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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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sollte es mit voller Stärke empfinden, was es bedeutete, ein wichtiges Ob¬
ject für die Diplomatie jener Zeit zu werden. Man hatte Blut gesäet, und
Frieden war es nicht, den man ernten sollte. --

Bisher hatte der Gouverneur von Mailand, gleichsam die Hände in den
Taschen, diesem Treiben zugesehen; ohne Spanien irgend wie zu engcigiren,
hatte er durch sein Benehmen doch den Verschwörern Muth zu machen ge¬
wußt; bei Freund und Feind war es eine anerkannte Thatsache, daß die
Katholiken des Veltlin insgeheim von Mailand aus ermuthigt, wenn nicht
unterstützt würden. Und dies schrieb sich schon von vielen Jahren her; der
berühmte venetianische Diplomat Paolo Sarpi äußert schon 1610 in einem
seiner Briefe die Besorgniß, daß die Spanier das Veltlin occupiren würden.
Trotzdem war Feria äußerst vorsichtig verfahren und bis zum Ausbruch der
Katastrophe hatte er die Miene des ruhigen und gleichgiltigen Zuschauers
glücklich zu bewahren gewußt.

Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle die Wichtigkeit, welche das
^eine Thal für die Politik des siebzehnten Jahrhunderts hatte. Eine aufrich¬
tige Betrachtung wird es zugeben müssen, daß die religiösen Gegensätze daran
den mindesten Antheil hatten. Es war für Spanien, wie für die antispa-
uischen Mächte an sich ziemlich gleichgiltig, ob der Katholicismus oder der
Protestantismus herrschte; höchstens mochte der Gegensatz der Bekenntnisse,
Zu anderem hinzukommend, einen leichteren Vorwand gewähren und den Kampf
der Parteien erbitterter machen. Die Hauptsache war und blieb die hohe
"nlitärische Wichtigkeit dieses Postens. Man muß sich erinnern, daß in dieser
Zeit das venetianische Gebiet bis zur Adda reichte; Mischendem mailändischen
u"d dem nächst gelegenen Habsburgischen Territorium, dem südlichen Tirol
^ag das Gebiet von Bergamo und Brescia, welches der Republik Venedig
öugehörte; nach Norden hin grenzten überall die schweizerischen Landschaften;
^urz es stand Mailand nach keiner Seite hin in directem Zusammenhang mit
dem Gros der Habsburgischen Territorien, wollte man von Deutschland Trup¬
pen hierher, oder umgekehrt italienische Truppen nach Deutschland ziehen, so
konnte es immer blos mit Gewalt, oder mit Wissen und Willen der Schwei¬
zer, Graubündtner oder Venetianer geschehen -- und das letztere stieß meist
auf unangenehme Schwierigkeiten. Welche Aussicht bot dagegen die Acquisi-
tion des Veltlin! Es stieß dasselbe mit seinem einen Ende bei dem Forte
°i Fuentes unmittelbar ans Mailändische, und mit dem andern durch die
Landschaft Bormio unmittelbar an Tirol. Konnte man diese Linie gewinnen,
so war der großartigste Zusammenhang aller Habsburgischen Besitzungen in
Mitteleuropa von Mailand bis nach Wien und Prag auf der einen, durch
Tirol, die östreichischen Vorlande im südwestlichen Deutschland, die eben ge¬
wonnene Rheinpfalz (162"), und den Rhein selbst bis zu den östreichischen


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sollte es mit voller Stärke empfinden, was es bedeutete, ein wichtiges Ob¬
ject für die Diplomatie jener Zeit zu werden. Man hatte Blut gesäet, und
Frieden war es nicht, den man ernten sollte. —

Bisher hatte der Gouverneur von Mailand, gleichsam die Hände in den
Taschen, diesem Treiben zugesehen; ohne Spanien irgend wie zu engcigiren,
hatte er durch sein Benehmen doch den Verschwörern Muth zu machen ge¬
wußt; bei Freund und Feind war es eine anerkannte Thatsache, daß die
Katholiken des Veltlin insgeheim von Mailand aus ermuthigt, wenn nicht
unterstützt würden. Und dies schrieb sich schon von vielen Jahren her; der
berühmte venetianische Diplomat Paolo Sarpi äußert schon 1610 in einem
seiner Briefe die Besorgniß, daß die Spanier das Veltlin occupiren würden.
Trotzdem war Feria äußerst vorsichtig verfahren und bis zum Ausbruch der
Katastrophe hatte er die Miene des ruhigen und gleichgiltigen Zuschauers
glücklich zu bewahren gewußt.

Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle die Wichtigkeit, welche das
^eine Thal für die Politik des siebzehnten Jahrhunderts hatte. Eine aufrich¬
tige Betrachtung wird es zugeben müssen, daß die religiösen Gegensätze daran
den mindesten Antheil hatten. Es war für Spanien, wie für die antispa-
uischen Mächte an sich ziemlich gleichgiltig, ob der Katholicismus oder der
Protestantismus herrschte; höchstens mochte der Gegensatz der Bekenntnisse,
Zu anderem hinzukommend, einen leichteren Vorwand gewähren und den Kampf
der Parteien erbitterter machen. Die Hauptsache war und blieb die hohe
"nlitärische Wichtigkeit dieses Postens. Man muß sich erinnern, daß in dieser
Zeit das venetianische Gebiet bis zur Adda reichte; Mischendem mailändischen
u»d dem nächst gelegenen Habsburgischen Territorium, dem südlichen Tirol
^ag das Gebiet von Bergamo und Brescia, welches der Republik Venedig
öugehörte; nach Norden hin grenzten überall die schweizerischen Landschaften;
^urz es stand Mailand nach keiner Seite hin in directem Zusammenhang mit
dem Gros der Habsburgischen Territorien, wollte man von Deutschland Trup¬
pen hierher, oder umgekehrt italienische Truppen nach Deutschland ziehen, so
konnte es immer blos mit Gewalt, oder mit Wissen und Willen der Schwei¬
zer, Graubündtner oder Venetianer geschehen — und das letztere stieß meist
auf unangenehme Schwierigkeiten. Welche Aussicht bot dagegen die Acquisi-
tion des Veltlin! Es stieß dasselbe mit seinem einen Ende bei dem Forte
°i Fuentes unmittelbar ans Mailändische, und mit dem andern durch die
Landschaft Bormio unmittelbar an Tirol. Konnte man diese Linie gewinnen,
so war der großartigste Zusammenhang aller Habsburgischen Besitzungen in
Mitteleuropa von Mailand bis nach Wien und Prag auf der einen, durch
Tirol, die östreichischen Vorlande im südwestlichen Deutschland, die eben ge¬
wonnene Rheinpfalz (162»), und den Rhein selbst bis zu den östreichischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/105>, abgerufen am 22.07.2024.