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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Die Stadt ist gut gebaut und volkreich. Sie soll an 12,000 Einwohner ha¬
ben und besitzt einen wohlversehenen Bazar. Der Fanatismus, den sie 1856
entwickelte, scheint verraucht zu sein; wenigstens begegneten wir nirgend den
drohenden Blicken, von denen frühern Reisende erzählen. Wir hielten uns in¬
deß in ihr nicht auf, sondern begaben uns nach einem der Gärten auf der
Westseite, um in Schatten und Quellenkühle unser Mittagsmahl einzunehmen.
Hatten wir zugleich auf Ruhe und Einsamkeit gehofft, so fanden wir uns ge¬
täuscht. Die Gegend, wo wir unser Lager aufschlugen, war voll von türki¬
schem regulären Fußvolk, das hier lange Reihen von Zelten aufgestellt hatte,
die Bäche mit Hemdenwaschen verunreinigte und sich mit Tanzen, Singen,
Achselreiten und andern Possen die Zeit vertrieb. Dazu kamen etliche von
den hier wohnenden Samaritern, die uns aus der Stadt nachgefolgt waren,
um uns durch beharrliches Drängen zu nöthigen, ihre Synagoge zu besu¬
chen, wobei sie natürlich nicht an die Ehre, die wir ihnen damit angethan
hätten, sondern an das Bakschisch dachten, welches ihnen dafür zu entrichten
gewesen wäre. Es half nichts, daß wir ihnen endlich erklären ließen, daß
wir das Alter des dort aufbewahrten Pentateuchs (er soll nicht weniger als
dreitauscndsünfhundert Jahre auf dem Rücken haben) für erlogen hielten, daß
uns ihre Gesichter nicht gefielen, daß wir allein sein wollten. Sie blieben
und wiederholten alle Viertelstunden ihr Anerbieten, uns ihre Raritäten zu
zeigen. In der That, nur die Fliegenschwärme, die unser Zucker herbeigelockt,
übertrafen diese Quälgeister an Zudringlichkeit.

Das Thal, in dem Radius liegt, ist reich an historischen Erinnerungen.
Auf dem Ebal erbaute Josua einen Altar für den Gott Israels. Auf
dem Garizim stand später der große Tempel der Samariter, bis ihn der Mak-
kabäer Johannes Hyrcanus zerstörte. In sieben spielten die Hauptacte des
blutigen Dramas, welches der Brudermörder Abimelech aufführte. Aus dem
Tempelberg wird einst, wenn das Maß der Welt voll ist, der Hataheb oder
Messias der Samariter erscheinen, um sein Volk zu erlösen und ihm die
Herrschaft über die Erde zu verschaffen. Jede trägt die Höhe nur eine mo¬
hammedanische Grabkapelle und die Ruinen eines römischen Castells. Die
Samaritcrgemeinde aber soll gegenwärtig blos noch siebzig bis achtzig Köpfe
zählen, und da diese sich eben nicht des Rufes besonderer Heiligkeit und Rechtschaf-
fenheit erfreuen, so dürste die Hoffnung auf baldiges Erscheinen des Hataheb eine
eitle sein, und die Leute thäten darum klüger, wenn sie sich den hier angestellten
Missionären gefügig zeigten. Auf alle Fälle wäre dann beiden Theilen geholfen!
die einen kämen zu Geld, die andern zu Proselyten. Aber freilich, je größer
die Thorheit in religiösen Dingen, desto zäher die Hartnäckigkeit, die sie
festhält.

Gern hätten wir von hier einen Abstecher nach dem zwei Stunden


Die Stadt ist gut gebaut und volkreich. Sie soll an 12,000 Einwohner ha¬
ben und besitzt einen wohlversehenen Bazar. Der Fanatismus, den sie 1856
entwickelte, scheint verraucht zu sein; wenigstens begegneten wir nirgend den
drohenden Blicken, von denen frühern Reisende erzählen. Wir hielten uns in¬
deß in ihr nicht auf, sondern begaben uns nach einem der Gärten auf der
Westseite, um in Schatten und Quellenkühle unser Mittagsmahl einzunehmen.
Hatten wir zugleich auf Ruhe und Einsamkeit gehofft, so fanden wir uns ge¬
täuscht. Die Gegend, wo wir unser Lager aufschlugen, war voll von türki¬
schem regulären Fußvolk, das hier lange Reihen von Zelten aufgestellt hatte,
die Bäche mit Hemdenwaschen verunreinigte und sich mit Tanzen, Singen,
Achselreiten und andern Possen die Zeit vertrieb. Dazu kamen etliche von
den hier wohnenden Samaritern, die uns aus der Stadt nachgefolgt waren,
um uns durch beharrliches Drängen zu nöthigen, ihre Synagoge zu besu¬
chen, wobei sie natürlich nicht an die Ehre, die wir ihnen damit angethan
hätten, sondern an das Bakschisch dachten, welches ihnen dafür zu entrichten
gewesen wäre. Es half nichts, daß wir ihnen endlich erklären ließen, daß
wir das Alter des dort aufbewahrten Pentateuchs (er soll nicht weniger als
dreitauscndsünfhundert Jahre auf dem Rücken haben) für erlogen hielten, daß
uns ihre Gesichter nicht gefielen, daß wir allein sein wollten. Sie blieben
und wiederholten alle Viertelstunden ihr Anerbieten, uns ihre Raritäten zu
zeigen. In der That, nur die Fliegenschwärme, die unser Zucker herbeigelockt,
übertrafen diese Quälgeister an Zudringlichkeit.

Das Thal, in dem Radius liegt, ist reich an historischen Erinnerungen.
Auf dem Ebal erbaute Josua einen Altar für den Gott Israels. Auf
dem Garizim stand später der große Tempel der Samariter, bis ihn der Mak-
kabäer Johannes Hyrcanus zerstörte. In sieben spielten die Hauptacte des
blutigen Dramas, welches der Brudermörder Abimelech aufführte. Aus dem
Tempelberg wird einst, wenn das Maß der Welt voll ist, der Hataheb oder
Messias der Samariter erscheinen, um sein Volk zu erlösen und ihm die
Herrschaft über die Erde zu verschaffen. Jede trägt die Höhe nur eine mo¬
hammedanische Grabkapelle und die Ruinen eines römischen Castells. Die
Samaritcrgemeinde aber soll gegenwärtig blos noch siebzig bis achtzig Köpfe
zählen, und da diese sich eben nicht des Rufes besonderer Heiligkeit und Rechtschaf-
fenheit erfreuen, so dürste die Hoffnung auf baldiges Erscheinen des Hataheb eine
eitle sein, und die Leute thäten darum klüger, wenn sie sich den hier angestellten
Missionären gefügig zeigten. Auf alle Fälle wäre dann beiden Theilen geholfen!
die einen kämen zu Geld, die andern zu Proselyten. Aber freilich, je größer
die Thorheit in religiösen Dingen, desto zäher die Hartnäckigkeit, die sie
festhält.

Gern hätten wir von hier einen Abstecher nach dem zwei Stunden


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[0512] Die Stadt ist gut gebaut und volkreich. Sie soll an 12,000 Einwohner ha¬ ben und besitzt einen wohlversehenen Bazar. Der Fanatismus, den sie 1856 entwickelte, scheint verraucht zu sein; wenigstens begegneten wir nirgend den drohenden Blicken, von denen frühern Reisende erzählen. Wir hielten uns in¬ deß in ihr nicht auf, sondern begaben uns nach einem der Gärten auf der Westseite, um in Schatten und Quellenkühle unser Mittagsmahl einzunehmen. Hatten wir zugleich auf Ruhe und Einsamkeit gehofft, so fanden wir uns ge¬ täuscht. Die Gegend, wo wir unser Lager aufschlugen, war voll von türki¬ schem regulären Fußvolk, das hier lange Reihen von Zelten aufgestellt hatte, die Bäche mit Hemdenwaschen verunreinigte und sich mit Tanzen, Singen, Achselreiten und andern Possen die Zeit vertrieb. Dazu kamen etliche von den hier wohnenden Samaritern, die uns aus der Stadt nachgefolgt waren, um uns durch beharrliches Drängen zu nöthigen, ihre Synagoge zu besu¬ chen, wobei sie natürlich nicht an die Ehre, die wir ihnen damit angethan hätten, sondern an das Bakschisch dachten, welches ihnen dafür zu entrichten gewesen wäre. Es half nichts, daß wir ihnen endlich erklären ließen, daß wir das Alter des dort aufbewahrten Pentateuchs (er soll nicht weniger als dreitauscndsünfhundert Jahre auf dem Rücken haben) für erlogen hielten, daß uns ihre Gesichter nicht gefielen, daß wir allein sein wollten. Sie blieben und wiederholten alle Viertelstunden ihr Anerbieten, uns ihre Raritäten zu zeigen. In der That, nur die Fliegenschwärme, die unser Zucker herbeigelockt, übertrafen diese Quälgeister an Zudringlichkeit. Das Thal, in dem Radius liegt, ist reich an historischen Erinnerungen. Auf dem Ebal erbaute Josua einen Altar für den Gott Israels. Auf dem Garizim stand später der große Tempel der Samariter, bis ihn der Mak- kabäer Johannes Hyrcanus zerstörte. In sieben spielten die Hauptacte des blutigen Dramas, welches der Brudermörder Abimelech aufführte. Aus dem Tempelberg wird einst, wenn das Maß der Welt voll ist, der Hataheb oder Messias der Samariter erscheinen, um sein Volk zu erlösen und ihm die Herrschaft über die Erde zu verschaffen. Jede trägt die Höhe nur eine mo¬ hammedanische Grabkapelle und die Ruinen eines römischen Castells. Die Samaritcrgemeinde aber soll gegenwärtig blos noch siebzig bis achtzig Köpfe zählen, und da diese sich eben nicht des Rufes besonderer Heiligkeit und Rechtschaf- fenheit erfreuen, so dürste die Hoffnung auf baldiges Erscheinen des Hataheb eine eitle sein, und die Leute thäten darum klüger, wenn sie sich den hier angestellten Missionären gefügig zeigten. Auf alle Fälle wäre dann beiden Theilen geholfen! die einen kämen zu Geld, die andern zu Proselyten. Aber freilich, je größer die Thorheit in religiösen Dingen, desto zäher die Hartnäckigkeit, die sie festhält. Gern hätten wir von hier einen Abstecher nach dem zwei Stunden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/512>, abgerufen am 29.06.2024.