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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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und Dauer dahin, die reine Ewigkeit ist in uns und die objective Welt ist in
unserer Anschauung verloren. Moralität ist immer nur ein Kampf und kann dar¬
um nicht das Höchste, sondern nur Annäherung zu jenem absoluten intellec-
tuellen Zustand sein." "Lessing sagt: ich möchte um alles in der Welt nicht
selig werden. Wer nicht so denkt, sür den sehe ich in der Philosophie keine
Hilfe." "Nimmer wird künftig der Weise zu Mysterien seine Zuflucht nehmen,
um seine Grundsätze vor profanen Augen zu verbergen. Es ist Verbrechen
an der Menschheit. Grundsätze zu verbergen, die allgemein untheilbar sind.
Aber die Natur hat dieser Mittheilbarkeit Grenzen gesetzt: sie hat für d,e
Mündigen eine Philosophie aufbewahrt, die durch sich selbst zur esoterischen
wird, weil sie nicht gelernt, nicht nachgebetet, auch von geheimen Feinden und
Ausspähern nicht nachgesprochen werden kann - ein Symbol für den Bund
freier Geister, an dem sie sich alle erkennen, das sie nicht zu verbergen brau¬
chen und das doch nur ihnen verständlich, für die andern ein ewiges Räthsel
sein wird."

Es gehört kein besonderer Scharfsinn dazu, nachzuweisen, daß das keine
wissenschaftliche Sprache ist. Poesie ist es freilich auch nicht. Und doch ist
es auch kein bloßes Nichts: man wird noch heute von dieser eigenthümlichen
Beredsamkeit seltsam ergriffen, wie mußte sie in jener Zeit der Währung wirken!

Früher hatten die Geistlichen dafür gesorgt, durch ihre Beredsamkeit in
den Gläubigen jene intellektuelle Anschauung einer idealen Welt zu erwecken.
Die Gebildeten hatten aber aufgehört in die Kirche zu gehn, weil sie weder
an dem theologischen Geleise noch an der verwässerten Auslegung der zehn
Gebote Interesse nehmen konnten. Man suchte einen Ersatz im Freimaurer¬
orden; die ersten Köpfe der Zeit ließen sich einweihen und sprachen mit einer
gewissen Befriedigung davon. Indeß scheinen die höchsten Ausdrücke dieser
Befriedigung doch nur Gesellschastslieder und Toaste gewesen zu sein. Eine
ideale Welt kann aber der Gebildete noch weniger entbehren als die Menge,
und da man anfing immer mehr in das Verständniß des Wirklichen einzu¬
dringen, so konnte man sie nicht mehr hinter dem Wirklichen suchen. Die
glühendste Sehnsucht des Herzens Gott zu schauen konnte nach dem damali¬
gen Standpunkt der Bildung nur erfüllt werden, wenn man das Bild Gottes
in der Wirklichkeit wiederfand oder es in sie hinein malte. Wie leidenschaft¬
lich sprach sich Goethe schon in den ersten Fragmenten zum Faust darüber aus,
und wenn die ängstliche Vernunft mit dem bekannten "wer darf ihn nennen
und wer bekennen" schloß, so wagte das productive Vermögen der Seele
kühnere Blicke. Der Magier blättert in dem Buch des Makrokosmos, er bannt
den Erdgeist; freilich nur auf Momente; freilich bebt er schaudernd vor ihm
zusammen; aber er hat ihn doch gesehn, und dieses Gesicht ist der haupt¬
sächliche Inhalt seines spätern Lebens.


und Dauer dahin, die reine Ewigkeit ist in uns und die objective Welt ist in
unserer Anschauung verloren. Moralität ist immer nur ein Kampf und kann dar¬
um nicht das Höchste, sondern nur Annäherung zu jenem absoluten intellec-
tuellen Zustand sein." „Lessing sagt: ich möchte um alles in der Welt nicht
selig werden. Wer nicht so denkt, sür den sehe ich in der Philosophie keine
Hilfe." „Nimmer wird künftig der Weise zu Mysterien seine Zuflucht nehmen,
um seine Grundsätze vor profanen Augen zu verbergen. Es ist Verbrechen
an der Menschheit. Grundsätze zu verbergen, die allgemein untheilbar sind.
Aber die Natur hat dieser Mittheilbarkeit Grenzen gesetzt: sie hat für d,e
Mündigen eine Philosophie aufbewahrt, die durch sich selbst zur esoterischen
wird, weil sie nicht gelernt, nicht nachgebetet, auch von geheimen Feinden und
Ausspähern nicht nachgesprochen werden kann - ein Symbol für den Bund
freier Geister, an dem sie sich alle erkennen, das sie nicht zu verbergen brau¬
chen und das doch nur ihnen verständlich, für die andern ein ewiges Räthsel
sein wird."

Es gehört kein besonderer Scharfsinn dazu, nachzuweisen, daß das keine
wissenschaftliche Sprache ist. Poesie ist es freilich auch nicht. Und doch ist
es auch kein bloßes Nichts: man wird noch heute von dieser eigenthümlichen
Beredsamkeit seltsam ergriffen, wie mußte sie in jener Zeit der Währung wirken!

Früher hatten die Geistlichen dafür gesorgt, durch ihre Beredsamkeit in
den Gläubigen jene intellektuelle Anschauung einer idealen Welt zu erwecken.
Die Gebildeten hatten aber aufgehört in die Kirche zu gehn, weil sie weder
an dem theologischen Geleise noch an der verwässerten Auslegung der zehn
Gebote Interesse nehmen konnten. Man suchte einen Ersatz im Freimaurer¬
orden; die ersten Köpfe der Zeit ließen sich einweihen und sprachen mit einer
gewissen Befriedigung davon. Indeß scheinen die höchsten Ausdrücke dieser
Befriedigung doch nur Gesellschastslieder und Toaste gewesen zu sein. Eine
ideale Welt kann aber der Gebildete noch weniger entbehren als die Menge,
und da man anfing immer mehr in das Verständniß des Wirklichen einzu¬
dringen, so konnte man sie nicht mehr hinter dem Wirklichen suchen. Die
glühendste Sehnsucht des Herzens Gott zu schauen konnte nach dem damali¬
gen Standpunkt der Bildung nur erfüllt werden, wenn man das Bild Gottes
in der Wirklichkeit wiederfand oder es in sie hinein malte. Wie leidenschaft¬
lich sprach sich Goethe schon in den ersten Fragmenten zum Faust darüber aus,
und wenn die ängstliche Vernunft mit dem bekannten „wer darf ihn nennen
und wer bekennen" schloß, so wagte das productive Vermögen der Seele
kühnere Blicke. Der Magier blättert in dem Buch des Makrokosmos, er bannt
den Erdgeist; freilich nur auf Momente; freilich bebt er schaudernd vor ihm
zusammen; aber er hat ihn doch gesehn, und dieses Gesicht ist der haupt¬
sächliche Inhalt seines spätern Lebens.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/61>, abgerufen am 28.12.2024.