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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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daß man diesen später für den Verfasser hielt. Schon hier zeigen sich starke
Hinweisungen auf die im Athenäum gepredigte neue Religion der Künstlers
Die mystische Bildlichkeit der Sprache zeigt sich am deutlichsten im Schluß:
"Die Seele, welche den Verlust des höchsten Gutes gewahr wird, eilt in ihrer
Sehnsucht, der Ceres gleich, die Fackel an dem flammenden Berg zu entzün¬
den, die Erde zu durchforschen, alle Höhen und Tiefen zu durchspühen -- um¬
sonst, bis sie ermüdet in Eleusis anlangt. Allein nur die allsehende Sonne
offenbart den Hades als den Ort, der das ewige Gut vorenthält. Die Seele,
der diese Offenbarung widerfährt, geht zur letzten Erkenntniß über, sich zum
ewigen Vater zu wenden. Die unauflösliche Verkettung zu lösen, vermag
auch der König der Götter nicht; aber er verstattet der Seele, sich des Ver¬
lornen Gutes in den Bildungen zu freuen, welche der Strahl des ewigen
Lichts durch ihre Vermittlung dem finstern Schoß der Tiefe entreißt." Schil¬
lers Reich der Schatten! Novalis Hymnen an die Nacht!

Ganz im Sinn der romantischen Schule ist serner die Abhandlung "über
Dante in philosophischer Beziehung". Dantes prophetisches Gedicht, hatte
Fr. Schlegel im Athenäum gesagt, ist das einzige System der transcenden¬
talen Poesie und immer noch das Höchste in seiner Art. Den Geist des
Spinoza in einer schönen Form darstellen, würde einer nur in der Art können
wie Dante. Dante ist der einzige, welcher eine Art von Mythologie, wie sie
damals möglich war, erfunden und gebildet hat. -- Ebenso sagt Schelling:
"Das nothwendige Gesetz der ganzen modernen Poesie ist, daß das Indivi¬
duum den ihm offenen Theil der Welt zu einem Ganzen bilde und aus dem
Stoffe seiner Zeit, ihrer Geschichte und ihrer Wissenschaft sich eine Mytho¬
logie schaffe, daß das Individuum durch die höchste Eigenthümlichkeit wieder
allgemeingiltig, durch die vollendetste Besonderheit wieder absolut werde."
"In der neuen Zeit ist die Wissenschaft der Poesie und Mythologie voran¬
gegangen, welche nicht Mythologie sein kann, ohne universell zu sein und
alle Elemente der vorhandenen Bildung, die Wissenschaft, die Religion, die
Kunst selbst in ihren Kreis zu ziehn, das hat Dante gethan." "Dantes Ge¬
dicht ist eine Verbindung der Philosophie und Poesie. Die Einteilung des
Universums und die Anordnung des Stoffes nach den drei Reichen der Hölle,
des Fegefeuers und des Paradieses ist eine allgemein faßliche symbolische
Form, die zugleich als sinnbildlicher Ausdruck des innern Typus aller Wissen¬
schaft und Poesie ewig und Subig ist, die drei großen Gegenstände der Bil¬
dung: Natur. Geschichte und Kunst (!), in sich zu fassen. Die Wissenschaft
der Zeit, d. h. die zur Zeit des Dichters mit mythologischer Würde beklei¬
dete Ansicht des Weltsystems, ist für ihn gleichsam die Mythologie und der
allgemeine Grund, der den kühnen Bau seiner Erfindungen trügt. Das Werk


daß man diesen später für den Verfasser hielt. Schon hier zeigen sich starke
Hinweisungen auf die im Athenäum gepredigte neue Religion der Künstlers
Die mystische Bildlichkeit der Sprache zeigt sich am deutlichsten im Schluß:
„Die Seele, welche den Verlust des höchsten Gutes gewahr wird, eilt in ihrer
Sehnsucht, der Ceres gleich, die Fackel an dem flammenden Berg zu entzün¬
den, die Erde zu durchforschen, alle Höhen und Tiefen zu durchspühen — um¬
sonst, bis sie ermüdet in Eleusis anlangt. Allein nur die allsehende Sonne
offenbart den Hades als den Ort, der das ewige Gut vorenthält. Die Seele,
der diese Offenbarung widerfährt, geht zur letzten Erkenntniß über, sich zum
ewigen Vater zu wenden. Die unauflösliche Verkettung zu lösen, vermag
auch der König der Götter nicht; aber er verstattet der Seele, sich des Ver¬
lornen Gutes in den Bildungen zu freuen, welche der Strahl des ewigen
Lichts durch ihre Vermittlung dem finstern Schoß der Tiefe entreißt." Schil¬
lers Reich der Schatten! Novalis Hymnen an die Nacht!

Ganz im Sinn der romantischen Schule ist serner die Abhandlung „über
Dante in philosophischer Beziehung". Dantes prophetisches Gedicht, hatte
Fr. Schlegel im Athenäum gesagt, ist das einzige System der transcenden¬
talen Poesie und immer noch das Höchste in seiner Art. Den Geist des
Spinoza in einer schönen Form darstellen, würde einer nur in der Art können
wie Dante. Dante ist der einzige, welcher eine Art von Mythologie, wie sie
damals möglich war, erfunden und gebildet hat. — Ebenso sagt Schelling:
„Das nothwendige Gesetz der ganzen modernen Poesie ist, daß das Indivi¬
duum den ihm offenen Theil der Welt zu einem Ganzen bilde und aus dem
Stoffe seiner Zeit, ihrer Geschichte und ihrer Wissenschaft sich eine Mytho¬
logie schaffe, daß das Individuum durch die höchste Eigenthümlichkeit wieder
allgemeingiltig, durch die vollendetste Besonderheit wieder absolut werde."
„In der neuen Zeit ist die Wissenschaft der Poesie und Mythologie voran¬
gegangen, welche nicht Mythologie sein kann, ohne universell zu sein und
alle Elemente der vorhandenen Bildung, die Wissenschaft, die Religion, die
Kunst selbst in ihren Kreis zu ziehn, das hat Dante gethan." „Dantes Ge¬
dicht ist eine Verbindung der Philosophie und Poesie. Die Einteilung des
Universums und die Anordnung des Stoffes nach den drei Reichen der Hölle,
des Fegefeuers und des Paradieses ist eine allgemein faßliche symbolische
Form, die zugleich als sinnbildlicher Ausdruck des innern Typus aller Wissen¬
schaft und Poesie ewig und Subig ist, die drei großen Gegenstände der Bil¬
dung: Natur. Geschichte und Kunst (!), in sich zu fassen. Die Wissenschaft
der Zeit, d. h. die zur Zeit des Dichters mit mythologischer Würde beklei¬
dete Ansicht des Weltsystems, ist für ihn gleichsam die Mythologie und der
allgemeine Grund, der den kühnen Bau seiner Erfindungen trügt. Das Werk


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/76>, abgerufen am 22.07.2024.