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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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vom gröbsten Tuch, der eine grautuchne, der andere lichtblaue baumwollne
Hosen, einige breite rothe Streifen, andre schmale, noch andere gar keine
daran. Manche hatten schwarzes, manche wieder weißes Lederzeug, manche
Strümpfe in den zerlaufenen Schuhen, manche bloße Füße darin. Einer und
der andere hatte sogar die Schuhe zu Pantoffeln umgetreten. Dabei waren
sie indeß meist recht gut gelaunt, und an der einen Stelle sah ich sie selbst
tanzen.

Etwa tausend Schritt vom Thore kam ich zu einem kleinen viereckigen
Zelt, welches die Judenschaft, die sich auch hier nicht nehmen ließ, eine
Rolle zu spielen, aus golddurchwirkten, etwas verblichnen Decken, dem An¬
schein nach Synagogenvorhängen, errichtet hatte, und in dem ein langbärti¬
ger Hebräer ein weißgedecktes Tischchen hütete, auf welchem, von einer Ser¬
viette verhüllt, eine Torte stand. Ob die guten Leute hofften, der Großfürst
werde sich an den Tisch setzen und die Torte verspeisen, oder ob sie die Ab¬
sicht hatten, sie ihm sür die Frau Gemahlin und den kleinen Großfürsten
Mit nach Jerusalem zu geben, weiß ich nicht. Jedenfalls sollte dem Prinzen
damit eine Ehre angethan werden, und der Hüter wies sie den vorüber¬
gehenden Glaubensgenossen mit nicht geringem Behagen.

Etwas weiter westlich hatte der Pascha links vom Wege nach Jaffa ein
großes grünes Zelt aufschlagen lassen, welches, halb offen nach der Straße,
einige Divane mit gelbseidenem Ueberzug sehen ließ, auf denen ein halbes
Dutzend vornehme Moslemin, die Spitzen der hiesigen Regierungsbehörden,
saßen. Vor dem Zelte lagerte ein zweites Detachement türkischer Infanterie
und eine Abtheilung Artillerie mit zwei kleinen Kanonen. Daneben stand ein
anderes Zelt, wo man Erfrischungen bereit hielt, und noch einige hundert
Schritt weiter von der Stadt befand sich ein drittes, wo der griechische Patri¬
arch den Großfürsten erwartete. Hier sah es noch bunter aus, als in der
unmittelbaren Nachbarschaft des Thores. Türkische Soldaten hielten Pferde
mit golddurchwirkten Schabracken, russische und griechische Geistliche mit hohen
Popenmützen ritten auf Maulthieren hin und her, Oberoffiziere mit dicken
Epauletten und breiten Tressen an den^Hosennäthen kamen und gingen. Un-
ter den Olivcnbüumen zur Seite saßen Gruppen von allen Farben. Von der
Stadt her, über welcher sämmtliche Consulatsflaggen flatterten, flutete ein
Strom von Reitern und Fußgängern. Allmälig stellten sich auch die Kon¬
suln mit ihrer Kawaschenbegleitung ein: zuerst der spanische, ein großer
brauner Herr mit einem ungeheuren dreieckigen Hut, der, wie mir später ver¬
rathen wurde, erst Tags vorher aus zwei alten Velpelcylindern von dem Schnei¬
der des Besitzers kunstreich erbaut worden war; dann der englische, dann
Herr v. Pizzcnnano mit seinem Dragoman, beide in ihren grünen Waffen¬
röcken mit rothem Ausschlag und Kragen und ihren weiß und rothen Feder-


Grenzboten III. 18S9. 59

vom gröbsten Tuch, der eine grautuchne, der andere lichtblaue baumwollne
Hosen, einige breite rothe Streifen, andre schmale, noch andere gar keine
daran. Manche hatten schwarzes, manche wieder weißes Lederzeug, manche
Strümpfe in den zerlaufenen Schuhen, manche bloße Füße darin. Einer und
der andere hatte sogar die Schuhe zu Pantoffeln umgetreten. Dabei waren
sie indeß meist recht gut gelaunt, und an der einen Stelle sah ich sie selbst
tanzen.

Etwa tausend Schritt vom Thore kam ich zu einem kleinen viereckigen
Zelt, welches die Judenschaft, die sich auch hier nicht nehmen ließ, eine
Rolle zu spielen, aus golddurchwirkten, etwas verblichnen Decken, dem An¬
schein nach Synagogenvorhängen, errichtet hatte, und in dem ein langbärti¬
ger Hebräer ein weißgedecktes Tischchen hütete, auf welchem, von einer Ser¬
viette verhüllt, eine Torte stand. Ob die guten Leute hofften, der Großfürst
werde sich an den Tisch setzen und die Torte verspeisen, oder ob sie die Ab¬
sicht hatten, sie ihm sür die Frau Gemahlin und den kleinen Großfürsten
Mit nach Jerusalem zu geben, weiß ich nicht. Jedenfalls sollte dem Prinzen
damit eine Ehre angethan werden, und der Hüter wies sie den vorüber¬
gehenden Glaubensgenossen mit nicht geringem Behagen.

Etwas weiter westlich hatte der Pascha links vom Wege nach Jaffa ein
großes grünes Zelt aufschlagen lassen, welches, halb offen nach der Straße,
einige Divane mit gelbseidenem Ueberzug sehen ließ, auf denen ein halbes
Dutzend vornehme Moslemin, die Spitzen der hiesigen Regierungsbehörden,
saßen. Vor dem Zelte lagerte ein zweites Detachement türkischer Infanterie
und eine Abtheilung Artillerie mit zwei kleinen Kanonen. Daneben stand ein
anderes Zelt, wo man Erfrischungen bereit hielt, und noch einige hundert
Schritt weiter von der Stadt befand sich ein drittes, wo der griechische Patri¬
arch den Großfürsten erwartete. Hier sah es noch bunter aus, als in der
unmittelbaren Nachbarschaft des Thores. Türkische Soldaten hielten Pferde
mit golddurchwirkten Schabracken, russische und griechische Geistliche mit hohen
Popenmützen ritten auf Maulthieren hin und her, Oberoffiziere mit dicken
Epauletten und breiten Tressen an den^Hosennäthen kamen und gingen. Un-
ter den Olivcnbüumen zur Seite saßen Gruppen von allen Farben. Von der
Stadt her, über welcher sämmtliche Consulatsflaggen flatterten, flutete ein
Strom von Reitern und Fußgängern. Allmälig stellten sich auch die Kon¬
suln mit ihrer Kawaschenbegleitung ein: zuerst der spanische, ein großer
brauner Herr mit einem ungeheuren dreieckigen Hut, der, wie mir später ver¬
rathen wurde, erst Tags vorher aus zwei alten Velpelcylindern von dem Schnei¬
der des Besitzers kunstreich erbaut worden war; dann der englische, dann
Herr v. Pizzcnnano mit seinem Dragoman, beide in ihren grünen Waffen¬
röcken mit rothem Ausschlag und Kragen und ihren weiß und rothen Feder-


Grenzboten III. 18S9. 59
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[0479] vom gröbsten Tuch, der eine grautuchne, der andere lichtblaue baumwollne Hosen, einige breite rothe Streifen, andre schmale, noch andere gar keine daran. Manche hatten schwarzes, manche wieder weißes Lederzeug, manche Strümpfe in den zerlaufenen Schuhen, manche bloße Füße darin. Einer und der andere hatte sogar die Schuhe zu Pantoffeln umgetreten. Dabei waren sie indeß meist recht gut gelaunt, und an der einen Stelle sah ich sie selbst tanzen. Etwa tausend Schritt vom Thore kam ich zu einem kleinen viereckigen Zelt, welches die Judenschaft, die sich auch hier nicht nehmen ließ, eine Rolle zu spielen, aus golddurchwirkten, etwas verblichnen Decken, dem An¬ schein nach Synagogenvorhängen, errichtet hatte, und in dem ein langbärti¬ ger Hebräer ein weißgedecktes Tischchen hütete, auf welchem, von einer Ser¬ viette verhüllt, eine Torte stand. Ob die guten Leute hofften, der Großfürst werde sich an den Tisch setzen und die Torte verspeisen, oder ob sie die Ab¬ sicht hatten, sie ihm sür die Frau Gemahlin und den kleinen Großfürsten Mit nach Jerusalem zu geben, weiß ich nicht. Jedenfalls sollte dem Prinzen damit eine Ehre angethan werden, und der Hüter wies sie den vorüber¬ gehenden Glaubensgenossen mit nicht geringem Behagen. Etwas weiter westlich hatte der Pascha links vom Wege nach Jaffa ein großes grünes Zelt aufschlagen lassen, welches, halb offen nach der Straße, einige Divane mit gelbseidenem Ueberzug sehen ließ, auf denen ein halbes Dutzend vornehme Moslemin, die Spitzen der hiesigen Regierungsbehörden, saßen. Vor dem Zelte lagerte ein zweites Detachement türkischer Infanterie und eine Abtheilung Artillerie mit zwei kleinen Kanonen. Daneben stand ein anderes Zelt, wo man Erfrischungen bereit hielt, und noch einige hundert Schritt weiter von der Stadt befand sich ein drittes, wo der griechische Patri¬ arch den Großfürsten erwartete. Hier sah es noch bunter aus, als in der unmittelbaren Nachbarschaft des Thores. Türkische Soldaten hielten Pferde mit golddurchwirkten Schabracken, russische und griechische Geistliche mit hohen Popenmützen ritten auf Maulthieren hin und her, Oberoffiziere mit dicken Epauletten und breiten Tressen an den^Hosennäthen kamen und gingen. Un- ter den Olivcnbüumen zur Seite saßen Gruppen von allen Farben. Von der Stadt her, über welcher sämmtliche Consulatsflaggen flatterten, flutete ein Strom von Reitern und Fußgängern. Allmälig stellten sich auch die Kon¬ suln mit ihrer Kawaschenbegleitung ein: zuerst der spanische, ein großer brauner Herr mit einem ungeheuren dreieckigen Hut, der, wie mir später ver¬ rathen wurde, erst Tags vorher aus zwei alten Velpelcylindern von dem Schnei¬ der des Besitzers kunstreich erbaut worden war; dann der englische, dann Herr v. Pizzcnnano mit seinem Dragoman, beide in ihren grünen Waffen¬ röcken mit rothem Ausschlag und Kragen und ihren weiß und rothen Feder- Grenzboten III. 18S9. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/479>, abgerufen am 23.07.2024.