hinderniß der Vollendung die sogenannten<lb/>
biblischen Bücher sür dasselbe gewesen sind, die an echt religiösem Gehalt<lb/>
keine Vergleichung mit so vielen andern der frühern und spätern Zeit, vor¬<lb/>
nehmlich der indischen, auch nur von fern aushalten. Darum möchte wol<lb/>
der Gedanke der Hierarchie, dem Volke diese Bücher zu entziehen, den tiefern<lb/>
Grund haben, daß das Christenthum als lebendige Religion, nicht als eine<lb/>
Vergangenheit, sondern als eine ewige Gegenwart fortdauere. Eigentlich<lb/>
waren es diese Bücher, welche als Urkunden, deren nur die Geschichtsforschung,<lb/>
nicht der Glaube bedarf, beständig von neuem das empirische Christenthum<lb/>
an die Stelle der Idee gesetzt haben, welche durch die ganze Geschichte der<lb/>
neuen Welt im Vergleich mit der alten lauter als durch jene Bücher verkün¬<lb/>
digt wird, in denen sie noch sehr unentwickelt liegt. Der Geist der neuen<lb/>
Zeit geht mit sichtbarer Konsequenz auf Vernichtung aller blos endlichen For¬<lb/>
men, und es ist Religion, ihn auch hierin zu erkennen. Der Protestantismus<lb/>
war auch zur Zeit seines Ursprungs eine neue Zurückführung des Geistes zum<lb/>
Unsinniichen, obgleich dieses blos negative Bestreben, außerdem daß es die<lb/>
Stetigkeit in der Entwickelung des Christenthums aushob, nie eine positive<lb/>
Vereinigung und eine äußere symbolische Erscheinung als Kirche derselben schaffen<lb/>
konnte. An die Stelle der lebendigen Auctorität trat die andere todte in aus-<lb/>
üeswrbenen Sprachen geschriebener Bücher, und da diese ihrer Natur nach<lb/>
^icht bindend sein konnte, eine viel unwürdigere Sklaverei, die Abhängigkeit<lb/>
von Symbolen, die ein blos menschliches Ansehn für sich hatten. Mit Hilfe<lb/>
k'ner sogenannten Exegese, einer aufklärenden Psychologie und schlaffen Moral,<lb/>
haben vornehmlich deutsche Gelehrte alles speculative und selbst das subjec-<lb/>
t've symbolische (Mystische) aus dem Christenthum entfernt. Dazu gesellte<lb/>
sich das psychologische Bestreben, viele Erzählungen, die offenbar jüdische Fa¬<lb/>
beln sind, aus psychologischen Täuschungen begreiflich zu machen. Zuletzt<lb/>
sollte auch noch der Volksunterricht rein moralisch, ohne alle Ideen sein.<lb/>
Aber die Moral ist nicht das Auszeichnende des Christenthums." &#x2014; &#x201E;An</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1SS9. 9</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] Die Menschwerdung Gottes ist eine Menschwerdung von Ewigkeit; der Mensch Christus ist in der Erscheinung nur der Gipfel und insofern auch wieder der Anfang derselben, denn von ihm aus sollte sie sich dadurch fortsetzen, daß alle seine Nachfolger Glieder eines und desselben Leibes wären/' „Das Chri¬ stenthum hat schon vor und außer demselben im Jntellectualsystem der indi¬ schen Religion, als dem ältesten Idealismus, existirt; auch in der griechischen Bildung regen sich Ahnungen derselben, vornehmlich im Platon. Die ersten Bücher des Christenthums sind selbst nichts, als auch eine besondere und noch dazu unvollkommene Erscheinung desselben; seine Idee ist nicht in diesen Büchern zu suchen. Schon im Geist des'Heidenbekehrers Paulus ist das Christenthum etwas anders geworden, als es im Geist des ersten Stifters war. Und man kann sich des Gedankens nicht erwehren, welch ein Hinderniß der Vollendung die sogenannten biblischen Bücher sür dasselbe gewesen sind, die an echt religiösem Gehalt keine Vergleichung mit so vielen andern der frühern und spätern Zeit, vor¬ nehmlich der indischen, auch nur von fern aushalten. Darum möchte wol der Gedanke der Hierarchie, dem Volke diese Bücher zu entziehen, den tiefern Grund haben, daß das Christenthum als lebendige Religion, nicht als eine Vergangenheit, sondern als eine ewige Gegenwart fortdauere. Eigentlich waren es diese Bücher, welche als Urkunden, deren nur die Geschichtsforschung, nicht der Glaube bedarf, beständig von neuem das empirische Christenthum an die Stelle der Idee gesetzt haben, welche durch die ganze Geschichte der neuen Welt im Vergleich mit der alten lauter als durch jene Bücher verkün¬ digt wird, in denen sie noch sehr unentwickelt liegt. Der Geist der neuen Zeit geht mit sichtbarer Konsequenz auf Vernichtung aller blos endlichen For¬ men, und es ist Religion, ihn auch hierin zu erkennen. Der Protestantismus war auch zur Zeit seines Ursprungs eine neue Zurückführung des Geistes zum Unsinniichen, obgleich dieses blos negative Bestreben, außerdem daß es die Stetigkeit in der Entwickelung des Christenthums aushob, nie eine positive Vereinigung und eine äußere symbolische Erscheinung als Kirche derselben schaffen konnte. An die Stelle der lebendigen Auctorität trat die andere todte in aus- üeswrbenen Sprachen geschriebener Bücher, und da diese ihrer Natur nach ^icht bindend sein konnte, eine viel unwürdigere Sklaverei, die Abhängigkeit von Symbolen, die ein blos menschliches Ansehn für sich hatten. Mit Hilfe k'ner sogenannten Exegese, einer aufklärenden Psychologie und schlaffen Moral, haben vornehmlich deutsche Gelehrte alles speculative und selbst das subjec- t've symbolische (Mystische) aus dem Christenthum entfernt. Dazu gesellte sich das psychologische Bestreben, viele Erzählungen, die offenbar jüdische Fa¬ beln sind, aus psychologischen Täuschungen begreiflich zu machen. Zuletzt sollte auch noch der Volksunterricht rein moralisch, ohne alle Ideen sein. Aber die Moral ist nicht das Auszeichnende des Christenthums." — „An Grenzboten III. 1SS9. 9

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/79>, abgerufen am 28.12.2024.