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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Operate der Generalsynode vom Jahr 1791 in den Jahren 1799, i8vt,
1802, 1803, 1804, 1806 und 1817 bei der Negierung in Wien durch zahl¬
reiche Deputationen in Erinnerung gebracht und Kaiser Franz dem ungarischen
Reichstage vom Jahr 1827 die baldige Erfüllung jener protestantischen Wünsche
in der bestimmtesten Weise zugesichert hatte, so erfolgte doch bis zum Jah''
1848 keine Entscheidung. Ausdrückliche Befehle, daß die Hofkanzlei dem Kaiser
die Acten endlich vorlegen möge, hatten keinen Erfolg. Machinationen bei
der ungarischen Hofkanzlei wie beim Staatsrath hintertrieben die Sache immer
wieder, und im Jahr 1850 schlug F. Z. M. Haynau selbst das nothdürft'g
bestehende Verfassungsgebäude der protestantischen Kirche Ungarns mit uner¬
hörter Rücksichtslosigkeit entzwei. In den zum deutschen Bunde gehörigen
Ländern aber ging der confessionelle Gleichberechtigung feststellende 16. Art.
der deutschen Bundesncte, gleich dem Art. 13, niemals in Erfüllung, so daß
ein Evangelischer in dem exclusiver Tirol nicht einmal eine Hufe Landes an
sich bringen konnte. In den Jahren 1848 und 1849 freilich wehte in den
deutschen Kronländern ein anderer Wind. Die Regierung selbst berief, nach¬
dem sie am 30. Januar 1849 der evangelischen Kirche in den deutsch'
slavischen Ländern einige über die schmale Basis des Toleranzpatentes ovo
Jahre 1781 hinausgehende, wenn auch im Ganzen unwesentliche Rechte ein¬
geräumt hatte, die Superintendenten und Vertrauensmänner derselben zu einer
Versammlung nach Wien, welche über die künftige Stellung der evangelischen
Kirche zum Staate, so wie über die innere Verfassung derselben ein Gutachten
abgeben sollte. Diese Versammlung erstattete ihre Vorschläge schnell und r"
der anerkennenswerthesten Weise. Allein seitdem ist das Concordat mit dew
ganzen Ballast des kanonischen Rechts dazwischengetreten und -- die Super¬
intendenten und mit ihnen viele tausend Gläubige warten noch immer auf
eine Eröffnung der Regierung, die selbst die Initiative zur Anbahnung neuer
Verhältnisse ergriffen hatte. -- Auch die ungarischen Protestanten erhielten erst
im Jahr 1856 Gelegenheit, ihre kirchlichen Wünsche freimüthig nuszusprechen-
Allein ihre Gutachten über den ministeriellen "Gesetzentwurf" und die ein¬
stimmige Bitte der acht Superintendentialconvente um Bewilligung einer Syn¬
ode harren, ungeachtet zahlreicher Deputationen und Bittschriften bis
Stunde noch der Erledigung. Die officielle "Wiener Zeitung" (No. 261 1855)
erklärte zwar nach dem Erscheinen des Concordates, daß in der "rückhaltlosen
Anerkennung" der Rechte der römischen Kirche sür alle übrigen Bekenntnisse
eine "sichere Gewähr" der ihrigen liege; ofsiciöse Artikel in der "Oestreich'!^"
Zeitung" (No. 37 1858) und in der "Allgemeinen Zeitung" (Beilage zu No>
83 1859) mahnten zur Geduld und bezeichneten die liberale Lösung der pr^
testantischen Kirchcnvcrfassungsfrcige und der staatsrechtlichen Stellung der Pri"
testanten ausdrücklich nur als eine "Frage der Zeit". -- Da die Geduld den


Operate der Generalsynode vom Jahr 1791 in den Jahren 1799, i8vt,
1802, 1803, 1804, 1806 und 1817 bei der Negierung in Wien durch zahl¬
reiche Deputationen in Erinnerung gebracht und Kaiser Franz dem ungarischen
Reichstage vom Jahr 1827 die baldige Erfüllung jener protestantischen Wünsche
in der bestimmtesten Weise zugesichert hatte, so erfolgte doch bis zum Jah''
1848 keine Entscheidung. Ausdrückliche Befehle, daß die Hofkanzlei dem Kaiser
die Acten endlich vorlegen möge, hatten keinen Erfolg. Machinationen bei
der ungarischen Hofkanzlei wie beim Staatsrath hintertrieben die Sache immer
wieder, und im Jahr 1850 schlug F. Z. M. Haynau selbst das nothdürft'g
bestehende Verfassungsgebäude der protestantischen Kirche Ungarns mit uner¬
hörter Rücksichtslosigkeit entzwei. In den zum deutschen Bunde gehörigen
Ländern aber ging der confessionelle Gleichberechtigung feststellende 16. Art.
der deutschen Bundesncte, gleich dem Art. 13, niemals in Erfüllung, so daß
ein Evangelischer in dem exclusiver Tirol nicht einmal eine Hufe Landes an
sich bringen konnte. In den Jahren 1848 und 1849 freilich wehte in den
deutschen Kronländern ein anderer Wind. Die Regierung selbst berief, nach¬
dem sie am 30. Januar 1849 der evangelischen Kirche in den deutsch'
slavischen Ländern einige über die schmale Basis des Toleranzpatentes ovo
Jahre 1781 hinausgehende, wenn auch im Ganzen unwesentliche Rechte ein¬
geräumt hatte, die Superintendenten und Vertrauensmänner derselben zu einer
Versammlung nach Wien, welche über die künftige Stellung der evangelischen
Kirche zum Staate, so wie über die innere Verfassung derselben ein Gutachten
abgeben sollte. Diese Versammlung erstattete ihre Vorschläge schnell und r"
der anerkennenswerthesten Weise. Allein seitdem ist das Concordat mit dew
ganzen Ballast des kanonischen Rechts dazwischengetreten und — die Super¬
intendenten und mit ihnen viele tausend Gläubige warten noch immer auf
eine Eröffnung der Regierung, die selbst die Initiative zur Anbahnung neuer
Verhältnisse ergriffen hatte. — Auch die ungarischen Protestanten erhielten erst
im Jahr 1856 Gelegenheit, ihre kirchlichen Wünsche freimüthig nuszusprechen-
Allein ihre Gutachten über den ministeriellen „Gesetzentwurf" und die ein¬
stimmige Bitte der acht Superintendentialconvente um Bewilligung einer Syn¬
ode harren, ungeachtet zahlreicher Deputationen und Bittschriften bis
Stunde noch der Erledigung. Die officielle „Wiener Zeitung" (No. 261 1855)
erklärte zwar nach dem Erscheinen des Concordates, daß in der „rückhaltlosen
Anerkennung" der Rechte der römischen Kirche sür alle übrigen Bekenntnisse
eine „sichere Gewähr" der ihrigen liege; ofsiciöse Artikel in der „Oestreich'!^"
Zeitung" (No. 37 1858) und in der „Allgemeinen Zeitung" (Beilage zu No>
83 1859) mahnten zur Geduld und bezeichneten die liberale Lösung der pr^
testantischen Kirchcnvcrfassungsfrcige und der staatsrechtlichen Stellung der Pri"
testanten ausdrücklich nur als eine „Frage der Zeit". — Da die Geduld den


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[0284] Operate der Generalsynode vom Jahr 1791 in den Jahren 1799, i8vt, 1802, 1803, 1804, 1806 und 1817 bei der Negierung in Wien durch zahl¬ reiche Deputationen in Erinnerung gebracht und Kaiser Franz dem ungarischen Reichstage vom Jahr 1827 die baldige Erfüllung jener protestantischen Wünsche in der bestimmtesten Weise zugesichert hatte, so erfolgte doch bis zum Jah'' 1848 keine Entscheidung. Ausdrückliche Befehle, daß die Hofkanzlei dem Kaiser die Acten endlich vorlegen möge, hatten keinen Erfolg. Machinationen bei der ungarischen Hofkanzlei wie beim Staatsrath hintertrieben die Sache immer wieder, und im Jahr 1850 schlug F. Z. M. Haynau selbst das nothdürft'g bestehende Verfassungsgebäude der protestantischen Kirche Ungarns mit uner¬ hörter Rücksichtslosigkeit entzwei. In den zum deutschen Bunde gehörigen Ländern aber ging der confessionelle Gleichberechtigung feststellende 16. Art. der deutschen Bundesncte, gleich dem Art. 13, niemals in Erfüllung, so daß ein Evangelischer in dem exclusiver Tirol nicht einmal eine Hufe Landes an sich bringen konnte. In den Jahren 1848 und 1849 freilich wehte in den deutschen Kronländern ein anderer Wind. Die Regierung selbst berief, nach¬ dem sie am 30. Januar 1849 der evangelischen Kirche in den deutsch' slavischen Ländern einige über die schmale Basis des Toleranzpatentes ovo Jahre 1781 hinausgehende, wenn auch im Ganzen unwesentliche Rechte ein¬ geräumt hatte, die Superintendenten und Vertrauensmänner derselben zu einer Versammlung nach Wien, welche über die künftige Stellung der evangelischen Kirche zum Staate, so wie über die innere Verfassung derselben ein Gutachten abgeben sollte. Diese Versammlung erstattete ihre Vorschläge schnell und r" der anerkennenswerthesten Weise. Allein seitdem ist das Concordat mit dew ganzen Ballast des kanonischen Rechts dazwischengetreten und — die Super¬ intendenten und mit ihnen viele tausend Gläubige warten noch immer auf eine Eröffnung der Regierung, die selbst die Initiative zur Anbahnung neuer Verhältnisse ergriffen hatte. — Auch die ungarischen Protestanten erhielten erst im Jahr 1856 Gelegenheit, ihre kirchlichen Wünsche freimüthig nuszusprechen- Allein ihre Gutachten über den ministeriellen „Gesetzentwurf" und die ein¬ stimmige Bitte der acht Superintendentialconvente um Bewilligung einer Syn¬ ode harren, ungeachtet zahlreicher Deputationen und Bittschriften bis Stunde noch der Erledigung. Die officielle „Wiener Zeitung" (No. 261 1855) erklärte zwar nach dem Erscheinen des Concordates, daß in der „rückhaltlosen Anerkennung" der Rechte der römischen Kirche sür alle übrigen Bekenntnisse eine „sichere Gewähr" der ihrigen liege; ofsiciöse Artikel in der „Oestreich'!^" Zeitung" (No. 37 1858) und in der „Allgemeinen Zeitung" (Beilage zu No> 83 1859) mahnten zur Geduld und bezeichneten die liberale Lösung der pr^ testantischen Kirchcnvcrfassungsfrcige und der staatsrechtlichen Stellung der Pri" testanten ausdrücklich nur als eine „Frage der Zeit". — Da die Geduld den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/284>, abgerufen am 22.07.2024.