Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Worte, wie Seneca sagt, zwar schon Unannehmlichkeit, aber noch nicht Gefahr.
Zuerst unter Tiber schwoll das Unheil von geringen Anfängen zu jener "epi¬
demischen Wuth des Anklagen? an, die den Staat im Frieden härter schä¬
digte als alle Bürgerkriege. Die Reden der Trunkenen wurden aufgefangen,
die Arglosigkeit der scherzenden gedeutet. Nichts war sicher. Jeder Anlaß
zur Grausamkeit war willkommen. Man wartete nicht mehr den Ausgang
der Anklagen ab. da es immer derselbe war." Caligula versprach zwar die
Einstellung der Majestütsprocesse. hielt aber nicht Wort, dagegen hob sie Clau¬
dius wirklich auf. und Nero führte sie erst im achten Jahre seiner Regierung
wieder ein, um sie zur Füllung seines erschöpften Schatzes zu benutzen. Mit
beispielloser Willkür wurden Handlungen und Reden jeder Art. für die sich nur
ein Angeber finden ließ, unter die Kategorien des Majestätsgesetzes subsumirt.
Die beiden ersten Flavier verfuhren milde, namentlich Titus. unter Domitian
"brannte dann das Unheil von neuem auf und griff verheerend nach allen
Seiten um sich" (Tacitus). Die Regierung dieses zweiten Nero war vielleicht
die furchtbarste Zeit der römischen Kaiserhcrvschaft. Nach seiner Ermordung
athmete die römische Welt, von einem ungeheuern Druck erlöst, wieder auf,
und es war ihr beinah ein volles Jahrhundert der Erholung gegönnt, bis
mit dem Ausgang der Antonine die bösen Zeiten wiederkehrten.

Der regelmäßige Gerichtshof, vor dem die Majestätsklagen verhandelt
wurden, war der Senat. Schon August hatte seiner Cognition die bedeuten¬
dem Criminalfälle überwiesen, als Klagen gegen Provincialstatthalter, Aufruhr
in Italien, Bundesbrüchigkeit auswärtiger Fürsten; waren die Angeklagten
Senatoren, so konnten sie ohnedies nur von ihren Pairs gerichtet werden.
Obwol also nominell die höchste gerichtliche Behörde, war der Senat doch
factisch nur ein Werkzeug der kaiserlichen Willkür, von welcher die Aufnahme
und Ausstoßung der Senatoren abhing und der gegenüber jede senatorische
Opposition ohnmächtig war. da die Kaiser über die militärische Macht ver¬
fügten. Obwol nun der Senat (mit Ausnahme vereinzelter oppositioneller
Elemente) schon im ersten Jahrhundert eine über alle Begriffe schamlose und
niederträchtige Unterwürfigkeit bewies, und in der Regel viel kaiserlicher war
als die Kaiser selbst, fanden diese mindestens seit Hadrian es bequemer.
Gegenstände von Bedeutung mit Uebergehung des Senats in ihrem Cabinets-
rath verhandeln zu lassen, zu welchem der Civil- und Militärgouverneur von
Rom hinzugezogen wurden, welcher letztere auch in Abwesenheit des Kaisers
präsidirte.

Das Verfahren beim Majestätsproceß setzte den Angeklagten überhaupt
und besonders dem Kläger gegenüber von vornherein in Nachtheil. Während
in der Republik Sklaven nicht gefoltert werden dursten, um von ihnen ein Zeug¬
niß gegen ihren Herrn zu erpressen (wenn nicht ein Senatsbeschluß auf


1"

Worte, wie Seneca sagt, zwar schon Unannehmlichkeit, aber noch nicht Gefahr.
Zuerst unter Tiber schwoll das Unheil von geringen Anfängen zu jener „epi¬
demischen Wuth des Anklagen? an, die den Staat im Frieden härter schä¬
digte als alle Bürgerkriege. Die Reden der Trunkenen wurden aufgefangen,
die Arglosigkeit der scherzenden gedeutet. Nichts war sicher. Jeder Anlaß
zur Grausamkeit war willkommen. Man wartete nicht mehr den Ausgang
der Anklagen ab. da es immer derselbe war." Caligula versprach zwar die
Einstellung der Majestütsprocesse. hielt aber nicht Wort, dagegen hob sie Clau¬
dius wirklich auf. und Nero führte sie erst im achten Jahre seiner Regierung
wieder ein, um sie zur Füllung seines erschöpften Schatzes zu benutzen. Mit
beispielloser Willkür wurden Handlungen und Reden jeder Art. für die sich nur
ein Angeber finden ließ, unter die Kategorien des Majestätsgesetzes subsumirt.
Die beiden ersten Flavier verfuhren milde, namentlich Titus. unter Domitian
„brannte dann das Unheil von neuem auf und griff verheerend nach allen
Seiten um sich" (Tacitus). Die Regierung dieses zweiten Nero war vielleicht
die furchtbarste Zeit der römischen Kaiserhcrvschaft. Nach seiner Ermordung
athmete die römische Welt, von einem ungeheuern Druck erlöst, wieder auf,
und es war ihr beinah ein volles Jahrhundert der Erholung gegönnt, bis
mit dem Ausgang der Antonine die bösen Zeiten wiederkehrten.

Der regelmäßige Gerichtshof, vor dem die Majestätsklagen verhandelt
wurden, war der Senat. Schon August hatte seiner Cognition die bedeuten¬
dem Criminalfälle überwiesen, als Klagen gegen Provincialstatthalter, Aufruhr
in Italien, Bundesbrüchigkeit auswärtiger Fürsten; waren die Angeklagten
Senatoren, so konnten sie ohnedies nur von ihren Pairs gerichtet werden.
Obwol also nominell die höchste gerichtliche Behörde, war der Senat doch
factisch nur ein Werkzeug der kaiserlichen Willkür, von welcher die Aufnahme
und Ausstoßung der Senatoren abhing und der gegenüber jede senatorische
Opposition ohnmächtig war. da die Kaiser über die militärische Macht ver¬
fügten. Obwol nun der Senat (mit Ausnahme vereinzelter oppositioneller
Elemente) schon im ersten Jahrhundert eine über alle Begriffe schamlose und
niederträchtige Unterwürfigkeit bewies, und in der Regel viel kaiserlicher war
als die Kaiser selbst, fanden diese mindestens seit Hadrian es bequemer.
Gegenstände von Bedeutung mit Uebergehung des Senats in ihrem Cabinets-
rath verhandeln zu lassen, zu welchem der Civil- und Militärgouverneur von
Rom hinzugezogen wurden, welcher letztere auch in Abwesenheit des Kaisers
präsidirte.

Das Verfahren beim Majestätsproceß setzte den Angeklagten überhaupt
und besonders dem Kläger gegenüber von vornherein in Nachtheil. Während
in der Republik Sklaven nicht gefoltert werden dursten, um von ihnen ein Zeug¬
niß gegen ihren Herrn zu erpressen (wenn nicht ein Senatsbeschluß auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107603"/>
          <p xml:id="ID_13" prev="#ID_12"> Worte, wie Seneca sagt, zwar schon Unannehmlichkeit, aber noch nicht Gefahr.<lb/>
Zuerst unter Tiber schwoll das Unheil von geringen Anfängen zu jener &#x201E;epi¬<lb/>
demischen Wuth des Anklagen? an, die den Staat im Frieden härter schä¬<lb/>
digte als alle Bürgerkriege. Die Reden der Trunkenen wurden aufgefangen,<lb/>
die Arglosigkeit der scherzenden gedeutet. Nichts war sicher. Jeder Anlaß<lb/>
zur Grausamkeit war willkommen. Man wartete nicht mehr den Ausgang<lb/>
der Anklagen ab. da es immer derselbe war." Caligula versprach zwar die<lb/>
Einstellung der Majestütsprocesse. hielt aber nicht Wort, dagegen hob sie Clau¬<lb/>
dius wirklich auf. und Nero führte sie erst im achten Jahre seiner Regierung<lb/>
wieder ein, um sie zur Füllung seines erschöpften Schatzes zu benutzen. Mit<lb/>
beispielloser Willkür wurden Handlungen und Reden jeder Art. für die sich nur<lb/>
ein Angeber finden ließ, unter die Kategorien des Majestätsgesetzes subsumirt.<lb/>
Die beiden ersten Flavier verfuhren milde, namentlich Titus. unter Domitian<lb/>
&#x201E;brannte dann das Unheil von neuem auf und griff verheerend nach allen<lb/>
Seiten um sich" (Tacitus). Die Regierung dieses zweiten Nero war vielleicht<lb/>
die furchtbarste Zeit der römischen Kaiserhcrvschaft. Nach seiner Ermordung<lb/>
athmete die römische Welt, von einem ungeheuern Druck erlöst, wieder auf,<lb/>
und es war ihr beinah ein volles Jahrhundert der Erholung gegönnt, bis<lb/>
mit dem Ausgang der Antonine die bösen Zeiten wiederkehrten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_14"> Der regelmäßige Gerichtshof, vor dem die Majestätsklagen verhandelt<lb/>
wurden, war der Senat. Schon August hatte seiner Cognition die bedeuten¬<lb/>
dem Criminalfälle überwiesen, als Klagen gegen Provincialstatthalter, Aufruhr<lb/>
in Italien, Bundesbrüchigkeit auswärtiger Fürsten; waren die Angeklagten<lb/>
Senatoren, so konnten sie ohnedies nur von ihren Pairs gerichtet werden.<lb/>
Obwol also nominell die höchste gerichtliche Behörde, war der Senat doch<lb/>
factisch nur ein Werkzeug der kaiserlichen Willkür, von welcher die Aufnahme<lb/>
und Ausstoßung der Senatoren abhing und der gegenüber jede senatorische<lb/>
Opposition ohnmächtig war. da die Kaiser über die militärische Macht ver¬<lb/>
fügten. Obwol nun der Senat (mit Ausnahme vereinzelter oppositioneller<lb/>
Elemente) schon im ersten Jahrhundert eine über alle Begriffe schamlose und<lb/>
niederträchtige Unterwürfigkeit bewies, und in der Regel viel kaiserlicher war<lb/>
als die Kaiser selbst, fanden diese mindestens seit Hadrian es bequemer.<lb/>
Gegenstände von Bedeutung mit Uebergehung des Senats in ihrem Cabinets-<lb/>
rath verhandeln zu lassen, zu welchem der Civil- und Militärgouverneur von<lb/>
Rom hinzugezogen wurden, welcher letztere auch in Abwesenheit des Kaisers<lb/>
präsidirte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_15" next="#ID_16"> Das Verfahren beim Majestätsproceß setzte den Angeklagten überhaupt<lb/>
und besonders dem Kläger gegenüber von vornherein in Nachtheil. Während<lb/>
in der Republik Sklaven nicht gefoltert werden dursten, um von ihnen ein Zeug¬<lb/>
niß gegen ihren Herrn zu erpressen (wenn nicht ein Senatsbeschluß auf</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"></fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Worte, wie Seneca sagt, zwar schon Unannehmlichkeit, aber noch nicht Gefahr. Zuerst unter Tiber schwoll das Unheil von geringen Anfängen zu jener „epi¬ demischen Wuth des Anklagen? an, die den Staat im Frieden härter schä¬ digte als alle Bürgerkriege. Die Reden der Trunkenen wurden aufgefangen, die Arglosigkeit der scherzenden gedeutet. Nichts war sicher. Jeder Anlaß zur Grausamkeit war willkommen. Man wartete nicht mehr den Ausgang der Anklagen ab. da es immer derselbe war." Caligula versprach zwar die Einstellung der Majestütsprocesse. hielt aber nicht Wort, dagegen hob sie Clau¬ dius wirklich auf. und Nero führte sie erst im achten Jahre seiner Regierung wieder ein, um sie zur Füllung seines erschöpften Schatzes zu benutzen. Mit beispielloser Willkür wurden Handlungen und Reden jeder Art. für die sich nur ein Angeber finden ließ, unter die Kategorien des Majestätsgesetzes subsumirt. Die beiden ersten Flavier verfuhren milde, namentlich Titus. unter Domitian „brannte dann das Unheil von neuem auf und griff verheerend nach allen Seiten um sich" (Tacitus). Die Regierung dieses zweiten Nero war vielleicht die furchtbarste Zeit der römischen Kaiserhcrvschaft. Nach seiner Ermordung athmete die römische Welt, von einem ungeheuern Druck erlöst, wieder auf, und es war ihr beinah ein volles Jahrhundert der Erholung gegönnt, bis mit dem Ausgang der Antonine die bösen Zeiten wiederkehrten. Der regelmäßige Gerichtshof, vor dem die Majestätsklagen verhandelt wurden, war der Senat. Schon August hatte seiner Cognition die bedeuten¬ dem Criminalfälle überwiesen, als Klagen gegen Provincialstatthalter, Aufruhr in Italien, Bundesbrüchigkeit auswärtiger Fürsten; waren die Angeklagten Senatoren, so konnten sie ohnedies nur von ihren Pairs gerichtet werden. Obwol also nominell die höchste gerichtliche Behörde, war der Senat doch factisch nur ein Werkzeug der kaiserlichen Willkür, von welcher die Aufnahme und Ausstoßung der Senatoren abhing und der gegenüber jede senatorische Opposition ohnmächtig war. da die Kaiser über die militärische Macht ver¬ fügten. Obwol nun der Senat (mit Ausnahme vereinzelter oppositioneller Elemente) schon im ersten Jahrhundert eine über alle Begriffe schamlose und niederträchtige Unterwürfigkeit bewies, und in der Regel viel kaiserlicher war als die Kaiser selbst, fanden diese mindestens seit Hadrian es bequemer. Gegenstände von Bedeutung mit Uebergehung des Senats in ihrem Cabinets- rath verhandeln zu lassen, zu welchem der Civil- und Militärgouverneur von Rom hinzugezogen wurden, welcher letztere auch in Abwesenheit des Kaisers präsidirte. Das Verfahren beim Majestätsproceß setzte den Angeklagten überhaupt und besonders dem Kläger gegenüber von vornherein in Nachtheil. Während in der Republik Sklaven nicht gefoltert werden dursten, um von ihnen ein Zeug¬ niß gegen ihren Herrn zu erpressen (wenn nicht ein Senatsbeschluß auf 1«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/17>, abgerufen am 28.12.2024.