Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in die katholischen Heere gebracht. Wer die Beschwörungen dieses Büchleins
durchblättert, findet in einem Wust von Unsinn, unter vorgeschriebenen Kreuz-
zeichen. Anrufung von Heiligen und Bibelstellen, auch einige poetische For¬
meln, die wahrscheinlich durch fünfzig Generationen fortgepflanzt worden sind.
Ein anderes Zauberkunststück war: Reiter ins Feld zu machen, d. b. M
Rettung in eigner Gefahr den täuschenden Schein hervorzubringen, als ob in
der Entfernung Kriegsvolk heranziehe. Beide Verschwörungen sind Trümmer
geheimer heidnischer Wissenschaft, welche in manchen Sagen und Märchen
bis zur Gegenwart sortklingt. Dergleichen Ueberlieferungen mag es noch viele
gegeben haben, sie waren sicher am Lagerfeuer und in der Marketenderhütte
der beliebteste Gegenstand geheimnißvoller Unterhaltung.

Wir dürfen zu solchem Glauben auch das Bestreben rechnen, aus dem
Lauf der Gestirne den Ausgang der Kriegsaffairen und das eigne Schicksal
zu lesen. Die Prognostika häuften sich während des Krieges, unermüdlich
wurden aus Constellationen, Sternschnuppenfall, Kometen und atmosphärischen
Erscheinungen die Schrecken der nächsten Jahre prophezeit, und durch
eine grüßlichere Wirklichkeit widerlegt. Die Nativitütstellerei war all¬
gemein. Auch das zweite Gesicht besaßen einzelne Individuen, sie em¬
pfanden vorher, wem die nächste Zukunft Verhängniß bringen werde.
Als 1636 die Sachs.-kaiserliche Armee vor Magdeburg lag, war ein kranker
"Mathematikus" im Lager, der seinen Freunden vorher gesagt hatte, daß
ihm der 26. Juni Verderben bringen werde. Er lag im geschlossenen Zelt,
da ritt ein Lieutenant heran, knüpfte die Zeltschnüre auf, drang herein, und
bat den Kranken, er möge ihm die Nativität stellen. Nach langer Weigerung
prophezeite ihm der Kranke, er werde noch in dieser Stunde aufgehängt wer¬
den. Der Lieutenant, empört darüber, daß einem Cavalier solches gesagt
werden dürfe, zog seinen Degen und erstach den Kranken. Es entstand ein
Auflauf, der Mörder schwang sich aus sein Pferd und wäre entkommen; da
wollte der Zufall, daß der Kurfürst von Sachsen neben dem General Hatzfeld
mit großem Gefolge durch die Lagergasse hereinritt. Der Kurfürst rief: das
wäre schlechte Disciplin im kaiserlichen Lager, wenn auch ein Kranker im Bett
nicht vor Mördern seines Lebens sicher sein sollte. Der Lieutenant wurde auf¬
geknüpft/) ^¬

Wer für den Besitzer solcher Geheimnisse galt, der ward von seinen Ka
meraden gefürchtet, aber nicht geehrt,"") "denn wenn sie nicht furchtsame, sei?/
Tröpfe wären, würden sie nicht solche Mittel gebrauchen." Schon im se^
zehnten Jahrhundert ließen einzelne Obersten jeden Gefangenen henken, be>




') Simplicissimus I. 2, 24.
-) Grimmelshcmsen, Wunderbares Vogelnest.

in die katholischen Heere gebracht. Wer die Beschwörungen dieses Büchleins
durchblättert, findet in einem Wust von Unsinn, unter vorgeschriebenen Kreuz-
zeichen. Anrufung von Heiligen und Bibelstellen, auch einige poetische For¬
meln, die wahrscheinlich durch fünfzig Generationen fortgepflanzt worden sind.
Ein anderes Zauberkunststück war: Reiter ins Feld zu machen, d. b. M
Rettung in eigner Gefahr den täuschenden Schein hervorzubringen, als ob in
der Entfernung Kriegsvolk heranziehe. Beide Verschwörungen sind Trümmer
geheimer heidnischer Wissenschaft, welche in manchen Sagen und Märchen
bis zur Gegenwart sortklingt. Dergleichen Ueberlieferungen mag es noch viele
gegeben haben, sie waren sicher am Lagerfeuer und in der Marketenderhütte
der beliebteste Gegenstand geheimnißvoller Unterhaltung.

Wir dürfen zu solchem Glauben auch das Bestreben rechnen, aus dem
Lauf der Gestirne den Ausgang der Kriegsaffairen und das eigne Schicksal
zu lesen. Die Prognostika häuften sich während des Krieges, unermüdlich
wurden aus Constellationen, Sternschnuppenfall, Kometen und atmosphärischen
Erscheinungen die Schrecken der nächsten Jahre prophezeit, und durch
eine grüßlichere Wirklichkeit widerlegt. Die Nativitütstellerei war all¬
gemein. Auch das zweite Gesicht besaßen einzelne Individuen, sie em¬
pfanden vorher, wem die nächste Zukunft Verhängniß bringen werde.
Als 1636 die Sachs.-kaiserliche Armee vor Magdeburg lag, war ein kranker
„Mathematikus" im Lager, der seinen Freunden vorher gesagt hatte, daß
ihm der 26. Juni Verderben bringen werde. Er lag im geschlossenen Zelt,
da ritt ein Lieutenant heran, knüpfte die Zeltschnüre auf, drang herein, und
bat den Kranken, er möge ihm die Nativität stellen. Nach langer Weigerung
prophezeite ihm der Kranke, er werde noch in dieser Stunde aufgehängt wer¬
den. Der Lieutenant, empört darüber, daß einem Cavalier solches gesagt
werden dürfe, zog seinen Degen und erstach den Kranken. Es entstand ein
Auflauf, der Mörder schwang sich aus sein Pferd und wäre entkommen; da
wollte der Zufall, daß der Kurfürst von Sachsen neben dem General Hatzfeld
mit großem Gefolge durch die Lagergasse hereinritt. Der Kurfürst rief: das
wäre schlechte Disciplin im kaiserlichen Lager, wenn auch ein Kranker im Bett
nicht vor Mördern seines Lebens sicher sein sollte. Der Lieutenant wurde auf¬
geknüpft/) ^¬

Wer für den Besitzer solcher Geheimnisse galt, der ward von seinen Ka
meraden gefürchtet, aber nicht geehrt,"") „denn wenn sie nicht furchtsame, sei?/
Tröpfe wären, würden sie nicht solche Mittel gebrauchen." Schon im se^
zehnten Jahrhundert ließen einzelne Obersten jeden Gefangenen henken, be>




') Simplicissimus I. 2, 24.
-) Grimmelshcmsen, Wunderbares Vogelnest.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107832"/>
              <p xml:id="ID_798" prev="#ID_797"> in die katholischen Heere gebracht. Wer die Beschwörungen dieses Büchleins<lb/>
durchblättert, findet in einem Wust von Unsinn, unter vorgeschriebenen Kreuz-<lb/>
zeichen. Anrufung von Heiligen und Bibelstellen, auch einige poetische For¬<lb/>
meln, die wahrscheinlich durch fünfzig Generationen fortgepflanzt worden sind.<lb/>
Ein anderes Zauberkunststück war: Reiter ins Feld zu machen, d. b. M<lb/>
Rettung in eigner Gefahr den täuschenden Schein hervorzubringen, als ob in<lb/>
der Entfernung Kriegsvolk heranziehe. Beide Verschwörungen sind Trümmer<lb/>
geheimer heidnischer Wissenschaft, welche in manchen Sagen und Märchen<lb/>
bis zur Gegenwart sortklingt. Dergleichen Ueberlieferungen mag es noch viele<lb/>
gegeben haben, sie waren sicher am Lagerfeuer und in der Marketenderhütte<lb/>
der beliebteste Gegenstand geheimnißvoller Unterhaltung.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_799"> Wir dürfen zu solchem Glauben auch das Bestreben rechnen, aus dem<lb/>
Lauf der Gestirne den Ausgang der Kriegsaffairen und das eigne Schicksal<lb/>
zu lesen. Die Prognostika häuften sich während des Krieges, unermüdlich<lb/>
wurden aus Constellationen, Sternschnuppenfall, Kometen und atmosphärischen<lb/>
Erscheinungen die Schrecken der nächsten Jahre prophezeit, und durch<lb/>
eine grüßlichere Wirklichkeit widerlegt. Die Nativitütstellerei war all¬<lb/>
gemein. Auch das zweite Gesicht besaßen einzelne Individuen, sie em¬<lb/>
pfanden vorher, wem die nächste Zukunft Verhängniß bringen werde.<lb/>
Als 1636 die Sachs.-kaiserliche Armee vor Magdeburg lag, war ein kranker<lb/>
&#x201E;Mathematikus" im Lager, der seinen Freunden vorher gesagt hatte, daß<lb/>
ihm der 26. Juni Verderben bringen werde. Er lag im geschlossenen Zelt,<lb/>
da ritt ein Lieutenant heran, knüpfte die Zeltschnüre auf, drang herein, und<lb/>
bat den Kranken, er möge ihm die Nativität stellen. Nach langer Weigerung<lb/>
prophezeite ihm der Kranke, er werde noch in dieser Stunde aufgehängt wer¬<lb/>
den. Der Lieutenant, empört darüber, daß einem Cavalier solches gesagt<lb/>
werden dürfe, zog seinen Degen und erstach den Kranken. Es entstand ein<lb/>
Auflauf, der Mörder schwang sich aus sein Pferd und wäre entkommen; da<lb/>
wollte der Zufall, daß der Kurfürst von Sachsen neben dem General Hatzfeld<lb/>
mit großem Gefolge durch die Lagergasse hereinritt. Der Kurfürst rief: das<lb/>
wäre schlechte Disciplin im kaiserlichen Lager, wenn auch ein Kranker im Bett<lb/>
nicht vor Mördern seines Lebens sicher sein sollte. Der Lieutenant wurde auf¬<lb/>
geknüpft/) ^¬</p><lb/>
              <p xml:id="ID_800" next="#ID_801"> Wer für den Besitzer solcher Geheimnisse galt, der ward von seinen Ka<lb/>
meraden gefürchtet, aber nicht geehrt,"") &#x201E;denn wenn sie nicht furchtsame, sei?/<lb/>
Tröpfe wären, würden sie nicht solche Mittel gebrauchen." Schon im se^<lb/>
zehnten Jahrhundert ließen einzelne Obersten jeden Gefangenen henken, be&gt;</p><lb/>
              <note xml:id="FID_74" place="foot"> ') Simplicissimus I. 2, 24.</note><lb/>
              <note xml:id="FID_75" place="foot"> -) Grimmelshcmsen, Wunderbares Vogelnest.</note><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0246] in die katholischen Heere gebracht. Wer die Beschwörungen dieses Büchleins durchblättert, findet in einem Wust von Unsinn, unter vorgeschriebenen Kreuz- zeichen. Anrufung von Heiligen und Bibelstellen, auch einige poetische For¬ meln, die wahrscheinlich durch fünfzig Generationen fortgepflanzt worden sind. Ein anderes Zauberkunststück war: Reiter ins Feld zu machen, d. b. M Rettung in eigner Gefahr den täuschenden Schein hervorzubringen, als ob in der Entfernung Kriegsvolk heranziehe. Beide Verschwörungen sind Trümmer geheimer heidnischer Wissenschaft, welche in manchen Sagen und Märchen bis zur Gegenwart sortklingt. Dergleichen Ueberlieferungen mag es noch viele gegeben haben, sie waren sicher am Lagerfeuer und in der Marketenderhütte der beliebteste Gegenstand geheimnißvoller Unterhaltung. Wir dürfen zu solchem Glauben auch das Bestreben rechnen, aus dem Lauf der Gestirne den Ausgang der Kriegsaffairen und das eigne Schicksal zu lesen. Die Prognostika häuften sich während des Krieges, unermüdlich wurden aus Constellationen, Sternschnuppenfall, Kometen und atmosphärischen Erscheinungen die Schrecken der nächsten Jahre prophezeit, und durch eine grüßlichere Wirklichkeit widerlegt. Die Nativitütstellerei war all¬ gemein. Auch das zweite Gesicht besaßen einzelne Individuen, sie em¬ pfanden vorher, wem die nächste Zukunft Verhängniß bringen werde. Als 1636 die Sachs.-kaiserliche Armee vor Magdeburg lag, war ein kranker „Mathematikus" im Lager, der seinen Freunden vorher gesagt hatte, daß ihm der 26. Juni Verderben bringen werde. Er lag im geschlossenen Zelt, da ritt ein Lieutenant heran, knüpfte die Zeltschnüre auf, drang herein, und bat den Kranken, er möge ihm die Nativität stellen. Nach langer Weigerung prophezeite ihm der Kranke, er werde noch in dieser Stunde aufgehängt wer¬ den. Der Lieutenant, empört darüber, daß einem Cavalier solches gesagt werden dürfe, zog seinen Degen und erstach den Kranken. Es entstand ein Auflauf, der Mörder schwang sich aus sein Pferd und wäre entkommen; da wollte der Zufall, daß der Kurfürst von Sachsen neben dem General Hatzfeld mit großem Gefolge durch die Lagergasse hereinritt. Der Kurfürst rief: das wäre schlechte Disciplin im kaiserlichen Lager, wenn auch ein Kranker im Bett nicht vor Mördern seines Lebens sicher sein sollte. Der Lieutenant wurde auf¬ geknüpft/) ^¬ Wer für den Besitzer solcher Geheimnisse galt, der ward von seinen Ka meraden gefürchtet, aber nicht geehrt,"") „denn wenn sie nicht furchtsame, sei?/ Tröpfe wären, würden sie nicht solche Mittel gebrauchen." Schon im se^ zehnten Jahrhundert ließen einzelne Obersten jeden Gefangenen henken, be> ') Simplicissimus I. 2, 24. -) Grimmelshcmsen, Wunderbares Vogelnest.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/246
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/246>, abgerufen am 22.07.2024.