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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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wir in eine mehr oder minder weite Thalmulde hinab, bald zogen wir durch
öde, bald durch fruchtbare und wohlangebaute Striche. Mehrmals tra¬
fen wir stattliche Dörfer. Gelegentlich begegnete uns ein beladenes Kameel,
bisweilen sahen wir Leute auf dem Felde mit der schauernde beschäftigt.
Die Hitze war in den Thälern sehr lästig, und immer mehr lernten wir den
Werth erkennen, den das Morgenland auf einen schattigen Baum, einen Brun¬
nen, ein kühlendes Lüftchen legt. Die Vegetation auf den Bergen besteht
hier hauptsächlich aus Ginster, wildem Salbei und Thymian, Mohn, blaublü¬
hender Wegwart und Asphodelosblumcn. Da und dort kommt niedriges Ge¬
sträuch von Stacheleichen und Dorngestrüpp hinzu. Mitunter überrascht eine
hochstämmige Malvenstaude mit prächtigen rosenfarbenen Blüten. An zwei oder
drei Stellen hing Jelängerjelieber aus den Felsenspalten. An einer Quelle, in
der wir außer zahlreichen Fröschen auch kleine Schildkröten von der Größe einer
Damenuhr fanden, wuchs blaßrothes Vergißmeinnicht. Die Felder der Thalsoh¬
len waremmit Gerste, Weizen und hin und wieder auch mit Tabak bestellt.
Wo eine Quelle einen kleinen Bach entsandte, zeigten sich selbst Ansätze zu einer
Wiese.

Nachdem wir etwa vier Stunden zurückgelegt, stiegen wir über einen ge¬
waltigen Bergsattel auf sehr rauhem Kletterpfad, auf dem wir den Sattel ver¬
lassen und die Pferde am Zügel hinter uns herfuhren mußten, nach einer schönen
grünen Thalebne hinab, über der sich im Nordwesten zwei mächtige kahle Kegel¬
gipfel erhoben. "Das ist der Garizim," sagte unser Führer, auf den einen
deutend, "und dahinter liegt Radius." Es währte noch zwei Stunden, ehe
wir an die Berge kamen. Zwischen ihnen öffnet sich ein Paß, an dessen
Eingang, umgeben von Zwiebclbeeten, einige niedrige Fellahhütten liegen.
Diese Hütten sollen auf der Stätte des alten sieben stehen. Einige hundert
Schritt südlich von hier finden sich weit umhergestreute Trümmer einer Kirche,
und ein ausgemauerter Brunnen, der jetzt verschüttet ist. Die Legende be¬
zeichnet ihn als den Jakobsbrunnen, an dem Jesus nach dem Johannesevan¬
gelium'mit dem samaritcmischen Weibe das schöne Gespräch von dem Wasser
hatte, das ins ewige Leben quillt. Einen Büchsenschuß weiter nach Norden
Kber schimmert zwischen dem grauen Ebal und der grünen Thalsohle ein
^eißgetünchtes mohammedanisches Weli, in dem die Legende das Grab des
Patriarchen Joseph ^erblickt.

Zwischen Ebal und Garizim hindurch ritten wir von dem Dörfchen mit den
Zwiebelbeeten in einer Viertelstunde nach dem Thor von Radius. . Der Weg
dahin führt durch einen Wald von alten Olivenbäumen, der' die ganze Breite
des Passes einnimmt und sich sogar eine Strecke an den Abhängen des Ga-
^izim hinaufzieht. An ihn schließen sich Gärten mit Feigen-, Orangen- und
Granatbäumen, in denen es allenthalben von Quellen und Bächen rauscht.


Grenzboten III. 1359. V3

wir in eine mehr oder minder weite Thalmulde hinab, bald zogen wir durch
öde, bald durch fruchtbare und wohlangebaute Striche. Mehrmals tra¬
fen wir stattliche Dörfer. Gelegentlich begegnete uns ein beladenes Kameel,
bisweilen sahen wir Leute auf dem Felde mit der schauernde beschäftigt.
Die Hitze war in den Thälern sehr lästig, und immer mehr lernten wir den
Werth erkennen, den das Morgenland auf einen schattigen Baum, einen Brun¬
nen, ein kühlendes Lüftchen legt. Die Vegetation auf den Bergen besteht
hier hauptsächlich aus Ginster, wildem Salbei und Thymian, Mohn, blaublü¬
hender Wegwart und Asphodelosblumcn. Da und dort kommt niedriges Ge¬
sträuch von Stacheleichen und Dorngestrüpp hinzu. Mitunter überrascht eine
hochstämmige Malvenstaude mit prächtigen rosenfarbenen Blüten. An zwei oder
drei Stellen hing Jelängerjelieber aus den Felsenspalten. An einer Quelle, in
der wir außer zahlreichen Fröschen auch kleine Schildkröten von der Größe einer
Damenuhr fanden, wuchs blaßrothes Vergißmeinnicht. Die Felder der Thalsoh¬
len waremmit Gerste, Weizen und hin und wieder auch mit Tabak bestellt.
Wo eine Quelle einen kleinen Bach entsandte, zeigten sich selbst Ansätze zu einer
Wiese.

Nachdem wir etwa vier Stunden zurückgelegt, stiegen wir über einen ge¬
waltigen Bergsattel auf sehr rauhem Kletterpfad, auf dem wir den Sattel ver¬
lassen und die Pferde am Zügel hinter uns herfuhren mußten, nach einer schönen
grünen Thalebne hinab, über der sich im Nordwesten zwei mächtige kahle Kegel¬
gipfel erhoben. „Das ist der Garizim," sagte unser Führer, auf den einen
deutend, „und dahinter liegt Radius." Es währte noch zwei Stunden, ehe
wir an die Berge kamen. Zwischen ihnen öffnet sich ein Paß, an dessen
Eingang, umgeben von Zwiebclbeeten, einige niedrige Fellahhütten liegen.
Diese Hütten sollen auf der Stätte des alten sieben stehen. Einige hundert
Schritt südlich von hier finden sich weit umhergestreute Trümmer einer Kirche,
und ein ausgemauerter Brunnen, der jetzt verschüttet ist. Die Legende be¬
zeichnet ihn als den Jakobsbrunnen, an dem Jesus nach dem Johannesevan¬
gelium'mit dem samaritcmischen Weibe das schöne Gespräch von dem Wasser
hatte, das ins ewige Leben quillt. Einen Büchsenschuß weiter nach Norden
Kber schimmert zwischen dem grauen Ebal und der grünen Thalsohle ein
^eißgetünchtes mohammedanisches Weli, in dem die Legende das Grab des
Patriarchen Joseph ^erblickt.

Zwischen Ebal und Garizim hindurch ritten wir von dem Dörfchen mit den
Zwiebelbeeten in einer Viertelstunde nach dem Thor von Radius. . Der Weg
dahin führt durch einen Wald von alten Olivenbäumen, der' die ganze Breite
des Passes einnimmt und sich sogar eine Strecke an den Abhängen des Ga-
^izim hinaufzieht. An ihn schließen sich Gärten mit Feigen-, Orangen- und
Granatbäumen, in denen es allenthalben von Quellen und Bächen rauscht.


Grenzboten III. 1359. V3
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[0511] wir in eine mehr oder minder weite Thalmulde hinab, bald zogen wir durch öde, bald durch fruchtbare und wohlangebaute Striche. Mehrmals tra¬ fen wir stattliche Dörfer. Gelegentlich begegnete uns ein beladenes Kameel, bisweilen sahen wir Leute auf dem Felde mit der schauernde beschäftigt. Die Hitze war in den Thälern sehr lästig, und immer mehr lernten wir den Werth erkennen, den das Morgenland auf einen schattigen Baum, einen Brun¬ nen, ein kühlendes Lüftchen legt. Die Vegetation auf den Bergen besteht hier hauptsächlich aus Ginster, wildem Salbei und Thymian, Mohn, blaublü¬ hender Wegwart und Asphodelosblumcn. Da und dort kommt niedriges Ge¬ sträuch von Stacheleichen und Dorngestrüpp hinzu. Mitunter überrascht eine hochstämmige Malvenstaude mit prächtigen rosenfarbenen Blüten. An zwei oder drei Stellen hing Jelängerjelieber aus den Felsenspalten. An einer Quelle, in der wir außer zahlreichen Fröschen auch kleine Schildkröten von der Größe einer Damenuhr fanden, wuchs blaßrothes Vergißmeinnicht. Die Felder der Thalsoh¬ len waremmit Gerste, Weizen und hin und wieder auch mit Tabak bestellt. Wo eine Quelle einen kleinen Bach entsandte, zeigten sich selbst Ansätze zu einer Wiese. Nachdem wir etwa vier Stunden zurückgelegt, stiegen wir über einen ge¬ waltigen Bergsattel auf sehr rauhem Kletterpfad, auf dem wir den Sattel ver¬ lassen und die Pferde am Zügel hinter uns herfuhren mußten, nach einer schönen grünen Thalebne hinab, über der sich im Nordwesten zwei mächtige kahle Kegel¬ gipfel erhoben. „Das ist der Garizim," sagte unser Führer, auf den einen deutend, „und dahinter liegt Radius." Es währte noch zwei Stunden, ehe wir an die Berge kamen. Zwischen ihnen öffnet sich ein Paß, an dessen Eingang, umgeben von Zwiebclbeeten, einige niedrige Fellahhütten liegen. Diese Hütten sollen auf der Stätte des alten sieben stehen. Einige hundert Schritt südlich von hier finden sich weit umhergestreute Trümmer einer Kirche, und ein ausgemauerter Brunnen, der jetzt verschüttet ist. Die Legende be¬ zeichnet ihn als den Jakobsbrunnen, an dem Jesus nach dem Johannesevan¬ gelium'mit dem samaritcmischen Weibe das schöne Gespräch von dem Wasser hatte, das ins ewige Leben quillt. Einen Büchsenschuß weiter nach Norden Kber schimmert zwischen dem grauen Ebal und der grünen Thalsohle ein ^eißgetünchtes mohammedanisches Weli, in dem die Legende das Grab des Patriarchen Joseph ^erblickt. Zwischen Ebal und Garizim hindurch ritten wir von dem Dörfchen mit den Zwiebelbeeten in einer Viertelstunde nach dem Thor von Radius. . Der Weg dahin führt durch einen Wald von alten Olivenbäumen, der' die ganze Breite des Passes einnimmt und sich sogar eine Strecke an den Abhängen des Ga- ^izim hinaufzieht. An ihn schließen sich Gärten mit Feigen-, Orangen- und Granatbäumen, in denen es allenthalben von Quellen und Bächen rauscht. Grenzboten III. 1359. V3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/511>, abgerufen am 26.06.2024.