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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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die Schlösser der Planta, die man des Einverständnisses mit Spanien beschul¬
digt, werden zerstört, hohe Preise auf ihre Köpfe gesetzt. In Thusis am Hinterrhein
setzt Salis ein außerordentliches "Strafgericht" nieder, ein Schrecken für alle,
die in den Verdacht kamen, Spanien und den Katholicismus zu begünstigen.
Eine wilde Rotte bricht im Auftrag dieses Gerichts in Sondrio, der Haupt¬
stadt des Veltlin ein, und schleppt den Führer der Katholiken, den greisen Erz-
pnester Nicolo Rusca fort nach Thusis; hier inquirirt man gegen ihn wegen
geheimer Verbindungen mit Mailand, Aufreizung des Volks im Veltlin gegen
Graubündten u. s. w.; als der Greis nichts gesteht, bringt man ihn zweimal
auf die Folter; man sagt, beim zweiten Mal habe man ihn todt herunter¬
genommen, andere lassen ihn an Gift im Gefängniß sterben. Es war, als
wollte die Natur selbst die Schrecken dieser Zeit vermehren; wenige Stunden
von Chiavenna lag die blühende Ortschaft Plurs (Piuro); am 4. September,
an demselben Tage, wo Nicolo Rusca der Folter erlag, begrub ein Bergsturz
das Dorf; nicht einer seiner Bewohner entrann dem Verderben.

Man mag sich denken, wie unerträglich die Lage der Veltliner war.
Lange schon hatten die Führer der dortigen Katholiken insgeheim mit Mailand
verhandelt; der jetzige Gouverneur Fera wußte den Unmuth zu nähren, ohne
lieb selbst vor der Zeit blos zu stellen; die Venetianer standen mit den Grcm-
bündtnern noch immer in engerem Bündniß, sie konnten es nicht dulden, daß
das Veltlin in die Hände Habsburgs gelangte, sie beobachteten aufs arg¬
wöhnischeste alle Bewegungen in Mailand; es galt so vorsichtig als mög¬
lich zu sein; zu offener directer Unterstützung ließ sich Faria einstweilen nicht
herbei.

So mußten die Dinge dort ihren eignen Weg gehen. Der Ritter Jakob
Robustelli versammelte in seinem Hause zu Grosotto die angesehensten und
kühnsten Häupter der veltliner Katholiken -- ein Paravicini, ein Guicciardi
a. werden als die eifrigsten genannt; Vincenzo Venosta entflammte alle
Anwesende zu dem Muth einer blutigen Gewaltthat;*) so ward sie beschlossen
und alle Anordnungen zu ihrer Ausführung getroffen.

Der Ort Tirano ward zum Ausbruch der Verschwörung bestimmt; hier
sammelten sich die Conspiratoren im Hause Venostas; am 19. Juli 1K20
^us am Morgen ward das verabredete Zeichen gegeben, und alsbald stürzten
die Mörder bewaffnet auf die Straßen und riefen alle Katholiken zu dem
Rachewerk auf. Es bedürfte nur eines solchen Anstoßes, um rasch alle Leiden¬
schaften zu entfesseln; bald ertönte das fürchterliche g-mena^a.! amena^a! von
allen Seiten, und das Blutbad begann; die unglücklichen Reformirten, un¬
vorbereitet, zerstreut, überdies die Minderzahl, konnten an keine Vertheidigung



') Ein Glas Venosta ist auch jetzt Sardinischer Commissär im Veltlin.
Grenzl'oder III. 1859, 12

die Schlösser der Planta, die man des Einverständnisses mit Spanien beschul¬
digt, werden zerstört, hohe Preise auf ihre Köpfe gesetzt. In Thusis am Hinterrhein
setzt Salis ein außerordentliches „Strafgericht" nieder, ein Schrecken für alle,
die in den Verdacht kamen, Spanien und den Katholicismus zu begünstigen.
Eine wilde Rotte bricht im Auftrag dieses Gerichts in Sondrio, der Haupt¬
stadt des Veltlin ein, und schleppt den Führer der Katholiken, den greisen Erz-
pnester Nicolo Rusca fort nach Thusis; hier inquirirt man gegen ihn wegen
geheimer Verbindungen mit Mailand, Aufreizung des Volks im Veltlin gegen
Graubündten u. s. w.; als der Greis nichts gesteht, bringt man ihn zweimal
auf die Folter; man sagt, beim zweiten Mal habe man ihn todt herunter¬
genommen, andere lassen ihn an Gift im Gefängniß sterben. Es war, als
wollte die Natur selbst die Schrecken dieser Zeit vermehren; wenige Stunden
von Chiavenna lag die blühende Ortschaft Plurs (Piuro); am 4. September,
an demselben Tage, wo Nicolo Rusca der Folter erlag, begrub ein Bergsturz
das Dorf; nicht einer seiner Bewohner entrann dem Verderben.

Man mag sich denken, wie unerträglich die Lage der Veltliner war.
Lange schon hatten die Führer der dortigen Katholiken insgeheim mit Mailand
verhandelt; der jetzige Gouverneur Fera wußte den Unmuth zu nähren, ohne
lieb selbst vor der Zeit blos zu stellen; die Venetianer standen mit den Grcm-
bündtnern noch immer in engerem Bündniß, sie konnten es nicht dulden, daß
das Veltlin in die Hände Habsburgs gelangte, sie beobachteten aufs arg¬
wöhnischeste alle Bewegungen in Mailand; es galt so vorsichtig als mög¬
lich zu sein; zu offener directer Unterstützung ließ sich Faria einstweilen nicht
herbei.

So mußten die Dinge dort ihren eignen Weg gehen. Der Ritter Jakob
Robustelli versammelte in seinem Hause zu Grosotto die angesehensten und
kühnsten Häupter der veltliner Katholiken — ein Paravicini, ein Guicciardi
a. werden als die eifrigsten genannt; Vincenzo Venosta entflammte alle
Anwesende zu dem Muth einer blutigen Gewaltthat;*) so ward sie beschlossen
und alle Anordnungen zu ihrer Ausführung getroffen.

Der Ort Tirano ward zum Ausbruch der Verschwörung bestimmt; hier
sammelten sich die Conspiratoren im Hause Venostas; am 19. Juli 1K20
^us am Morgen ward das verabredete Zeichen gegeben, und alsbald stürzten
die Mörder bewaffnet auf die Straßen und riefen alle Katholiken zu dem
Rachewerk auf. Es bedürfte nur eines solchen Anstoßes, um rasch alle Leiden¬
schaften zu entfesseln; bald ertönte das fürchterliche g-mena^a.! amena^a! von
allen Seiten, und das Blutbad begann; die unglücklichen Reformirten, un¬
vorbereitet, zerstreut, überdies die Minderzahl, konnten an keine Vertheidigung



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[0103] die Schlösser der Planta, die man des Einverständnisses mit Spanien beschul¬ digt, werden zerstört, hohe Preise auf ihre Köpfe gesetzt. In Thusis am Hinterrhein setzt Salis ein außerordentliches „Strafgericht" nieder, ein Schrecken für alle, die in den Verdacht kamen, Spanien und den Katholicismus zu begünstigen. Eine wilde Rotte bricht im Auftrag dieses Gerichts in Sondrio, der Haupt¬ stadt des Veltlin ein, und schleppt den Führer der Katholiken, den greisen Erz- pnester Nicolo Rusca fort nach Thusis; hier inquirirt man gegen ihn wegen geheimer Verbindungen mit Mailand, Aufreizung des Volks im Veltlin gegen Graubündten u. s. w.; als der Greis nichts gesteht, bringt man ihn zweimal auf die Folter; man sagt, beim zweiten Mal habe man ihn todt herunter¬ genommen, andere lassen ihn an Gift im Gefängniß sterben. Es war, als wollte die Natur selbst die Schrecken dieser Zeit vermehren; wenige Stunden von Chiavenna lag die blühende Ortschaft Plurs (Piuro); am 4. September, an demselben Tage, wo Nicolo Rusca der Folter erlag, begrub ein Bergsturz das Dorf; nicht einer seiner Bewohner entrann dem Verderben. Man mag sich denken, wie unerträglich die Lage der Veltliner war. Lange schon hatten die Führer der dortigen Katholiken insgeheim mit Mailand verhandelt; der jetzige Gouverneur Fera wußte den Unmuth zu nähren, ohne lieb selbst vor der Zeit blos zu stellen; die Venetianer standen mit den Grcm- bündtnern noch immer in engerem Bündniß, sie konnten es nicht dulden, daß das Veltlin in die Hände Habsburgs gelangte, sie beobachteten aufs arg¬ wöhnischeste alle Bewegungen in Mailand; es galt so vorsichtig als mög¬ lich zu sein; zu offener directer Unterstützung ließ sich Faria einstweilen nicht herbei. So mußten die Dinge dort ihren eignen Weg gehen. Der Ritter Jakob Robustelli versammelte in seinem Hause zu Grosotto die angesehensten und kühnsten Häupter der veltliner Katholiken — ein Paravicini, ein Guicciardi a. werden als die eifrigsten genannt; Vincenzo Venosta entflammte alle Anwesende zu dem Muth einer blutigen Gewaltthat;*) so ward sie beschlossen und alle Anordnungen zu ihrer Ausführung getroffen. Der Ort Tirano ward zum Ausbruch der Verschwörung bestimmt; hier sammelten sich die Conspiratoren im Hause Venostas; am 19. Juli 1K20 ^us am Morgen ward das verabredete Zeichen gegeben, und alsbald stürzten die Mörder bewaffnet auf die Straßen und riefen alle Katholiken zu dem Rachewerk auf. Es bedürfte nur eines solchen Anstoßes, um rasch alle Leiden¬ schaften zu entfesseln; bald ertönte das fürchterliche g-mena^a.! amena^a! von allen Seiten, und das Blutbad begann; die unglücklichen Reformirten, un¬ vorbereitet, zerstreut, überdies die Minderzahl, konnten an keine Vertheidigung ') Ein Glas Venosta ist auch jetzt Sardinischer Commissär im Veltlin. Grenzl'oder III. 1859, 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/103>, abgerufen am 22.07.2024.