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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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sonders freundliche, joviale Bursche, immer zu Scherzen aufgelegt und nM
durch Bart und Kutte dem Bilde gleich, das ich mir von Söhnen des hei'
ligen Franz von Assisi gemacht. Indeß vermuthe ick,, daß man für den Ver¬
kehr mit der Welt die heitersten Gemüther herausgesucht hat; denn als ich
am Morgen den langen Pfeilergang des Klosters durchschritt, den der wun-
derreiche Lebenslauf des Ordensstifters schmückt, begegneten mir verschiedene
Gesichter mit dem Ausdruck mürrischer Jammerthaisromantik, den ich aus allen
erwartet.

Am nächsten Tage sollte schon früh drei Uhr aufgebrochen werden. I"'
deß kamen wir nicht vor sechs Uhr fort, da unsere Mukaris wie gewöhnlich
zu rechter Zeit bereit zu sein versäumten, und so hatte ich Gelegenheit, den
wahrscheinlich aus der Zeit der Kreuzzüge stammenden hohen Quaderthurm
zu besteigen, der ungefähr eine Viertelstunde westlich von Nantes steht und
von dem man eine gute Aussicht über die Ebene hat. Nantes selbst ist ein
ärmliches Städtchen von etwa 3000 Einwohnern. Im Mittelalter, wo die
Nachbarschaft besser bebaut war. war es wohlhabender und weit stärker be¬
wohnt, wovon schon die großen Moscheen zeugen, welche, jetzt halb verfallen
und mit Gras und Gesträuch bewachsen, sich in dem Orte befinden. Ob es
das biblische Arimathia ist, bleibe der Entscheidung der Archäologen über¬
lassen, dagegen ist es unzweifelhaft, daß die südlich von der Stadt gelegenen
Trümmer mit unterirdischen Gewölben Reste einer sarazenischen Moschee, nicht'
wie v. Wildenbruch meint, eine Templerkirche sind.

Nantes steht unter einem vom Sultan eingesetzten Stadthauptmann, der
indeß seine Gewalt gleich dem Muteselim in Jaffa und dem Pascha in Jeru¬
salem wohl oder übel mit den Consuln und deren Agenten zu theilen hat.
Ein Beispiel dessen, was dabei herauskommt, wurde mir auf dem Wege erzählt-
Ein Theil der Dörfer in der Ebene wird von Araberstämmen bewohnt, die
sich erst seit kurzem aus wandernden Beduinen in seßhafte Fellahin verwandelt
und so verschiedene Gewohnheiten ihrer frühern Existenz, unter andern die
Blutrache beibehalten haben. Nun gerieth im vergangenen Jahr eines dies"'
Dörfer mit einem benachbarten in Streit, man griff auf beiden Seiten ^
Yataghan und Flinte und lieferte sich verschiedene Treffen. Da auf diese
Weise zu keiner Entscheidung zu gelangen war, so suchten beide Theile sich
Hilfe bei den wandernden Stämmen, die einen bei den Beni Saker, welche
die Ebene von Esdrclon bewohnen, die andern bei den Beduinen von Gaznh-
Es kam zu einem förmlichen Bürgerkrieg, der damit endigte, daß die BeM
Saker das Feld behaupteten und das Dorf der Gegner ihrer Bundesgenosse"
ausplünderten. Darauf rückte die türkische Landgensdarmerie -- Baschibosuks
-- gegen die Sieger aus. wurde jedoch ebenfalls geschlagen, und der Feld'
Herr der Beduinen, ein schwarzer Sklave ihres Schechs, tödtete dabei mit


sonders freundliche, joviale Bursche, immer zu Scherzen aufgelegt und nM
durch Bart und Kutte dem Bilde gleich, das ich mir von Söhnen des hei'
ligen Franz von Assisi gemacht. Indeß vermuthe ick,, daß man für den Ver¬
kehr mit der Welt die heitersten Gemüther herausgesucht hat; denn als ich
am Morgen den langen Pfeilergang des Klosters durchschritt, den der wun-
derreiche Lebenslauf des Ordensstifters schmückt, begegneten mir verschiedene
Gesichter mit dem Ausdruck mürrischer Jammerthaisromantik, den ich aus allen
erwartet.

Am nächsten Tage sollte schon früh drei Uhr aufgebrochen werden. I"'
deß kamen wir nicht vor sechs Uhr fort, da unsere Mukaris wie gewöhnlich
zu rechter Zeit bereit zu sein versäumten, und so hatte ich Gelegenheit, den
wahrscheinlich aus der Zeit der Kreuzzüge stammenden hohen Quaderthurm
zu besteigen, der ungefähr eine Viertelstunde westlich von Nantes steht und
von dem man eine gute Aussicht über die Ebene hat. Nantes selbst ist ein
ärmliches Städtchen von etwa 3000 Einwohnern. Im Mittelalter, wo die
Nachbarschaft besser bebaut war. war es wohlhabender und weit stärker be¬
wohnt, wovon schon die großen Moscheen zeugen, welche, jetzt halb verfallen
und mit Gras und Gesträuch bewachsen, sich in dem Orte befinden. Ob es
das biblische Arimathia ist, bleibe der Entscheidung der Archäologen über¬
lassen, dagegen ist es unzweifelhaft, daß die südlich von der Stadt gelegenen
Trümmer mit unterirdischen Gewölben Reste einer sarazenischen Moschee, nicht'
wie v. Wildenbruch meint, eine Templerkirche sind.

Nantes steht unter einem vom Sultan eingesetzten Stadthauptmann, der
indeß seine Gewalt gleich dem Muteselim in Jaffa und dem Pascha in Jeru¬
salem wohl oder übel mit den Consuln und deren Agenten zu theilen hat.
Ein Beispiel dessen, was dabei herauskommt, wurde mir auf dem Wege erzählt-
Ein Theil der Dörfer in der Ebene wird von Araberstämmen bewohnt, die
sich erst seit kurzem aus wandernden Beduinen in seßhafte Fellahin verwandelt
und so verschiedene Gewohnheiten ihrer frühern Existenz, unter andern die
Blutrache beibehalten haben. Nun gerieth im vergangenen Jahr eines dies"'
Dörfer mit einem benachbarten in Streit, man griff auf beiden Seiten ^
Yataghan und Flinte und lieferte sich verschiedene Treffen. Da auf diese
Weise zu keiner Entscheidung zu gelangen war, so suchten beide Theile sich
Hilfe bei den wandernden Stämmen, die einen bei den Beni Saker, welche
die Ebene von Esdrclon bewohnen, die andern bei den Beduinen von Gaznh-
Es kam zu einem förmlichen Bürgerkrieg, der damit endigte, daß die BeM
Saker das Feld behaupteten und das Dorf der Gegner ihrer Bundesgenosse"
ausplünderten. Darauf rückte die türkische Landgensdarmerie — Baschibosuks
— gegen die Sieger aus. wurde jedoch ebenfalls geschlagen, und der Feld'
Herr der Beduinen, ein schwarzer Sklave ihres Schechs, tödtete dabei mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/270>, abgerufen am 23.07.2024.