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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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zu beginnen, denn für die Einführung in Handels Art und Weise ist es wie
geschaffen, ist seinem Inhalt nach nicht an Zeit und Ort gebunden, sondern
trägt eine Allgemeinheit in sich, die ebenso gut der Vergangenheit wie dem
modernen Leben angehört. Der hohe Ernst seiner großen Werke wurde hier
durch den Stoff nicht bedingt; die ganze Handlung ist durchaus menschlich,
die tragische Katastrophe durch einen glücklichen Ausgang gelöst. In der
Musik ist ein Reichthum an feiner Charakerzeichnung in leichter und freier
Form niedergelegt, das Ganze entwickelt sich so leicht und spielend, und doch
in jedem Zug bedeutend, daß unser moderner, durch starkes Auftragen von
Farben und Ueberladung mit Pathos verwöhnter Sinn sich erst in diese clas¬
sische Einfachheit hineinfinden muß, um das hinter dieser Anspruchslosigkeit
der Erscheinung pulsirende warme und regsame Leben zu erkennen. Wir ziehen
aber bald volle Befriedigung daraus, denn wir finden in dem Werk alles,
was zur Vollendung der Kunst gehört: Wahrheit der Empfindung und na¬
türliche Bestimmtheit des Ausdrucks in freier, schöner Form. Die Liebe der
jungen Gatten ist so frisch, gesund und in ihren gegenseitigen Gunstbezeu¬
gungen so ungesucht erfinderisch, daß die erste Scene zwischen ihnen und
Susannens Vater trotz der Länge ein schönes wechselvolles Bild ist. Die reine
Unschuld der Susanne verscheucht die ihren Gemahl befallenden trüben Ahnungen
mit so frischer Zuversicht, daß die Unmöglichkeit, sie könnte den Verführungen
der Richter auch nur im Gedanken nachgeben, von vornherein feststeht, und
schon deshalb sieht man dem weitern Verlauf mit Ruhe entgegen -- höchstens
könnte der Tod sie treffen, aber keine Schande. Nachdem Joachim gegangen,
kann Susannens heitre Natur die Trauer doch nicht bewältigen, und sie sucht
in der wunderschönen Arie der zweiten Scene ihre trüben Ahnungen, die sich
bald verwirklichen sollen, zu verscheuchen, und der Chor spricht ihr mit der
Betrachtung "Unschuld wird nimmer lang' unterdrückt" Muth ein. Der Chor
im ganzen Oratorium nimmt niemals unmittelbar handelnd an den Ereig¬
nissen Theil, sondern tritt an bedeutenden Entwicklungsmomenten und Wende¬
punkten mit sittlichen Betrachtungen aus; da er aber aus dem bei der Hand¬
lung lebhaft interessirten Volk besteht, und nicht kalt von außen Herzutritt,
gewinnt die Betrachtung stets an declamatorischcm und dramatischem Leben,
so daß die Chöre, der Bewegung in der Handlung unmittelbar sich anschließend,
ist der Chor doch stets die Resultate und Höhepunkte der einzelnen Scenen
werden. So hier der Vertreter der sittlichen Ideen, die von den handelnden
Personen entweder bethätigt oder verneint werden, und in den Chören ruht
somit gewissermaßen der religiöse Inhalt des Werkes.

Schilderungen von Einzelheiten des Werkes würden mit hier unmöglichen
Notenbeispielen verbunden sein müssen, deshalb stehe ich davon ab; es ist
vorauszusetzen, daß die Ausgabe baldige Verbreitung finden wird, und die


zu beginnen, denn für die Einführung in Handels Art und Weise ist es wie
geschaffen, ist seinem Inhalt nach nicht an Zeit und Ort gebunden, sondern
trägt eine Allgemeinheit in sich, die ebenso gut der Vergangenheit wie dem
modernen Leben angehört. Der hohe Ernst seiner großen Werke wurde hier
durch den Stoff nicht bedingt; die ganze Handlung ist durchaus menschlich,
die tragische Katastrophe durch einen glücklichen Ausgang gelöst. In der
Musik ist ein Reichthum an feiner Charakerzeichnung in leichter und freier
Form niedergelegt, das Ganze entwickelt sich so leicht und spielend, und doch
in jedem Zug bedeutend, daß unser moderner, durch starkes Auftragen von
Farben und Ueberladung mit Pathos verwöhnter Sinn sich erst in diese clas¬
sische Einfachheit hineinfinden muß, um das hinter dieser Anspruchslosigkeit
der Erscheinung pulsirende warme und regsame Leben zu erkennen. Wir ziehen
aber bald volle Befriedigung daraus, denn wir finden in dem Werk alles,
was zur Vollendung der Kunst gehört: Wahrheit der Empfindung und na¬
türliche Bestimmtheit des Ausdrucks in freier, schöner Form. Die Liebe der
jungen Gatten ist so frisch, gesund und in ihren gegenseitigen Gunstbezeu¬
gungen so ungesucht erfinderisch, daß die erste Scene zwischen ihnen und
Susannens Vater trotz der Länge ein schönes wechselvolles Bild ist. Die reine
Unschuld der Susanne verscheucht die ihren Gemahl befallenden trüben Ahnungen
mit so frischer Zuversicht, daß die Unmöglichkeit, sie könnte den Verführungen
der Richter auch nur im Gedanken nachgeben, von vornherein feststeht, und
schon deshalb sieht man dem weitern Verlauf mit Ruhe entgegen — höchstens
könnte der Tod sie treffen, aber keine Schande. Nachdem Joachim gegangen,
kann Susannens heitre Natur die Trauer doch nicht bewältigen, und sie sucht
in der wunderschönen Arie der zweiten Scene ihre trüben Ahnungen, die sich
bald verwirklichen sollen, zu verscheuchen, und der Chor spricht ihr mit der
Betrachtung „Unschuld wird nimmer lang' unterdrückt" Muth ein. Der Chor
im ganzen Oratorium nimmt niemals unmittelbar handelnd an den Ereig¬
nissen Theil, sondern tritt an bedeutenden Entwicklungsmomenten und Wende¬
punkten mit sittlichen Betrachtungen aus; da er aber aus dem bei der Hand¬
lung lebhaft interessirten Volk besteht, und nicht kalt von außen Herzutritt,
gewinnt die Betrachtung stets an declamatorischcm und dramatischem Leben,
so daß die Chöre, der Bewegung in der Handlung unmittelbar sich anschließend,
ist der Chor doch stets die Resultate und Höhepunkte der einzelnen Scenen
werden. So hier der Vertreter der sittlichen Ideen, die von den handelnden
Personen entweder bethätigt oder verneint werden, und in den Chören ruht
somit gewissermaßen der religiöse Inhalt des Werkes.

Schilderungen von Einzelheiten des Werkes würden mit hier unmöglichen
Notenbeispielen verbunden sein müssen, deshalb stehe ich davon ab; es ist
vorauszusetzen, daß die Ausgabe baldige Verbreitung finden wird, und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/504>, abgerufen am 28.12.2024.