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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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uns in dieser Hinsicht Ausschluß gewähren kann. In der Regel gibt sie die
crie bestimmte Zeit bewegenden Gedanken in der allerungeschminktesten und
Ul'iMichlesten Gestalt. Ich denke, es soll sich herausstellen, das; selbst ein
Man. wie Karl der Große war, seine Welt nicht willkürlich gestaltete, son¬
um daß selbst er und seine Bestrebungen nur das unbewußte Product einer
3"uzen und gewaltigen Zeitrichtung waren.

Die Wissenschaft jener Tage, so weit davon überhaupt die Rede sein kann,
die der Römer, freilich in eine Form eingeengt, sür welche sie in den
^i)den Jahrhunderten nach der Erschlaffung origineller Kraft von den emsigen
Händen kleinlicher Grammatiker zum Haus- und Schulbedarf zugerichtet war.
^rst nachdem diese Vorstudien beendet waren, wandte man sich zu den Dich-
^'n, den Historikern und den Philosophen der Blütezeit selbst, deren Schriften
Und Ansichten in einer uns kaum begreiflichen Weise in dem Bewußtsein der
Gebildeten noch lebendig waren. Das Studium der gesammten Philosophie
wurde von den Geistlichen als eine unerläßliche Vorstufe höherer Erkenntniß
""gesehen und verlangt. Die Historiker der Alten werden mit Vorliebe,
wenn auch oft in einer höchst komischen Weise, von Schriftstellern citirt. In
Dichtkunst endlich hält man sich noch streng an die Maße der alten
Poesie: der mittelalterliche Reim ist den Gedichten damaliger Zeit ganz fremd,
^lkuin, so gut wie sein Schüler, Rhabanus Maurus gebrauchen für ihre
^u'chenlieder den Hexameter und selbst das sapphische Maß ist von ihnen dasür
^ Anwendung gebracht worden.

Ermoldus Nigellus, ein etwas lockerer mönchischer Schriftsteller aus dem
^inn des neunten Jahrhunderts, der bei dem frommen Kaiser Ludwig in
"gnade gefallen war, versucht ganz wie weiland Ovid die Gnade seines
<^>'n und Herrschers durch ein de- und 'wehmüthiges Gedicht wieder¬
gewinnen: im Anfang desselben fleht er zwar die Hilfe der heiligen Maria
"u, wie er selbst gesteht, weil er mit den Nymphen, den Pieriden, Phöbus
Apollo, welche die alten Dichter berauscht anriefen, nichts zu thun haben
^°lie; abxr bald besinnt sich der fromme Mann eines Bessern. Im Beginn
Milch Gedichtes zum Lobendes ruhmreichen König Pipin hebt er ungenirt mit
^"en alten Heiden um:


"Aus, o Thalia, bcliebts, so vereine dich unsrem Bemühen,
Bringe die Worte geschwind meinem Gebieter und Herrn!

Im Uebrigen strotzen seine Erzeugnisse wahrhaft von gelehrtem, über-
^'ssigem Kram. Er begnügt sich nicht damit, zu versichern, daß kaum Virgil
^ Homer, geschweige seine Wenigkeit die Leute wären, des Kaisers Thaten
^dig zu preisen, sondern bezeichnet als solche Stümper, die es nicht ver¬
achten, ununterbrochen und in einem Athem auch sogar Ovid, Cato, Flaccus.


uns in dieser Hinsicht Ausschluß gewähren kann. In der Regel gibt sie die
crie bestimmte Zeit bewegenden Gedanken in der allerungeschminktesten und
Ul'iMichlesten Gestalt. Ich denke, es soll sich herausstellen, das; selbst ein
Man. wie Karl der Große war, seine Welt nicht willkürlich gestaltete, son¬
um daß selbst er und seine Bestrebungen nur das unbewußte Product einer
3"uzen und gewaltigen Zeitrichtung waren.

Die Wissenschaft jener Tage, so weit davon überhaupt die Rede sein kann,
die der Römer, freilich in eine Form eingeengt, sür welche sie in den
^i)den Jahrhunderten nach der Erschlaffung origineller Kraft von den emsigen
Händen kleinlicher Grammatiker zum Haus- und Schulbedarf zugerichtet war.
^rst nachdem diese Vorstudien beendet waren, wandte man sich zu den Dich-
^'n, den Historikern und den Philosophen der Blütezeit selbst, deren Schriften
Und Ansichten in einer uns kaum begreiflichen Weise in dem Bewußtsein der
Gebildeten noch lebendig waren. Das Studium der gesammten Philosophie
wurde von den Geistlichen als eine unerläßliche Vorstufe höherer Erkenntniß
""gesehen und verlangt. Die Historiker der Alten werden mit Vorliebe,
wenn auch oft in einer höchst komischen Weise, von Schriftstellern citirt. In
Dichtkunst endlich hält man sich noch streng an die Maße der alten
Poesie: der mittelalterliche Reim ist den Gedichten damaliger Zeit ganz fremd,
^lkuin, so gut wie sein Schüler, Rhabanus Maurus gebrauchen für ihre
^u'chenlieder den Hexameter und selbst das sapphische Maß ist von ihnen dasür
^ Anwendung gebracht worden.

Ermoldus Nigellus, ein etwas lockerer mönchischer Schriftsteller aus dem
^inn des neunten Jahrhunderts, der bei dem frommen Kaiser Ludwig in
"gnade gefallen war, versucht ganz wie weiland Ovid die Gnade seines
<^>'n und Herrschers durch ein de- und 'wehmüthiges Gedicht wieder¬
gewinnen: im Anfang desselben fleht er zwar die Hilfe der heiligen Maria
"u, wie er selbst gesteht, weil er mit den Nymphen, den Pieriden, Phöbus
Apollo, welche die alten Dichter berauscht anriefen, nichts zu thun haben
^°lie; abxr bald besinnt sich der fromme Mann eines Bessern. Im Beginn
Milch Gedichtes zum Lobendes ruhmreichen König Pipin hebt er ungenirt mit
^"en alten Heiden um:


„Aus, o Thalia, bcliebts, so vereine dich unsrem Bemühen,
Bringe die Worte geschwind meinem Gebieter und Herrn!

Im Uebrigen strotzen seine Erzeugnisse wahrhaft von gelehrtem, über-
^'ssigem Kram. Er begnügt sich nicht damit, zu versichern, daß kaum Virgil
^ Homer, geschweige seine Wenigkeit die Leute wären, des Kaisers Thaten
^dig zu preisen, sondern bezeichnet als solche Stümper, die es nicht ver¬
achten, ununterbrochen und in einem Athem auch sogar Ovid, Cato, Flaccus.


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[0291] uns in dieser Hinsicht Ausschluß gewähren kann. In der Regel gibt sie die crie bestimmte Zeit bewegenden Gedanken in der allerungeschminktesten und Ul'iMichlesten Gestalt. Ich denke, es soll sich herausstellen, das; selbst ein Man. wie Karl der Große war, seine Welt nicht willkürlich gestaltete, son¬ um daß selbst er und seine Bestrebungen nur das unbewußte Product einer 3"uzen und gewaltigen Zeitrichtung waren. Die Wissenschaft jener Tage, so weit davon überhaupt die Rede sein kann, die der Römer, freilich in eine Form eingeengt, sür welche sie in den ^i)den Jahrhunderten nach der Erschlaffung origineller Kraft von den emsigen Händen kleinlicher Grammatiker zum Haus- und Schulbedarf zugerichtet war. ^rst nachdem diese Vorstudien beendet waren, wandte man sich zu den Dich- ^'n, den Historikern und den Philosophen der Blütezeit selbst, deren Schriften Und Ansichten in einer uns kaum begreiflichen Weise in dem Bewußtsein der Gebildeten noch lebendig waren. Das Studium der gesammten Philosophie wurde von den Geistlichen als eine unerläßliche Vorstufe höherer Erkenntniß ""gesehen und verlangt. Die Historiker der Alten werden mit Vorliebe, wenn auch oft in einer höchst komischen Weise, von Schriftstellern citirt. In Dichtkunst endlich hält man sich noch streng an die Maße der alten Poesie: der mittelalterliche Reim ist den Gedichten damaliger Zeit ganz fremd, ^lkuin, so gut wie sein Schüler, Rhabanus Maurus gebrauchen für ihre ^u'chenlieder den Hexameter und selbst das sapphische Maß ist von ihnen dasür ^ Anwendung gebracht worden. Ermoldus Nigellus, ein etwas lockerer mönchischer Schriftsteller aus dem ^inn des neunten Jahrhunderts, der bei dem frommen Kaiser Ludwig in "gnade gefallen war, versucht ganz wie weiland Ovid die Gnade seines <^>'n und Herrschers durch ein de- und 'wehmüthiges Gedicht wieder¬ gewinnen: im Anfang desselben fleht er zwar die Hilfe der heiligen Maria "u, wie er selbst gesteht, weil er mit den Nymphen, den Pieriden, Phöbus Apollo, welche die alten Dichter berauscht anriefen, nichts zu thun haben ^°lie; abxr bald besinnt sich der fromme Mann eines Bessern. Im Beginn Milch Gedichtes zum Lobendes ruhmreichen König Pipin hebt er ungenirt mit ^"en alten Heiden um: „Aus, o Thalia, bcliebts, so vereine dich unsrem Bemühen, Bringe die Worte geschwind meinem Gebieter und Herrn! Im Uebrigen strotzen seine Erzeugnisse wahrhaft von gelehrtem, über- ^'ssigem Kram. Er begnügt sich nicht damit, zu versichern, daß kaum Virgil ^ Homer, geschweige seine Wenigkeit die Leute wären, des Kaisers Thaten ^dig zu preisen, sondern bezeichnet als solche Stümper, die es nicht ver¬ achten, ununterbrochen und in einem Athem auch sogar Ovid, Cato, Flaccus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/291>, abgerufen am 29.12.2024.