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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Die Prophezeiung war nur ein Traum. Die Geschichte läßt sich nicht
mit frommen Wünschen aufhalten. Die nächste Gestalt, in der sie den heili¬
gen Berg sehen ließ, war wieder in Schatten gehüllt. Die Assyrer kamen,
aber nicht um Gott zu dienen, sondern um ihn zu berauben. König Hiskias
wußte ihren Abzug mit den Schätzen des Hauses Jehovah erkaufen, und nun
blieb der Moriah und sein Tempel mit Dämmerung umdüstert, bis das Wetter
von Babylon kam und den Prachtbau Salomos in einen Trünnnerberg ver¬
wandelte. Schweigen und Verödung lagerten sich über die Stätte des Opfer¬
jubels und der goldnen Herrlichkeit. Des Augenlichts beraubt wurde der letzte
König Judas als Gefangner in die Fremde geführt. Statt des Halleluja,
das einst den Vorhof durchrauscht, klagte im Winde von Norden her der
Jammer des verbannten Volkes: "An den Wassern von Babylon saßen wir
und weineten, wenn wir an Zion gedachten."

Von neuem begann der heilige Hügel zu leuchten, aber die Sonne der
Propheten war untergegangen auf Nimmerwiederkehr, Das Licht, das den
neuen Tempel umgab, war dürftiges Mondlicht, das Volk, das in ihm betete,
ein gcbrochnes. Auch der heldenmüthige Nebellengeist der Makkabüer weiß,
wie sein Name andeutet, nur zuschlagen, nicht zu bauen. Wo die Propheten
sich mit Adlersschwung zu dem Gedanken der Weltherrschaft des Hebräervolks
erhoben, grübeln Rabbinen über kleinlichen Spitzfindigkeiten, heuchelt und
frömmelt der Pharisäer, lacht spöttisch über die Grundgedanken der alten
Religion ein bwsirtes Sadducäerthum, bereitet sich langsam der völlige Unter¬
gang der Nation vor. Noch einmal strahlt der Tempel von königlicher Pracht.
Der Bau Herodes des Großen ist großartiger als der salomonische. Doppelte
und dreifache Säulenhallen schließen ihn ein. Es fehlt nicht an Gold- und
Silberschmuck und köstlichen Steinarten. Aber der Erbauer ist ein fremder
Fürst, die Säulen und Hallen sind der Ausdruck fremden Geistes, das Aller-
hnligste ist leer, wie das Herz des Volkes, das in ihm sein Palladium erblickt.
Jerusalem tödtet die Propheten und steinigt, die zu ihm gesandt sind -- es
tödtet auch den. der mit dem Bewußtsein, der von den Propheten verheißene
Retter zu sein, zu seiner Erneuerung in Glauben und Handeln auftritt. Es
bleibt nichts übrig als starrer Trotz, ohnmächtiger Ingrimm gegen das siegreiche
Heidenthum. Der Abend neigt sich zur Nacht. Schwüle liegt um den heiligen
Berg, über das ganze heilige Land. Falsche Propheten ziehen mit der Fackel
der Empörung umher. Rotten bilden sich und aus den Rotten Heere. Die
Revolution wälzt sich nach der Hauptstadt, nach dem Tempelberg, um hier
nach grausigen Verzweiflungskrämpfcn in einem Meer von Mord und Brand
SU ersticken. Das Volk ist blutend verstummt. Von seinem Tempel ist das
Wort erfüllt: Es wird kein Stein auf dem andern bleiben. Auf den Trümmer¬
haufen des Moriahgipfcls baut ein römischer Imperator ein Haus für Jupiter.


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Die Prophezeiung war nur ein Traum. Die Geschichte läßt sich nicht
mit frommen Wünschen aufhalten. Die nächste Gestalt, in der sie den heili¬
gen Berg sehen ließ, war wieder in Schatten gehüllt. Die Assyrer kamen,
aber nicht um Gott zu dienen, sondern um ihn zu berauben. König Hiskias
wußte ihren Abzug mit den Schätzen des Hauses Jehovah erkaufen, und nun
blieb der Moriah und sein Tempel mit Dämmerung umdüstert, bis das Wetter
von Babylon kam und den Prachtbau Salomos in einen Trünnnerberg ver¬
wandelte. Schweigen und Verödung lagerten sich über die Stätte des Opfer¬
jubels und der goldnen Herrlichkeit. Des Augenlichts beraubt wurde der letzte
König Judas als Gefangner in die Fremde geführt. Statt des Halleluja,
das einst den Vorhof durchrauscht, klagte im Winde von Norden her der
Jammer des verbannten Volkes: „An den Wassern von Babylon saßen wir
und weineten, wenn wir an Zion gedachten."

Von neuem begann der heilige Hügel zu leuchten, aber die Sonne der
Propheten war untergegangen auf Nimmerwiederkehr, Das Licht, das den
neuen Tempel umgab, war dürftiges Mondlicht, das Volk, das in ihm betete,
ein gcbrochnes. Auch der heldenmüthige Nebellengeist der Makkabüer weiß,
wie sein Name andeutet, nur zuschlagen, nicht zu bauen. Wo die Propheten
sich mit Adlersschwung zu dem Gedanken der Weltherrschaft des Hebräervolks
erhoben, grübeln Rabbinen über kleinlichen Spitzfindigkeiten, heuchelt und
frömmelt der Pharisäer, lacht spöttisch über die Grundgedanken der alten
Religion ein bwsirtes Sadducäerthum, bereitet sich langsam der völlige Unter¬
gang der Nation vor. Noch einmal strahlt der Tempel von königlicher Pracht.
Der Bau Herodes des Großen ist großartiger als der salomonische. Doppelte
und dreifache Säulenhallen schließen ihn ein. Es fehlt nicht an Gold- und
Silberschmuck und köstlichen Steinarten. Aber der Erbauer ist ein fremder
Fürst, die Säulen und Hallen sind der Ausdruck fremden Geistes, das Aller-
hnligste ist leer, wie das Herz des Volkes, das in ihm sein Palladium erblickt.
Jerusalem tödtet die Propheten und steinigt, die zu ihm gesandt sind — es
tödtet auch den. der mit dem Bewußtsein, der von den Propheten verheißene
Retter zu sein, zu seiner Erneuerung in Glauben und Handeln auftritt. Es
bleibt nichts übrig als starrer Trotz, ohnmächtiger Ingrimm gegen das siegreiche
Heidenthum. Der Abend neigt sich zur Nacht. Schwüle liegt um den heiligen
Berg, über das ganze heilige Land. Falsche Propheten ziehen mit der Fackel
der Empörung umher. Rotten bilden sich und aus den Rotten Heere. Die
Revolution wälzt sich nach der Hauptstadt, nach dem Tempelberg, um hier
nach grausigen Verzweiflungskrämpfcn in einem Meer von Mord und Brand
SU ersticken. Das Volk ist blutend verstummt. Von seinem Tempel ist das
Wort erfüllt: Es wird kein Stein auf dem andern bleiben. Auf den Trümmer¬
haufen des Moriahgipfcls baut ein römischer Imperator ein Haus für Jupiter.


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[0489] Die Prophezeiung war nur ein Traum. Die Geschichte läßt sich nicht mit frommen Wünschen aufhalten. Die nächste Gestalt, in der sie den heili¬ gen Berg sehen ließ, war wieder in Schatten gehüllt. Die Assyrer kamen, aber nicht um Gott zu dienen, sondern um ihn zu berauben. König Hiskias wußte ihren Abzug mit den Schätzen des Hauses Jehovah erkaufen, und nun blieb der Moriah und sein Tempel mit Dämmerung umdüstert, bis das Wetter von Babylon kam und den Prachtbau Salomos in einen Trünnnerberg ver¬ wandelte. Schweigen und Verödung lagerten sich über die Stätte des Opfer¬ jubels und der goldnen Herrlichkeit. Des Augenlichts beraubt wurde der letzte König Judas als Gefangner in die Fremde geführt. Statt des Halleluja, das einst den Vorhof durchrauscht, klagte im Winde von Norden her der Jammer des verbannten Volkes: „An den Wassern von Babylon saßen wir und weineten, wenn wir an Zion gedachten." Von neuem begann der heilige Hügel zu leuchten, aber die Sonne der Propheten war untergegangen auf Nimmerwiederkehr, Das Licht, das den neuen Tempel umgab, war dürftiges Mondlicht, das Volk, das in ihm betete, ein gcbrochnes. Auch der heldenmüthige Nebellengeist der Makkabüer weiß, wie sein Name andeutet, nur zuschlagen, nicht zu bauen. Wo die Propheten sich mit Adlersschwung zu dem Gedanken der Weltherrschaft des Hebräervolks erhoben, grübeln Rabbinen über kleinlichen Spitzfindigkeiten, heuchelt und frömmelt der Pharisäer, lacht spöttisch über die Grundgedanken der alten Religion ein bwsirtes Sadducäerthum, bereitet sich langsam der völlige Unter¬ gang der Nation vor. Noch einmal strahlt der Tempel von königlicher Pracht. Der Bau Herodes des Großen ist großartiger als der salomonische. Doppelte und dreifache Säulenhallen schließen ihn ein. Es fehlt nicht an Gold- und Silberschmuck und köstlichen Steinarten. Aber der Erbauer ist ein fremder Fürst, die Säulen und Hallen sind der Ausdruck fremden Geistes, das Aller- hnligste ist leer, wie das Herz des Volkes, das in ihm sein Palladium erblickt. Jerusalem tödtet die Propheten und steinigt, die zu ihm gesandt sind — es tödtet auch den. der mit dem Bewußtsein, der von den Propheten verheißene Retter zu sein, zu seiner Erneuerung in Glauben und Handeln auftritt. Es bleibt nichts übrig als starrer Trotz, ohnmächtiger Ingrimm gegen das siegreiche Heidenthum. Der Abend neigt sich zur Nacht. Schwüle liegt um den heiligen Berg, über das ganze heilige Land. Falsche Propheten ziehen mit der Fackel der Empörung umher. Rotten bilden sich und aus den Rotten Heere. Die Revolution wälzt sich nach der Hauptstadt, nach dem Tempelberg, um hier nach grausigen Verzweiflungskrämpfcn in einem Meer von Mord und Brand SU ersticken. Das Volk ist blutend verstummt. Von seinem Tempel ist das Wort erfüllt: Es wird kein Stein auf dem andern bleiben. Auf den Trümmer¬ haufen des Moriahgipfcls baut ein römischer Imperator ein Haus für Jupiter. 60"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/489>, abgerufen am 22.07.2024.