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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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biegen gewann die Oberhand, so daß schon zur Zeit Karl des Kahlen die
Erlernung des Deutschen, das als Sprache der Großen immer noch von
Wichtigkeit war, Schwierigkeiten verursachte. Die Nachkommen der im Lande
einst ansässigen Römer, ihre Sitte und Bildung so wie die südliche Na¬
tur überhaupt trug hier einen für alle Zeiten entscheidenden Sieg über den
nordischen Bestandtheil davon, dem das Schicksal dafür eine um so reichere
und vollere Entwickelung jenseit des Rheines zugewiesen hatte.

Hier ereignete sich grade der entgegengesetzte Fall. Das deutsche Element,
>veil es hier umgekehrt wie dort drüben das volksthümliche und ursprüng¬
liche war, unterjochte die von den Herrschern und der Geistlichkeit das ganze
Mittelalter hindurch begünstigte römische Sprache, Sitte und Bildung wenig¬
stens in den untern Schichten des Volkes.

Sehen wir jetzt genauer zu, wie zur Zeit Kar! des Großen und seiner
Nachfolger die beiden scheinbar unverträglichen Kräfte im Leben, in der Wissen¬
schaft, in der Dichtung, in den einzelnen Zweigen der bildenden Kunst sich
gegenüberstanden. Ich denke das Endergebniß unsrer Betrachtung wird sein:
das! es eine Renaissance im engeren Sinne des Wortes nicht gibt, geben kann
U"d soll. Was in Sast und Kraft, was in das Blut des gesammten deut¬
schen Volkes übergegangen, was im Laufe der Zeiten bereits verarbeitet ist,
darf man nicht einseitig wieder ausscheiden: dein soll man auf der einen
^ne ebenso wenig gewaltsamerweise ein Uebergewicht wieder zu verschaffen
suchen, das ihm nicht mehr gebührt, als man von der andern es gewaltthätig
binausdrängen darf aus Engherzigkeit und geistiger Beschränktheit. Die Ge¬
beine Karl des Großen haben im antiken Proserpinensarge bis auf die Tage
Barbarossas ebenso ruhig und zweckmäßig geschlummert, als in dem golde¬
nen Reliquienschrein, in welchen man sie in jener Blütezeit des Mittelalters
einsargte; sollten wir gegenwärtig im Besitz klarerer Einsicht etwa thöricht genug
sein, sie nochmals aus ihrer Ruhe stören zu wollen, um sie wieder in jene
schere antike Behausung zu übertragen, selbst wenn diese jenem Weltbeherrscher
und seinen Ideen angemessener sich herausstellen sollte, als jene spätere des
Mittelalters?

Die römische Macht und Herrlichkeit hatte Karl auf der unverwüstlichen
Trümmerstätte der alten Welt, in Rom selbst kennen gelernt. Der Abglanz
jener alten Herrlichkeit sckon hatte sein Auge geblendet. Hier mögen daher.
man annimmt, in seinem Kopf zuerst jene Gedanken aufgetaucht W", d:e
'du nach dem Ausdruck eines neueren Schriftstellers zum "Sendboten römischer
Kunst und Geistescultur machten."

Das Staatsideal Karl des Großen war es: die römische Weltmonarch.e
^'eder herzustellen. Seine imperatorischen Ideen standen im engsten Zusammen¬
bang .mit den durchaus römischen Gedanken seiner Zeit, die ihm den Weg


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biegen gewann die Oberhand, so daß schon zur Zeit Karl des Kahlen die
Erlernung des Deutschen, das als Sprache der Großen immer noch von
Wichtigkeit war, Schwierigkeiten verursachte. Die Nachkommen der im Lande
einst ansässigen Römer, ihre Sitte und Bildung so wie die südliche Na¬
tur überhaupt trug hier einen für alle Zeiten entscheidenden Sieg über den
nordischen Bestandtheil davon, dem das Schicksal dafür eine um so reichere
und vollere Entwickelung jenseit des Rheines zugewiesen hatte.

Hier ereignete sich grade der entgegengesetzte Fall. Das deutsche Element,
>veil es hier umgekehrt wie dort drüben das volksthümliche und ursprüng¬
liche war, unterjochte die von den Herrschern und der Geistlichkeit das ganze
Mittelalter hindurch begünstigte römische Sprache, Sitte und Bildung wenig¬
stens in den untern Schichten des Volkes.

Sehen wir jetzt genauer zu, wie zur Zeit Kar! des Großen und seiner
Nachfolger die beiden scheinbar unverträglichen Kräfte im Leben, in der Wissen¬
schaft, in der Dichtung, in den einzelnen Zweigen der bildenden Kunst sich
gegenüberstanden. Ich denke das Endergebniß unsrer Betrachtung wird sein:
das! es eine Renaissance im engeren Sinne des Wortes nicht gibt, geben kann
U"d soll. Was in Sast und Kraft, was in das Blut des gesammten deut¬
schen Volkes übergegangen, was im Laufe der Zeiten bereits verarbeitet ist,
darf man nicht einseitig wieder ausscheiden: dein soll man auf der einen
^ne ebenso wenig gewaltsamerweise ein Uebergewicht wieder zu verschaffen
suchen, das ihm nicht mehr gebührt, als man von der andern es gewaltthätig
binausdrängen darf aus Engherzigkeit und geistiger Beschränktheit. Die Ge¬
beine Karl des Großen haben im antiken Proserpinensarge bis auf die Tage
Barbarossas ebenso ruhig und zweckmäßig geschlummert, als in dem golde¬
nen Reliquienschrein, in welchen man sie in jener Blütezeit des Mittelalters
einsargte; sollten wir gegenwärtig im Besitz klarerer Einsicht etwa thöricht genug
sein, sie nochmals aus ihrer Ruhe stören zu wollen, um sie wieder in jene
schere antike Behausung zu übertragen, selbst wenn diese jenem Weltbeherrscher
und seinen Ideen angemessener sich herausstellen sollte, als jene spätere des
Mittelalters?

Die römische Macht und Herrlichkeit hatte Karl auf der unverwüstlichen
Trümmerstätte der alten Welt, in Rom selbst kennen gelernt. Der Abglanz
jener alten Herrlichkeit sckon hatte sein Auge geblendet. Hier mögen daher.
man annimmt, in seinem Kopf zuerst jene Gedanken aufgetaucht W", d:e
'du nach dem Ausdruck eines neueren Schriftstellers zum „Sendboten römischer
Kunst und Geistescultur machten."

Das Staatsideal Karl des Großen war es: die römische Weltmonarch.e
^'eder herzustellen. Seine imperatorischen Ideen standen im engsten Zusammen¬
bang .mit den durchaus römischen Gedanken seiner Zeit, die ihm den Weg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/289>, abgerufen am 23.07.2024.