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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Troß zurück und verbot den Schiffern, in den nächsten Tagen Leute überzusetzen.
Die Dirnen aber erhoben am User ein lautes Geschrei und Weinen, als die
Schiffer nicht zurückkamen; da lies das ganze Regiment auf der andern
Seite ebenso schreiend zusammen. Die Soldaten riefen in hellen Haufen:
"Ho, Potz schlapperment. ich muß meine Dirne wieder haben, sie trägt meine
Hemden, Kragen, Schuhe und Strümpfe". Wollte der Oberst die Soldaten
vorwärtsbringen, und ein großes Unglück verhüten, so mußte er die Dirnen
und das andere Gesindlein doch mitziehen lassen. Da wählte er ein anderes
Mittel, er ließ mit der Trommel umschlagen und ausrufen, jeder solle bei
Leibesstrafe seine Dirne abschaffen, nur die Ehefrauen durften bleiben. Da
liefen die Soldcckcn mit ihren Dirnen nach allen Dörfern in der Runde zur
Kirche, es gab nicht Geistliche genug zum Copuliren. in zwei Tagen wurden
800 Dirnen zu Ehefrauen gemacht, darunter die elendesten Creaturen.

Von da ab wuchs der Troß bis zum Ende des Krieges. Nur auf kurze
Zeit vermochten große Heerführer, wie Tilly. Wallenstein, Gustav Adolph dies
größte Leiden der Heere zu beschränken. Und 1648 am Ende des großen Krieges
berichtet der bairische General Gronsfeld, daß bei der kaiserlichen und bairischen
Armee 40.000 Soldaten wären, welche Kriegsrationen bekämen und 140,000
Personen, welche nichts bekämen; wovon dieser Troß leben solle, wenn er die
Nahrung nicht erbeute, zumal es in der ganzen Gegend, wo das Heer lagere,
keinen einzigen Ort gäbe, wo der Soldat ein Stück Brod kaufen könne. So
'se im Jahr 1648 der Troß des Heeres drei und ein halb Mal so stark als
die Zahl der Kämpfenden. Diese Zahlen sprechen deutlicher als alle Ausfüh¬
rungen, welche grausenhafte Masse von Elend auch um die Fahnen herumlag.

Bevor der Einfluß dargestellt wird, welchen Heeresmassen von solcher Be¬
schaffenheit auf das Leben des deutschen Volkes ausübten, möge man sich noch
einmal erinnern, daß der dreißigjährige Krieg all dies Unwesen nicht geschaf¬
fn hat, sondern in der Hauptsache vorfand. Für diesen Zweck ist es von
besonderem Interesse, frühere Berichte über Einwirkung der Söldnerheere
°Uf die Nation zu mustern. Deshalb seien zum Schluß dieses Abschnittes
einige Betrachtungen mitgetheilt, welche Adam Junghans von der Olnitz in
seinem jetzt seltenen Büchlein- Kriegsordnung zu Wasser und Landt, zu der
Zeit macht, in welcher die alte Tüchtigkeit des Landsknechtheeres in wüster
Söldnerwirthschaft unterging. Das Folgende wird nach der dritten Ausgabe
(Köln 1598) mit getreuer Übertragung in unsere Redeweise mitgetheilt, und
stehe hier als Prolog zu dem ungeheuern Trauerspiel, welches zwanzig Jahr
später begann.

"An jeder Obrist. Rittmeister oder Hauptmann weiß wohl, daß ihm keine
Doctor, Magister oder sonst gottesfürchtige Leute zulaufen, sondern ein Hausen


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Troß zurück und verbot den Schiffern, in den nächsten Tagen Leute überzusetzen.
Die Dirnen aber erhoben am User ein lautes Geschrei und Weinen, als die
Schiffer nicht zurückkamen; da lies das ganze Regiment auf der andern
Seite ebenso schreiend zusammen. Die Soldaten riefen in hellen Haufen:
»Ho, Potz schlapperment. ich muß meine Dirne wieder haben, sie trägt meine
Hemden, Kragen, Schuhe und Strümpfe". Wollte der Oberst die Soldaten
vorwärtsbringen, und ein großes Unglück verhüten, so mußte er die Dirnen
und das andere Gesindlein doch mitziehen lassen. Da wählte er ein anderes
Mittel, er ließ mit der Trommel umschlagen und ausrufen, jeder solle bei
Leibesstrafe seine Dirne abschaffen, nur die Ehefrauen durften bleiben. Da
liefen die Soldcckcn mit ihren Dirnen nach allen Dörfern in der Runde zur
Kirche, es gab nicht Geistliche genug zum Copuliren. in zwei Tagen wurden
800 Dirnen zu Ehefrauen gemacht, darunter die elendesten Creaturen.

Von da ab wuchs der Troß bis zum Ende des Krieges. Nur auf kurze
Zeit vermochten große Heerführer, wie Tilly. Wallenstein, Gustav Adolph dies
größte Leiden der Heere zu beschränken. Und 1648 am Ende des großen Krieges
berichtet der bairische General Gronsfeld, daß bei der kaiserlichen und bairischen
Armee 40.000 Soldaten wären, welche Kriegsrationen bekämen und 140,000
Personen, welche nichts bekämen; wovon dieser Troß leben solle, wenn er die
Nahrung nicht erbeute, zumal es in der ganzen Gegend, wo das Heer lagere,
keinen einzigen Ort gäbe, wo der Soldat ein Stück Brod kaufen könne. So
'se im Jahr 1648 der Troß des Heeres drei und ein halb Mal so stark als
die Zahl der Kämpfenden. Diese Zahlen sprechen deutlicher als alle Ausfüh¬
rungen, welche grausenhafte Masse von Elend auch um die Fahnen herumlag.

Bevor der Einfluß dargestellt wird, welchen Heeresmassen von solcher Be¬
schaffenheit auf das Leben des deutschen Volkes ausübten, möge man sich noch
einmal erinnern, daß der dreißigjährige Krieg all dies Unwesen nicht geschaf¬
fn hat, sondern in der Hauptsache vorfand. Für diesen Zweck ist es von
besonderem Interesse, frühere Berichte über Einwirkung der Söldnerheere
°Uf die Nation zu mustern. Deshalb seien zum Schluß dieses Abschnittes
einige Betrachtungen mitgetheilt, welche Adam Junghans von der Olnitz in
seinem jetzt seltenen Büchlein- Kriegsordnung zu Wasser und Landt, zu der
Zeit macht, in welcher die alte Tüchtigkeit des Landsknechtheeres in wüster
Söldnerwirthschaft unterging. Das Folgende wird nach der dritten Ausgabe
(Köln 1598) mit getreuer Übertragung in unsere Redeweise mitgetheilt, und
stehe hier als Prolog zu dem ungeheuern Trauerspiel, welches zwanzig Jahr
später begann.

„An jeder Obrist. Rittmeister oder Hauptmann weiß wohl, daß ihm keine
Doctor, Magister oder sonst gottesfürchtige Leute zulaufen, sondern ein Hausen


18*
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[0153] Troß zurück und verbot den Schiffern, in den nächsten Tagen Leute überzusetzen. Die Dirnen aber erhoben am User ein lautes Geschrei und Weinen, als die Schiffer nicht zurückkamen; da lies das ganze Regiment auf der andern Seite ebenso schreiend zusammen. Die Soldaten riefen in hellen Haufen: »Ho, Potz schlapperment. ich muß meine Dirne wieder haben, sie trägt meine Hemden, Kragen, Schuhe und Strümpfe". Wollte der Oberst die Soldaten vorwärtsbringen, und ein großes Unglück verhüten, so mußte er die Dirnen und das andere Gesindlein doch mitziehen lassen. Da wählte er ein anderes Mittel, er ließ mit der Trommel umschlagen und ausrufen, jeder solle bei Leibesstrafe seine Dirne abschaffen, nur die Ehefrauen durften bleiben. Da liefen die Soldcckcn mit ihren Dirnen nach allen Dörfern in der Runde zur Kirche, es gab nicht Geistliche genug zum Copuliren. in zwei Tagen wurden 800 Dirnen zu Ehefrauen gemacht, darunter die elendesten Creaturen. Von da ab wuchs der Troß bis zum Ende des Krieges. Nur auf kurze Zeit vermochten große Heerführer, wie Tilly. Wallenstein, Gustav Adolph dies größte Leiden der Heere zu beschränken. Und 1648 am Ende des großen Krieges berichtet der bairische General Gronsfeld, daß bei der kaiserlichen und bairischen Armee 40.000 Soldaten wären, welche Kriegsrationen bekämen und 140,000 Personen, welche nichts bekämen; wovon dieser Troß leben solle, wenn er die Nahrung nicht erbeute, zumal es in der ganzen Gegend, wo das Heer lagere, keinen einzigen Ort gäbe, wo der Soldat ein Stück Brod kaufen könne. So 'se im Jahr 1648 der Troß des Heeres drei und ein halb Mal so stark als die Zahl der Kämpfenden. Diese Zahlen sprechen deutlicher als alle Ausfüh¬ rungen, welche grausenhafte Masse von Elend auch um die Fahnen herumlag. Bevor der Einfluß dargestellt wird, welchen Heeresmassen von solcher Be¬ schaffenheit auf das Leben des deutschen Volkes ausübten, möge man sich noch einmal erinnern, daß der dreißigjährige Krieg all dies Unwesen nicht geschaf¬ fn hat, sondern in der Hauptsache vorfand. Für diesen Zweck ist es von besonderem Interesse, frühere Berichte über Einwirkung der Söldnerheere °Uf die Nation zu mustern. Deshalb seien zum Schluß dieses Abschnittes einige Betrachtungen mitgetheilt, welche Adam Junghans von der Olnitz in seinem jetzt seltenen Büchlein- Kriegsordnung zu Wasser und Landt, zu der Zeit macht, in welcher die alte Tüchtigkeit des Landsknechtheeres in wüster Söldnerwirthschaft unterging. Das Folgende wird nach der dritten Ausgabe (Köln 1598) mit getreuer Übertragung in unsere Redeweise mitgetheilt, und stehe hier als Prolog zu dem ungeheuern Trauerspiel, welches zwanzig Jahr später begann. „An jeder Obrist. Rittmeister oder Hauptmann weiß wohl, daß ihm keine Doctor, Magister oder sonst gottesfürchtige Leute zulaufen, sondern ein Hausen 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/153>, abgerufen am 23.07.2024.