Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

^n Ausdehnung. Auf den aachner Kanzelreliefs ist Venus ganz nackt, nur
^'t einem Schoßtuch bekleidet dargestellt, während ihr Schleier in den Lüften
flattert.

Auch das Gepräge der Münzen, ihre Form wie ihre Geltung lehnte sich
an das römische Herkommen an. Nach Beseitigung des ehemaligen Tausch¬
handels curfirte römisches Geld bereits zu Tacitus Zeiten an Deutschlands Gren¬
zn. Die zahlreichen römischen Münzfunde im Innern des Landes zeigen, daß
dieses leichtere Verkehrsmittel bei den Germanen bald Anerkennung und Bei-
s^l fand. Im Frankenlande behielt Chlodwig, wie bekannt, den ganzen
Staatsorganismus des gesunkenen Kaiserreiches in dem von ihm erroberten
Gallien auch in administrativer Hinsicht bei. Um so weniger brauchte er Un¬
band zu nehmen, auch Nachbildungen der römischen Kaisermünzen schlagen zu las-
^- Auf diese Weise ist das römische Münzwesen sogar bis auf den Ursprüng¬
en Namen der einzelnen Stücke in wenig veränderter Einrichtung auf die
Stämme der Deutschen übergegangen. Die alten Münzzeichen sind freilich von
^tjprechenden christlichen verdrängt worden. Statt des Kopfes der Pallas,
Biga und ähnlicher Dinge kommt auf ihnen das Kreuz, oder die Kirche
^bst dxin Namen oder dem Monogramm des Königs zum Vorschein, das
^'Ustoild tritt erst später wieder hervor.

Es mag richtig sein, was Schnaase behauptet, daß auch die Musik nicht
^Ur zur Zeit der Karolinger, sondern sogar das ganze Mittelalter hindurch an
Antiken Ueberlieferungen, die seiner Meinung nach für den Ausdruck des christ-
>chen Gefühls unzureichend waren, haftete. Die analoge Erscheinung in den
^'Ager Gebieten künstlerischer Thätigkeit mag uns zu der Voraussetzung be-
^astigen; ein Stricker Beweis dafür möchte indeß bei der höchst unzureichenden
'^"ntniß von der Musik der alten Völker und des frühen Mittelalters schwer
führen sein. Auch das Unbefriedigtsein des christlichen Gefühls können wir
auf Treu und Glauben hinnehmen.

Um so mehr freut es uns. diesen Beweis antiker Abkunft bei der stabil¬
en aller Künste um so genügender antreten zu können. Die Denkmale der
Zukunft, die nicht nur Jahrhunderten, sondern Jahrtausenden trotzen, geben
^ die Möglichkeit dazu an die Hand. Diese stummen Zeugen sind zugleich
die
derunbestechlichsten und gestatten uns die sichersten Schlüsse auf den Geist
^ gangmer Zeiten, der sie ins Leben rief. Das wichtigste und bedeutendste
^nkmal Deutschlands ist für uns die im neunten Jahrhundert errichtete Grav-
König Ludwigs zu Lorsch im Großherzogthum Hessen, ein Bau, welcher
^leer Archäologen lange Zeit ein Stein des Anstoßes war. Erst dem Scharf-
" Savelsbergs glückte es, uns über ihre Entstehung, Bedeutung und
^'N aufzuklären. Die Entstehungszeit dieses seltsamen Gebäudes haben unsre
^lehrten nur darum fälschlich in eine bedeutend spätere Periode ver-


39*

^n Ausdehnung. Auf den aachner Kanzelreliefs ist Venus ganz nackt, nur
^'t einem Schoßtuch bekleidet dargestellt, während ihr Schleier in den Lüften
flattert.

Auch das Gepräge der Münzen, ihre Form wie ihre Geltung lehnte sich
an das römische Herkommen an. Nach Beseitigung des ehemaligen Tausch¬
handels curfirte römisches Geld bereits zu Tacitus Zeiten an Deutschlands Gren¬
zn. Die zahlreichen römischen Münzfunde im Innern des Landes zeigen, daß
dieses leichtere Verkehrsmittel bei den Germanen bald Anerkennung und Bei-
s^l fand. Im Frankenlande behielt Chlodwig, wie bekannt, den ganzen
Staatsorganismus des gesunkenen Kaiserreiches in dem von ihm erroberten
Gallien auch in administrativer Hinsicht bei. Um so weniger brauchte er Un¬
band zu nehmen, auch Nachbildungen der römischen Kaisermünzen schlagen zu las-
^- Auf diese Weise ist das römische Münzwesen sogar bis auf den Ursprüng¬
en Namen der einzelnen Stücke in wenig veränderter Einrichtung auf die
Stämme der Deutschen übergegangen. Die alten Münzzeichen sind freilich von
^tjprechenden christlichen verdrängt worden. Statt des Kopfes der Pallas,
Biga und ähnlicher Dinge kommt auf ihnen das Kreuz, oder die Kirche
^bst dxin Namen oder dem Monogramm des Königs zum Vorschein, das
^'Ustoild tritt erst später wieder hervor.

Es mag richtig sein, was Schnaase behauptet, daß auch die Musik nicht
^Ur zur Zeit der Karolinger, sondern sogar das ganze Mittelalter hindurch an
Antiken Ueberlieferungen, die seiner Meinung nach für den Ausdruck des christ-
>chen Gefühls unzureichend waren, haftete. Die analoge Erscheinung in den
^'Ager Gebieten künstlerischer Thätigkeit mag uns zu der Voraussetzung be-
^astigen; ein Stricker Beweis dafür möchte indeß bei der höchst unzureichenden
'^"ntniß von der Musik der alten Völker und des frühen Mittelalters schwer
führen sein. Auch das Unbefriedigtsein des christlichen Gefühls können wir
auf Treu und Glauben hinnehmen.

Um so mehr freut es uns. diesen Beweis antiker Abkunft bei der stabil¬
en aller Künste um so genügender antreten zu können. Die Denkmale der
Zukunft, die nicht nur Jahrhunderten, sondern Jahrtausenden trotzen, geben
^ die Möglichkeit dazu an die Hand. Diese stummen Zeugen sind zugleich
die
derunbestechlichsten und gestatten uns die sichersten Schlüsse auf den Geist
^ gangmer Zeiten, der sie ins Leben rief. Das wichtigste und bedeutendste
^nkmal Deutschlands ist für uns die im neunten Jahrhundert errichtete Grav-
König Ludwigs zu Lorsch im Großherzogthum Hessen, ein Bau, welcher
^leer Archäologen lange Zeit ein Stein des Anstoßes war. Erst dem Scharf-
" Savelsbergs glückte es, uns über ihre Entstehung, Bedeutung und
^'N aufzuklären. Die Entstehungszeit dieses seltsamen Gebäudes haben unsre
^lehrten nur darum fälschlich in eine bedeutend spätere Periode ver-


39*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107907"/>
          <p xml:id="ID_1058" prev="#ID_1057"> ^n Ausdehnung. Auf den aachner Kanzelreliefs ist Venus ganz nackt, nur<lb/>
^'t einem Schoßtuch bekleidet dargestellt, während ihr Schleier in den Lüften<lb/>
flattert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1059"> Auch das Gepräge der Münzen, ihre Form wie ihre Geltung lehnte sich<lb/>
an das römische Herkommen an. Nach Beseitigung des ehemaligen Tausch¬<lb/>
handels curfirte römisches Geld bereits zu Tacitus Zeiten an Deutschlands Gren¬<lb/>
zn. Die zahlreichen römischen Münzfunde im Innern des Landes zeigen, daß<lb/>
dieses leichtere Verkehrsmittel bei den Germanen bald Anerkennung und Bei-<lb/>
s^l fand. Im Frankenlande behielt Chlodwig, wie bekannt, den ganzen<lb/>
Staatsorganismus des gesunkenen Kaiserreiches in dem von ihm erroberten<lb/>
Gallien auch in administrativer Hinsicht bei. Um so weniger brauchte er Un¬<lb/>
band zu nehmen, auch Nachbildungen der römischen Kaisermünzen schlagen zu las-<lb/>
^- Auf diese Weise ist das römische Münzwesen sogar bis auf den Ursprüng¬<lb/>
en Namen der einzelnen Stücke in wenig veränderter Einrichtung auf die<lb/>
Stämme der Deutschen übergegangen. Die alten Münzzeichen sind freilich von<lb/>
^tjprechenden christlichen verdrängt worden.  Statt des Kopfes der Pallas,<lb/>
Biga und ähnlicher Dinge kommt auf ihnen das Kreuz, oder die Kirche<lb/>
^bst dxin Namen oder dem Monogramm des Königs zum Vorschein, das<lb/>
^'Ustoild tritt erst später wieder hervor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1060"> Es mag richtig sein, was Schnaase behauptet, daß auch die Musik nicht<lb/>
^Ur zur Zeit der Karolinger, sondern sogar das ganze Mittelalter hindurch an<lb/>
Antiken Ueberlieferungen, die seiner Meinung nach für den Ausdruck des christ-<lb/>
&gt;chen Gefühls unzureichend waren, haftete. Die analoge Erscheinung in den<lb/>
^'Ager Gebieten künstlerischer Thätigkeit mag uns zu der Voraussetzung be-<lb/>
^astigen; ein Stricker Beweis dafür möchte indeß bei der höchst unzureichenden<lb/>
'^"ntniß von der Musik der alten Völker und des frühen Mittelalters schwer<lb/>
führen sein.  Auch das Unbefriedigtsein des christlichen Gefühls können wir<lb/>
auf Treu und Glauben hinnehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1061" next="#ID_1062"> Um so mehr freut es uns. diesen Beweis antiker Abkunft bei der stabil¬<lb/>
en aller Künste um so genügender antreten zu können.  Die Denkmale der<lb/>
Zukunft, die nicht nur Jahrhunderten, sondern Jahrtausenden trotzen, geben<lb/>
^ die Möglichkeit dazu an die Hand.  Diese stummen Zeugen sind zugleich<lb/>
die<lb/>
derunbestechlichsten und gestatten uns die sichersten Schlüsse auf den Geist<lb/>
^ gangmer Zeiten, der sie ins Leben rief.  Das wichtigste und bedeutendste<lb/>
^nkmal Deutschlands ist für uns die im neunten Jahrhundert errichtete Grav-<lb/>
König Ludwigs zu Lorsch im Großherzogthum Hessen, ein Bau, welcher<lb/>
^leer Archäologen lange Zeit ein Stein des Anstoßes war.  Erst dem Scharf-<lb/>
" Savelsbergs glückte es, uns über ihre Entstehung, Bedeutung und<lb/>
^'N aufzuklären.  Die Entstehungszeit dieses seltsamen Gebäudes haben unsre<lb/>
^lehrten nur darum fälschlich in eine bedeutend spätere Periode ver-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 39*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321] ^n Ausdehnung. Auf den aachner Kanzelreliefs ist Venus ganz nackt, nur ^'t einem Schoßtuch bekleidet dargestellt, während ihr Schleier in den Lüften flattert. Auch das Gepräge der Münzen, ihre Form wie ihre Geltung lehnte sich an das römische Herkommen an. Nach Beseitigung des ehemaligen Tausch¬ handels curfirte römisches Geld bereits zu Tacitus Zeiten an Deutschlands Gren¬ zn. Die zahlreichen römischen Münzfunde im Innern des Landes zeigen, daß dieses leichtere Verkehrsmittel bei den Germanen bald Anerkennung und Bei- s^l fand. Im Frankenlande behielt Chlodwig, wie bekannt, den ganzen Staatsorganismus des gesunkenen Kaiserreiches in dem von ihm erroberten Gallien auch in administrativer Hinsicht bei. Um so weniger brauchte er Un¬ band zu nehmen, auch Nachbildungen der römischen Kaisermünzen schlagen zu las- ^- Auf diese Weise ist das römische Münzwesen sogar bis auf den Ursprüng¬ en Namen der einzelnen Stücke in wenig veränderter Einrichtung auf die Stämme der Deutschen übergegangen. Die alten Münzzeichen sind freilich von ^tjprechenden christlichen verdrängt worden. Statt des Kopfes der Pallas, Biga und ähnlicher Dinge kommt auf ihnen das Kreuz, oder die Kirche ^bst dxin Namen oder dem Monogramm des Königs zum Vorschein, das ^'Ustoild tritt erst später wieder hervor. Es mag richtig sein, was Schnaase behauptet, daß auch die Musik nicht ^Ur zur Zeit der Karolinger, sondern sogar das ganze Mittelalter hindurch an Antiken Ueberlieferungen, die seiner Meinung nach für den Ausdruck des christ- >chen Gefühls unzureichend waren, haftete. Die analoge Erscheinung in den ^'Ager Gebieten künstlerischer Thätigkeit mag uns zu der Voraussetzung be- ^astigen; ein Stricker Beweis dafür möchte indeß bei der höchst unzureichenden '^"ntniß von der Musik der alten Völker und des frühen Mittelalters schwer führen sein. Auch das Unbefriedigtsein des christlichen Gefühls können wir auf Treu und Glauben hinnehmen. Um so mehr freut es uns. diesen Beweis antiker Abkunft bei der stabil¬ en aller Künste um so genügender antreten zu können. Die Denkmale der Zukunft, die nicht nur Jahrhunderten, sondern Jahrtausenden trotzen, geben ^ die Möglichkeit dazu an die Hand. Diese stummen Zeugen sind zugleich die derunbestechlichsten und gestatten uns die sichersten Schlüsse auf den Geist ^ gangmer Zeiten, der sie ins Leben rief. Das wichtigste und bedeutendste ^nkmal Deutschlands ist für uns die im neunten Jahrhundert errichtete Grav- König Ludwigs zu Lorsch im Großherzogthum Hessen, ein Bau, welcher ^leer Archäologen lange Zeit ein Stein des Anstoßes war. Erst dem Scharf- " Savelsbergs glückte es, uns über ihre Entstehung, Bedeutung und ^'N aufzuklären. Die Entstehungszeit dieses seltsamen Gebäudes haben unsre ^lehrten nur darum fälschlich in eine bedeutend spätere Periode ver- 39*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/321
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/321>, abgerufen am 23.07.2024.