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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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holte die gewünschte Summe, rief das Mädchen bei Seite und zahlte ihr die¬
selbe in blanken Napoleons in die Schürze. Argwöhnische Gemüther hatten,
da die Person hübsch und leichtsinnig war, an unchristliche Nebenabsichten
gedacht. Sie hatten Unrecht. Es war das reine gute Werk des Katholiken,
sehr unüberlegt zwar, sehr originell und, da die Beschenkte in Jerusalem
blieb und sich später für die Summe statt eines Billets für den Dampfer,
vermuthlich einen schmucken Handwerker zum Mann kaufte, sehr unzweckmäßig
angebracht, aber ohne irgendwelche Hintergedanken als den Himmel. Der
Wohlthäter sah fortan das Mädchen kaum an, sie war ihm nur der Altar
gewesen, an dem er sein Gelübde gelöst hatte.'

Das grenzt, da unser Freund zwar bemittelt, aber keineswegs reich "M,
nahe an Unsinn. Wachtmeisterchen war aber nicht blos ein guter Katholik,
sondern zugleich ein guter Mensch, dessen Wunderlichkeiten man sehr bald über
seiner grundehrlichen Denkungsart, seiner milden, fast kindlichen Weise zu ur¬
theilen, und seiner stets dienstbereiten Gefälligkeit vergaß. In der That, er
wäre zu gut für diese Welt gewesen, wenn er nicht bisweilen gegen den ge'
funden Menschenverstand gesündigt hätte.

Der Schweizer war ein lieber Bekannter von Kairo und der Cheops-
Pyramide her, auf deren Gipfel wir zwei Jahre vorher zusammen auf das
Gedeihen Deutschlands und der Eidgenossenschaft getrunken hatten, und von
dein ich mir, als ich ihn später als Meßfrcmden in Leipzig begrüßt, nicht
hatte träumen lassen, daß ich seinem guten breiten Gesicht und seinem schnar¬
chenden Zürcherdeutsch auf dem Zion wieder begegnen würde. Der Ameri¬
kaner kam aus Kentucky, und zwar aus einer Gegend, in der ich ebenfalls
gewesen, und so fand sich auch bei ihm Gelegenheit, Reiseerinnerungen auf¬
zufrischen. Der Lieutenant endlich wurde mein getreuer Reisebegleiter von
Jerusalem nach Konstantinopel und zurück nach der Heimath.

Mit dem Pensionär als Führer begann ich am Morgen nach meiner
Ankunft meine Streifzüge durch die Stadt und ihre unmittelbare Umgebung-
wobei er die katholische Mvnchsüberlieferung, ich die protestantische Kritik ver¬
trat. Empfehlungsbriefe vermittelten andere Bekanntschaften. Einladungen
zum preußischen Consul und zu den Soireen des evangelischen Bischofs f"l)^
ten in die vornehme Gesellschaft Jerusalems ein. Die neuen Freunde zeigten,
was anfangs übersehen worden, erklärten, was zuerst unverständlich geblieben
war, und so entstand allmälig aus dem Gewirr von Einzelheiten, welches
die ersten Gänge durch die Stadt und die ersten Beobachtungen von Zustän¬
den und Persönlichkeiten im Gedächtniß aufhäuften, ein deutlicheres Bild des
Ganzen.

Jerusalem liegt ungefähr dritthalbtausend Fuß über dem Spiegel des
Mittelmeeres, von dessen Rande es etwas mehr als sechs deutsche Meilen ent-


holte die gewünschte Summe, rief das Mädchen bei Seite und zahlte ihr die¬
selbe in blanken Napoleons in die Schürze. Argwöhnische Gemüther hatten,
da die Person hübsch und leichtsinnig war, an unchristliche Nebenabsichten
gedacht. Sie hatten Unrecht. Es war das reine gute Werk des Katholiken,
sehr unüberlegt zwar, sehr originell und, da die Beschenkte in Jerusalem
blieb und sich später für die Summe statt eines Billets für den Dampfer,
vermuthlich einen schmucken Handwerker zum Mann kaufte, sehr unzweckmäßig
angebracht, aber ohne irgendwelche Hintergedanken als den Himmel. Der
Wohlthäter sah fortan das Mädchen kaum an, sie war ihm nur der Altar
gewesen, an dem er sein Gelübde gelöst hatte.'

Das grenzt, da unser Freund zwar bemittelt, aber keineswegs reich »M,
nahe an Unsinn. Wachtmeisterchen war aber nicht blos ein guter Katholik,
sondern zugleich ein guter Mensch, dessen Wunderlichkeiten man sehr bald über
seiner grundehrlichen Denkungsart, seiner milden, fast kindlichen Weise zu ur¬
theilen, und seiner stets dienstbereiten Gefälligkeit vergaß. In der That, er
wäre zu gut für diese Welt gewesen, wenn er nicht bisweilen gegen den ge'
funden Menschenverstand gesündigt hätte.

Der Schweizer war ein lieber Bekannter von Kairo und der Cheops-
Pyramide her, auf deren Gipfel wir zwei Jahre vorher zusammen auf das
Gedeihen Deutschlands und der Eidgenossenschaft getrunken hatten, und von
dein ich mir, als ich ihn später als Meßfrcmden in Leipzig begrüßt, nicht
hatte träumen lassen, daß ich seinem guten breiten Gesicht und seinem schnar¬
chenden Zürcherdeutsch auf dem Zion wieder begegnen würde. Der Ameri¬
kaner kam aus Kentucky, und zwar aus einer Gegend, in der ich ebenfalls
gewesen, und so fand sich auch bei ihm Gelegenheit, Reiseerinnerungen auf¬
zufrischen. Der Lieutenant endlich wurde mein getreuer Reisebegleiter von
Jerusalem nach Konstantinopel und zurück nach der Heimath.

Mit dem Pensionär als Führer begann ich am Morgen nach meiner
Ankunft meine Streifzüge durch die Stadt und ihre unmittelbare Umgebung-
wobei er die katholische Mvnchsüberlieferung, ich die protestantische Kritik ver¬
trat. Empfehlungsbriefe vermittelten andere Bekanntschaften. Einladungen
zum preußischen Consul und zu den Soireen des evangelischen Bischofs f"l)^
ten in die vornehme Gesellschaft Jerusalems ein. Die neuen Freunde zeigten,
was anfangs übersehen worden, erklärten, was zuerst unverständlich geblieben
war, und so entstand allmälig aus dem Gewirr von Einzelheiten, welches
die ersten Gänge durch die Stadt und die ersten Beobachtungen von Zustän¬
den und Persönlichkeiten im Gedächtniß aufhäuften, ein deutlicheres Bild des
Ganzen.

Jerusalem liegt ungefähr dritthalbtausend Fuß über dem Spiegel des
Mittelmeeres, von dessen Rande es etwas mehr als sechs deutsche Meilen ent-


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[0298] holte die gewünschte Summe, rief das Mädchen bei Seite und zahlte ihr die¬ selbe in blanken Napoleons in die Schürze. Argwöhnische Gemüther hatten, da die Person hübsch und leichtsinnig war, an unchristliche Nebenabsichten gedacht. Sie hatten Unrecht. Es war das reine gute Werk des Katholiken, sehr unüberlegt zwar, sehr originell und, da die Beschenkte in Jerusalem blieb und sich später für die Summe statt eines Billets für den Dampfer, vermuthlich einen schmucken Handwerker zum Mann kaufte, sehr unzweckmäßig angebracht, aber ohne irgendwelche Hintergedanken als den Himmel. Der Wohlthäter sah fortan das Mädchen kaum an, sie war ihm nur der Altar gewesen, an dem er sein Gelübde gelöst hatte.' Das grenzt, da unser Freund zwar bemittelt, aber keineswegs reich »M, nahe an Unsinn. Wachtmeisterchen war aber nicht blos ein guter Katholik, sondern zugleich ein guter Mensch, dessen Wunderlichkeiten man sehr bald über seiner grundehrlichen Denkungsart, seiner milden, fast kindlichen Weise zu ur¬ theilen, und seiner stets dienstbereiten Gefälligkeit vergaß. In der That, er wäre zu gut für diese Welt gewesen, wenn er nicht bisweilen gegen den ge' funden Menschenverstand gesündigt hätte. Der Schweizer war ein lieber Bekannter von Kairo und der Cheops- Pyramide her, auf deren Gipfel wir zwei Jahre vorher zusammen auf das Gedeihen Deutschlands und der Eidgenossenschaft getrunken hatten, und von dein ich mir, als ich ihn später als Meßfrcmden in Leipzig begrüßt, nicht hatte träumen lassen, daß ich seinem guten breiten Gesicht und seinem schnar¬ chenden Zürcherdeutsch auf dem Zion wieder begegnen würde. Der Ameri¬ kaner kam aus Kentucky, und zwar aus einer Gegend, in der ich ebenfalls gewesen, und so fand sich auch bei ihm Gelegenheit, Reiseerinnerungen auf¬ zufrischen. Der Lieutenant endlich wurde mein getreuer Reisebegleiter von Jerusalem nach Konstantinopel und zurück nach der Heimath. Mit dem Pensionär als Führer begann ich am Morgen nach meiner Ankunft meine Streifzüge durch die Stadt und ihre unmittelbare Umgebung- wobei er die katholische Mvnchsüberlieferung, ich die protestantische Kritik ver¬ trat. Empfehlungsbriefe vermittelten andere Bekanntschaften. Einladungen zum preußischen Consul und zu den Soireen des evangelischen Bischofs f"l)^ ten in die vornehme Gesellschaft Jerusalems ein. Die neuen Freunde zeigten, was anfangs übersehen worden, erklärten, was zuerst unverständlich geblieben war, und so entstand allmälig aus dem Gewirr von Einzelheiten, welches die ersten Gänge durch die Stadt und die ersten Beobachtungen von Zustän¬ den und Persönlichkeiten im Gedächtniß aufhäuften, ein deutlicheres Bild des Ganzen. Jerusalem liegt ungefähr dritthalbtausend Fuß über dem Spiegel des Mittelmeeres, von dessen Rande es etwas mehr als sechs deutsche Meilen ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/298>, abgerufen am 23.07.2024.