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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Machtstellung nicht behaupten könne, so lange es sich auf die Landwehrorgani¬
sation stützen müsse. Diese verlangt ein starkes stehendes Heer rundweg.'

Das, nun grade auf dieses Ziel hin alle Bestrebungen widerdieLand¬
wehr in neuester Zeit mit besonderer Stärke steuern -- nicht etwa blos auf
eine einheitlichere Anordnung des Neservesystems -- ist bekannt genug. Es liegt
uns ein Schriftchen vor. welches Ende des vorigen oder Anfangs dieses
Jahres erschienen ist und vielleicht als ein ministerielles Ballon d'Essai in der
wichtigen Frage angesehen werden darf. Die Broschüre heißt: Der Militär-
staat. Berlin 1859. Ferdinand Schneider, und führt das Motto aus Friedrichs
des Großen Schriften: ?on^urs en vscketts! Der Verfasser hebt besonders
hervor: "daß ja eine Armee wesentlich als Nachdrucksmittel der Politik be¬
trachtet werden müßte, daß eine Continentalmacht oft in den Fall komme,
Demonstrationen machen zu müssen, auch wenn si e nicht schlagen will-
Eine Landwehr sei aber dazu nicht geeignet, weil die Mobilifirung derselbe"
immer einige Aufregung hervorrufe, und weil man dabei immer auf das mo-
ralische Element der Begeisterung rechnen müsse, welches man sich doch f>"
die Noth aufsparen solle!" Wir fragen, ist denn Preußen durch sein Land¬
wehrsystem jemals gehindert worden, Demonstrationen zu machen? und hat
es nicht, trotz seines Landwehrsystems, recht viele Demonstrationen gemacht,
denen kein Zuschlagen folgen sollte? Wenn das Landwehrsystem diese De¬
monstrationen wirklich unmöglich machte, so wäre das einer seiner unschätzbarste"
Vorzüge. Auch die Begeisterung, welche man sich für den Fall der Noth
aufsparen soll, hätte Preußen schon verschiedene Male sehr gut haben könne"'
wenn es eine große nationale Politik verfolgte. Wir können unserm Land-
wehrvertilger hier unmöglich auf allen seinen Kreuz- und Quersprüngen folge"'
Wir begnügen uns zu bemerken, daß er Geld, viel Geld für den MUitärelat
verlangt, um die nothwendigen (?) Aenderungen im preußischen Heerwesen z"
bewerkstelligen, daß er von der Marine (die doch recht eigentlich das Werkzeug
zu vernünftigen Demonstrationen wäre) nichts wissen will, und daß er auf
die Frage, welche Aenderungen denn im preußischen Heerwesen vorgenonniic"
werden sollen, was an die Stelle des Landwehrsystems treten soll, jegliche
Antwort schuldig bleibt.

Und da liegt eben der Hase im Pfeffer. Darauf wissen verschiedene
andere Leute auch keine Antwort zu geben. Wir wollen uns einmal ein wenig
in der Geschichte zu orientiren suchen, indem wir uns andrer Orten umsehe"'
Wie wäre es z. B. mit dem östreichischen System? Es existiren nur Linie"'
truppen; achtjährige Dienstzeit, dreijährige Präsenz, wie gegenwärtig in Pfü¬
tzen. Dann zweijährige Verpflichtung zur Reserve, die nur durch ausdrückliche
Ordre des Regenten aufgeboten wird. Also die ganze Dieustverpflichtung er¬
streckt sich auf zehn Jahre. Jetzt gebietet Preußen bei Mobilifirung seiner


Machtstellung nicht behaupten könne, so lange es sich auf die Landwehrorgani¬
sation stützen müsse. Diese verlangt ein starkes stehendes Heer rundweg.'

Das, nun grade auf dieses Ziel hin alle Bestrebungen widerdieLand¬
wehr in neuester Zeit mit besonderer Stärke steuern — nicht etwa blos auf
eine einheitlichere Anordnung des Neservesystems — ist bekannt genug. Es liegt
uns ein Schriftchen vor. welches Ende des vorigen oder Anfangs dieses
Jahres erschienen ist und vielleicht als ein ministerielles Ballon d'Essai in der
wichtigen Frage angesehen werden darf. Die Broschüre heißt: Der Militär-
staat. Berlin 1859. Ferdinand Schneider, und führt das Motto aus Friedrichs
des Großen Schriften: ?on^urs en vscketts! Der Verfasser hebt besonders
hervor: „daß ja eine Armee wesentlich als Nachdrucksmittel der Politik be¬
trachtet werden müßte, daß eine Continentalmacht oft in den Fall komme,
Demonstrationen machen zu müssen, auch wenn si e nicht schlagen will-
Eine Landwehr sei aber dazu nicht geeignet, weil die Mobilifirung derselbe»
immer einige Aufregung hervorrufe, und weil man dabei immer auf das mo-
ralische Element der Begeisterung rechnen müsse, welches man sich doch f>"
die Noth aufsparen solle!" Wir fragen, ist denn Preußen durch sein Land¬
wehrsystem jemals gehindert worden, Demonstrationen zu machen? und hat
es nicht, trotz seines Landwehrsystems, recht viele Demonstrationen gemacht,
denen kein Zuschlagen folgen sollte? Wenn das Landwehrsystem diese De¬
monstrationen wirklich unmöglich machte, so wäre das einer seiner unschätzbarste»
Vorzüge. Auch die Begeisterung, welche man sich für den Fall der Noth
aufsparen soll, hätte Preußen schon verschiedene Male sehr gut haben könne»'
wenn es eine große nationale Politik verfolgte. Wir können unserm Land-
wehrvertilger hier unmöglich auf allen seinen Kreuz- und Quersprüngen folge»'
Wir begnügen uns zu bemerken, daß er Geld, viel Geld für den MUitärelat
verlangt, um die nothwendigen (?) Aenderungen im preußischen Heerwesen z»
bewerkstelligen, daß er von der Marine (die doch recht eigentlich das Werkzeug
zu vernünftigen Demonstrationen wäre) nichts wissen will, und daß er auf
die Frage, welche Aenderungen denn im preußischen Heerwesen vorgenonniic»
werden sollen, was an die Stelle des Landwehrsystems treten soll, jegliche
Antwort schuldig bleibt.

Und da liegt eben der Hase im Pfeffer. Darauf wissen verschiedene
andere Leute auch keine Antwort zu geben. Wir wollen uns einmal ein wenig
in der Geschichte zu orientiren suchen, indem wir uns andrer Orten umsehe"'
Wie wäre es z. B. mit dem östreichischen System? Es existiren nur Linie»'
truppen; achtjährige Dienstzeit, dreijährige Präsenz, wie gegenwärtig in Pfü¬
tzen. Dann zweijährige Verpflichtung zur Reserve, die nur durch ausdrückliche
Ordre des Regenten aufgeboten wird. Also die ganze Dieustverpflichtung er¬
streckt sich auf zehn Jahre. Jetzt gebietet Preußen bei Mobilifirung seiner


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[0364] Machtstellung nicht behaupten könne, so lange es sich auf die Landwehrorgani¬ sation stützen müsse. Diese verlangt ein starkes stehendes Heer rundweg.' Das, nun grade auf dieses Ziel hin alle Bestrebungen widerdieLand¬ wehr in neuester Zeit mit besonderer Stärke steuern — nicht etwa blos auf eine einheitlichere Anordnung des Neservesystems — ist bekannt genug. Es liegt uns ein Schriftchen vor. welches Ende des vorigen oder Anfangs dieses Jahres erschienen ist und vielleicht als ein ministerielles Ballon d'Essai in der wichtigen Frage angesehen werden darf. Die Broschüre heißt: Der Militär- staat. Berlin 1859. Ferdinand Schneider, und führt das Motto aus Friedrichs des Großen Schriften: ?on^urs en vscketts! Der Verfasser hebt besonders hervor: „daß ja eine Armee wesentlich als Nachdrucksmittel der Politik be¬ trachtet werden müßte, daß eine Continentalmacht oft in den Fall komme, Demonstrationen machen zu müssen, auch wenn si e nicht schlagen will- Eine Landwehr sei aber dazu nicht geeignet, weil die Mobilifirung derselbe» immer einige Aufregung hervorrufe, und weil man dabei immer auf das mo- ralische Element der Begeisterung rechnen müsse, welches man sich doch f>" die Noth aufsparen solle!" Wir fragen, ist denn Preußen durch sein Land¬ wehrsystem jemals gehindert worden, Demonstrationen zu machen? und hat es nicht, trotz seines Landwehrsystems, recht viele Demonstrationen gemacht, denen kein Zuschlagen folgen sollte? Wenn das Landwehrsystem diese De¬ monstrationen wirklich unmöglich machte, so wäre das einer seiner unschätzbarste» Vorzüge. Auch die Begeisterung, welche man sich für den Fall der Noth aufsparen soll, hätte Preußen schon verschiedene Male sehr gut haben könne»' wenn es eine große nationale Politik verfolgte. Wir können unserm Land- wehrvertilger hier unmöglich auf allen seinen Kreuz- und Quersprüngen folge»' Wir begnügen uns zu bemerken, daß er Geld, viel Geld für den MUitärelat verlangt, um die nothwendigen (?) Aenderungen im preußischen Heerwesen z» bewerkstelligen, daß er von der Marine (die doch recht eigentlich das Werkzeug zu vernünftigen Demonstrationen wäre) nichts wissen will, und daß er auf die Frage, welche Aenderungen denn im preußischen Heerwesen vorgenonniic» werden sollen, was an die Stelle des Landwehrsystems treten soll, jegliche Antwort schuldig bleibt. Und da liegt eben der Hase im Pfeffer. Darauf wissen verschiedene andere Leute auch keine Antwort zu geben. Wir wollen uns einmal ein wenig in der Geschichte zu orientiren suchen, indem wir uns andrer Orten umsehe"' Wie wäre es z. B. mit dem östreichischen System? Es existiren nur Linie»' truppen; achtjährige Dienstzeit, dreijährige Präsenz, wie gegenwärtig in Pfü¬ tzen. Dann zweijährige Verpflichtung zur Reserve, die nur durch ausdrückliche Ordre des Regenten aufgeboten wird. Also die ganze Dieustverpflichtung er¬ streckt sich auf zehn Jahre. Jetzt gebietet Preußen bei Mobilifirung seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/364>, abgerufen am 25.06.2024.