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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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schaften Vorschub zu leisten, sie durch Servilität und Liebedienerei zu wecken
und zu steigern, wo es an Nahrung für sie fehlte, solche zu schaffen und die
Fürsten zu überzeugen, daß jede schlechte Begierde der Ausführung durch bereite
und bequeme Werkzeuge gewiß sei, noch bevor sie dieselbe geäußert. Durch
die ganze Darstellung des Tacitus geht also das Bestreben, von diesen Ver-
irrungen abzumahnen, indem er ihre verderblichen Folgen für diejenigen selbst
hervorhebt, welche sich ihnen hingeben. Deshalb hat er mit solcher Ausführ¬
lichkeit die Servilität des Senats, die Majestätsprocesse, das Benehmen und
die Schicksale der Angeber und Ankläger behandelt."

Der Majestätsproceß der Republik war gegen Verbrechen gerichtet gewesen,
durch welche die Majestät des römischen Volks und Staats beeinträchtigt ward.
Der Name war derselbe wie unter den Kaisern, sagt Tacitus, aber die Fälle,
die unter diese Kategorie gerechnet wurden, andere: "wenn jemand das Heer
verrathen, das Volk aufgewiegelt, überhaupt durch schlechte Staatsverwaltung
die Majestät des römischen Volks verletzt hatte. Handlungen wurden zur
Rechenschaft gezogen, Reden waren straflos." Das Gesetz Sullas scheint eine
Bestimmung enthalten zu haben, nach welcher auch Reden und Schriften be¬
straft werden konnten. Sie wurde zuerst von August auf Pasquille angewandt,
der erste nach der neuen Interpretation des Majestätsgesetzes Verurtheilte war
Cassius Severus, ein Mann von niederer Herkunft, ebenso berühmt durch seine
glänzende rhetorische Begabung als berüchtigt durch die Maßlosigkeit seiner
Leidenschaft. Wie Tacitus sagt, hatte er Augusts Zorn durch Pasquille gereizt,
in denen er Frauen und Männer von hohem Range auf freche Weise verun¬
glimpft hatte. Vermuthlich waren darunter Personen aus der kaiserlichen
Familie, vielleicht der Kaiser selbst, sonst würden jene Schmähschriften als ein¬
fache Injurien behandelt worden sein, für welche schon die Zwölftafelgesetze
Strafen festgesetzt hatten. Durch die Begründung der Monarchie waren aber
die sämmtlichen Gewalten der Republik in der Person des Kaisers vereint,
die nun den Staat repräsentirte, und deren Verletzung, Antastung und Belei¬
digung fortan den entsprechenden Verbrechen gegen den Staat gleich geachtet
und bestraft wurde. Begreiflicherweise war bei dieser Auffassung der Begriff
des Majestätsverbrechens ein sehr dehnbarer, der von wirklichen Mordversuchen
abwärts Handlungen und Reden jeder Art bis zu den geringfügigsten und
unschuldigsten umfassen konnte, in die nur der beispiellose Servilismus jener
Zeit die Absicht einer Majestätsbeleidigung hineinzudenken sähig war. wie z. B.
wenn jemand sich in Gegenwart einer kaiserlichen Statue entkleidet, oder bei
der Verrichtung eines körperlichen Bedürfnisses einen Ring mit dem kaiserlichen
Bildnisse am Finger behalten hatte. Es ist vorzugsweise die strengere oder
gelindere Handhabung des Majestätsgesetzes, welche die innere Politik der einzel¬
nen Regierungen charakterisirt. Unter August brachten den Menschen ihre


schaften Vorschub zu leisten, sie durch Servilität und Liebedienerei zu wecken
und zu steigern, wo es an Nahrung für sie fehlte, solche zu schaffen und die
Fürsten zu überzeugen, daß jede schlechte Begierde der Ausführung durch bereite
und bequeme Werkzeuge gewiß sei, noch bevor sie dieselbe geäußert. Durch
die ganze Darstellung des Tacitus geht also das Bestreben, von diesen Ver-
irrungen abzumahnen, indem er ihre verderblichen Folgen für diejenigen selbst
hervorhebt, welche sich ihnen hingeben. Deshalb hat er mit solcher Ausführ¬
lichkeit die Servilität des Senats, die Majestätsprocesse, das Benehmen und
die Schicksale der Angeber und Ankläger behandelt."

Der Majestätsproceß der Republik war gegen Verbrechen gerichtet gewesen,
durch welche die Majestät des römischen Volks und Staats beeinträchtigt ward.
Der Name war derselbe wie unter den Kaisern, sagt Tacitus, aber die Fälle,
die unter diese Kategorie gerechnet wurden, andere: „wenn jemand das Heer
verrathen, das Volk aufgewiegelt, überhaupt durch schlechte Staatsverwaltung
die Majestät des römischen Volks verletzt hatte. Handlungen wurden zur
Rechenschaft gezogen, Reden waren straflos." Das Gesetz Sullas scheint eine
Bestimmung enthalten zu haben, nach welcher auch Reden und Schriften be¬
straft werden konnten. Sie wurde zuerst von August auf Pasquille angewandt,
der erste nach der neuen Interpretation des Majestätsgesetzes Verurtheilte war
Cassius Severus, ein Mann von niederer Herkunft, ebenso berühmt durch seine
glänzende rhetorische Begabung als berüchtigt durch die Maßlosigkeit seiner
Leidenschaft. Wie Tacitus sagt, hatte er Augusts Zorn durch Pasquille gereizt,
in denen er Frauen und Männer von hohem Range auf freche Weise verun¬
glimpft hatte. Vermuthlich waren darunter Personen aus der kaiserlichen
Familie, vielleicht der Kaiser selbst, sonst würden jene Schmähschriften als ein¬
fache Injurien behandelt worden sein, für welche schon die Zwölftafelgesetze
Strafen festgesetzt hatten. Durch die Begründung der Monarchie waren aber
die sämmtlichen Gewalten der Republik in der Person des Kaisers vereint,
die nun den Staat repräsentirte, und deren Verletzung, Antastung und Belei¬
digung fortan den entsprechenden Verbrechen gegen den Staat gleich geachtet
und bestraft wurde. Begreiflicherweise war bei dieser Auffassung der Begriff
des Majestätsverbrechens ein sehr dehnbarer, der von wirklichen Mordversuchen
abwärts Handlungen und Reden jeder Art bis zu den geringfügigsten und
unschuldigsten umfassen konnte, in die nur der beispiellose Servilismus jener
Zeit die Absicht einer Majestätsbeleidigung hineinzudenken sähig war. wie z. B.
wenn jemand sich in Gegenwart einer kaiserlichen Statue entkleidet, oder bei
der Verrichtung eines körperlichen Bedürfnisses einen Ring mit dem kaiserlichen
Bildnisse am Finger behalten hatte. Es ist vorzugsweise die strengere oder
gelindere Handhabung des Majestätsgesetzes, welche die innere Politik der einzel¬
nen Regierungen charakterisirt. Unter August brachten den Menschen ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/16>, abgerufen am 28.12.2024.