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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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auf den Fuß des Karmel zu, der mit seinen dunkeln Schluchten und seinen
bewaldeten Gipfeln düstern Blicks auf die hellgrüne Ebene und den blumen¬
geschmückten Fluß herniederschaut. Wie man beim Kison nicht leicht an seinen
alten Namen Megiddo, d. i. Würger, Mörder denkt, so erinnert auch der
Karmel beim ersten Anblick nicht daran, daß sein Name Gottesgarten bedeu¬
tet. Er ist ein wilder, vielzcrklüsteter Gebirgsstock mit einer Anzahl fast gleich
hoher Gipfel, von denen einer südlich von Chaifa schroff und trotzig ins Meer
hinaustritt. In seinen Eichen- und Pinienwäldcrn haust der wilde Eber,
lauert der Panther. Dörfer finden sich nur an seinem Fuß. Weiter drinnen
in den Bergen ist es so einsam wie in der Urzeit, und nur der schweifende
Jäger oder der kräutersuchende Mönch besucht diese Wildniß.

Schon in der Urzeit war der Karmel ein heiliger Berg. Hier stand ein
Tempel des phönizischen Melkarth und ein Altar des Moloch, der in späterer
Zeit zum griechischen Zeus wurde. Hier soll Pythagoras die Einsamkeit ge¬
sucht haben, und hier hauste unter König Ahab der Prophet Elias als Ver¬
bannter. Der Karmel war der Berg, wo Jehova auf des Propheten Gebet
bewies, daß er stärker als Baal sei, und an seinem Fuß schlachtete Elias die
Priester des falschen Gottes. Noch unter Vespasian stand ein Tempel aus dem
Gipfel; denn es wird berichtet, daß dem Feldherrn hier bei einem Opfer seine
Erhebung zum Imperator verkündigt wurde. Die heilige Helena erbaute auf
dem weithin schauenden Punkt eine Kirche, neben welcher in den letzten Jah¬
ren der Kreuzritterkönige von Varfüßermönchcn eine Klostergemcmde gegrün¬
det wurde, die den heiligen Elias zum Schutzpatron wählte. Die Mönche
lebten zuerst nach der Regel des Basilius und wohnten in Felsenhöhlen. Spä¬
ter aber vertauschten sie das griechische Ritual mit dem römischen, und um
den Anfang des vorigen Jahrhunderts erbauten sie sich ein eignes Kloster.
Als Napoleon 1799 Se. Jean d'Acre belagerte, öffneten die Vater Karme¬
liter ihre Räume den Verwundeten des französischen Heeres. Dies führte den
Untergang des Klosters herbei. Als die französische Armee abzog, erschienen
die Türken, ermordeten die kranken Franzosen, vertrieben die Mönche und ver¬
handelten ihre Wohnung in einen Trümmerhaufen. Dreißig Jahre später
wurde das Kloster größer und geräumiger wieder aufgebaut, und zwar vor¬
zugsweise durch den ausdauernden Eiser des Mönchs Giovanni Battista.
Derselbe verschaffte sich in Konstantinopel Erlaubniß zur Wiederherstellung des
Klosters und später theils durch Betrieb von Mühlen am Kison, theils durch
Sammlungen von Beiträgen in Europa die Mittel zur Verwirklichung seines
Plans. Er bedürfte dazu mehr als eine halbe Million Franken. Aber er brachte
sie zusammen. Elfmal durchzog der Greis die abendländische Welt, und je¬
des Mal kehrte er reich unterstützt zu seinem Bau zurück, bis endlich das Werk


Grenzboten III. 1859. 64

auf den Fuß des Karmel zu, der mit seinen dunkeln Schluchten und seinen
bewaldeten Gipfeln düstern Blicks auf die hellgrüne Ebene und den blumen¬
geschmückten Fluß herniederschaut. Wie man beim Kison nicht leicht an seinen
alten Namen Megiddo, d. i. Würger, Mörder denkt, so erinnert auch der
Karmel beim ersten Anblick nicht daran, daß sein Name Gottesgarten bedeu¬
tet. Er ist ein wilder, vielzcrklüsteter Gebirgsstock mit einer Anzahl fast gleich
hoher Gipfel, von denen einer südlich von Chaifa schroff und trotzig ins Meer
hinaustritt. In seinen Eichen- und Pinienwäldcrn haust der wilde Eber,
lauert der Panther. Dörfer finden sich nur an seinem Fuß. Weiter drinnen
in den Bergen ist es so einsam wie in der Urzeit, und nur der schweifende
Jäger oder der kräutersuchende Mönch besucht diese Wildniß.

Schon in der Urzeit war der Karmel ein heiliger Berg. Hier stand ein
Tempel des phönizischen Melkarth und ein Altar des Moloch, der in späterer
Zeit zum griechischen Zeus wurde. Hier soll Pythagoras die Einsamkeit ge¬
sucht haben, und hier hauste unter König Ahab der Prophet Elias als Ver¬
bannter. Der Karmel war der Berg, wo Jehova auf des Propheten Gebet
bewies, daß er stärker als Baal sei, und an seinem Fuß schlachtete Elias die
Priester des falschen Gottes. Noch unter Vespasian stand ein Tempel aus dem
Gipfel; denn es wird berichtet, daß dem Feldherrn hier bei einem Opfer seine
Erhebung zum Imperator verkündigt wurde. Die heilige Helena erbaute auf
dem weithin schauenden Punkt eine Kirche, neben welcher in den letzten Jah¬
ren der Kreuzritterkönige von Varfüßermönchcn eine Klostergemcmde gegrün¬
det wurde, die den heiligen Elias zum Schutzpatron wählte. Die Mönche
lebten zuerst nach der Regel des Basilius und wohnten in Felsenhöhlen. Spä¬
ter aber vertauschten sie das griechische Ritual mit dem römischen, und um
den Anfang des vorigen Jahrhunderts erbauten sie sich ein eignes Kloster.
Als Napoleon 1799 Se. Jean d'Acre belagerte, öffneten die Vater Karme¬
liter ihre Räume den Verwundeten des französischen Heeres. Dies führte den
Untergang des Klosters herbei. Als die französische Armee abzog, erschienen
die Türken, ermordeten die kranken Franzosen, vertrieben die Mönche und ver¬
handelten ihre Wohnung in einen Trümmerhaufen. Dreißig Jahre später
wurde das Kloster größer und geräumiger wieder aufgebaut, und zwar vor¬
zugsweise durch den ausdauernden Eiser des Mönchs Giovanni Battista.
Derselbe verschaffte sich in Konstantinopel Erlaubniß zur Wiederherstellung des
Klosters und später theils durch Betrieb von Mühlen am Kison, theils durch
Sammlungen von Beiträgen in Europa die Mittel zur Verwirklichung seines
Plans. Er bedürfte dazu mehr als eine halbe Million Franken. Aber er brachte
sie zusammen. Elfmal durchzog der Greis die abendländische Welt, und je¬
des Mal kehrte er reich unterstützt zu seinem Bau zurück, bis endlich das Werk


Grenzboten III. 1859. 64
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[0519] auf den Fuß des Karmel zu, der mit seinen dunkeln Schluchten und seinen bewaldeten Gipfeln düstern Blicks auf die hellgrüne Ebene und den blumen¬ geschmückten Fluß herniederschaut. Wie man beim Kison nicht leicht an seinen alten Namen Megiddo, d. i. Würger, Mörder denkt, so erinnert auch der Karmel beim ersten Anblick nicht daran, daß sein Name Gottesgarten bedeu¬ tet. Er ist ein wilder, vielzcrklüsteter Gebirgsstock mit einer Anzahl fast gleich hoher Gipfel, von denen einer südlich von Chaifa schroff und trotzig ins Meer hinaustritt. In seinen Eichen- und Pinienwäldcrn haust der wilde Eber, lauert der Panther. Dörfer finden sich nur an seinem Fuß. Weiter drinnen in den Bergen ist es so einsam wie in der Urzeit, und nur der schweifende Jäger oder der kräutersuchende Mönch besucht diese Wildniß. Schon in der Urzeit war der Karmel ein heiliger Berg. Hier stand ein Tempel des phönizischen Melkarth und ein Altar des Moloch, der in späterer Zeit zum griechischen Zeus wurde. Hier soll Pythagoras die Einsamkeit ge¬ sucht haben, und hier hauste unter König Ahab der Prophet Elias als Ver¬ bannter. Der Karmel war der Berg, wo Jehova auf des Propheten Gebet bewies, daß er stärker als Baal sei, und an seinem Fuß schlachtete Elias die Priester des falschen Gottes. Noch unter Vespasian stand ein Tempel aus dem Gipfel; denn es wird berichtet, daß dem Feldherrn hier bei einem Opfer seine Erhebung zum Imperator verkündigt wurde. Die heilige Helena erbaute auf dem weithin schauenden Punkt eine Kirche, neben welcher in den letzten Jah¬ ren der Kreuzritterkönige von Varfüßermönchcn eine Klostergemcmde gegrün¬ det wurde, die den heiligen Elias zum Schutzpatron wählte. Die Mönche lebten zuerst nach der Regel des Basilius und wohnten in Felsenhöhlen. Spä¬ ter aber vertauschten sie das griechische Ritual mit dem römischen, und um den Anfang des vorigen Jahrhunderts erbauten sie sich ein eignes Kloster. Als Napoleon 1799 Se. Jean d'Acre belagerte, öffneten die Vater Karme¬ liter ihre Räume den Verwundeten des französischen Heeres. Dies führte den Untergang des Klosters herbei. Als die französische Armee abzog, erschienen die Türken, ermordeten die kranken Franzosen, vertrieben die Mönche und ver¬ handelten ihre Wohnung in einen Trümmerhaufen. Dreißig Jahre später wurde das Kloster größer und geräumiger wieder aufgebaut, und zwar vor¬ zugsweise durch den ausdauernden Eiser des Mönchs Giovanni Battista. Derselbe verschaffte sich in Konstantinopel Erlaubniß zur Wiederherstellung des Klosters und später theils durch Betrieb von Mühlen am Kison, theils durch Sammlungen von Beiträgen in Europa die Mittel zur Verwirklichung seines Plans. Er bedürfte dazu mehr als eine halbe Million Franken. Aber er brachte sie zusammen. Elfmal durchzog der Greis die abendländische Welt, und je¬ des Mal kehrte er reich unterstützt zu seinem Bau zurück, bis endlich das Werk Grenzboten III. 1859. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/519>, abgerufen am 22.07.2024.