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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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an Frankreich und Venedig, an ihrer Spitze die Familie der Salis. Die letz¬
tere Partei hatte indeß das entschiedene Übergewicht. Die Erneuerung
eines alten Schutz- und Trutzbündnisses zwischen Graubündten und Frank¬
reich (1603), dem sogleich ein andres mit Venedig folgte. gab dem
Gouverneur Fuentes günstige Gelegenheit, die Spannung herbeizuführen, deren
er bedürfte. Als Demonstration gegen jenes Bündniß, das er vergeblich zu
hindern gesucht, rückte er an die Grenze des Vcltlin vor, und da wo hart
am Comersee nahe dem Einfluß der Adda ein Hügel den Eingang in das
Veltlin und den See beherrscht, baute er die nach ihm benannte Festung
Forte ti Fuentes, und die Nemonstrationen der Graubündtner gegen dieses
Unternehmen, was einem alten Übereinkommen mit den Herzögen von Mai¬
land widersprach, waren natürlich gleichfalls vergeblich. Die spanischen Pläne
singen an deutlicher zu werden; wenn man sich vor weiteren Schritten noch
vorsichtig hütete, so geschah dies, weil es immer die Weise dieser Politik
war, die Parteien erst untereinander sich bekämpfen und entkräften zu lassen
um dann zur rechten Stunde einen leichteren Sieg , zu gewinnen. In der
That währte es noch Jahre lang, ehe die Pläne reiften; fürs erste war es
schon ein Gewinn, wen" durch die Aussicht auf Unterstützung die unterdrückte
Partei in Spannung und in dem Muth zum Widerstand erhalten wurde. Der
alte Fuentes starb darüber, aber seine Nachfolger operirten auf seiner Basis
langsam, doch sicher weiter.

Niemand hatte hiervon zunächst empfindlicheren Schaden, als die Veltliner
selbst; die reformirte Bevölkerung war hier keineswegs so überwiegend, wie in
den drei Bünden; an manchen Orten war die große Mehrzahl katholisch ge¬
blieben. Mit der Gefahr von außen wuchs natürlich für >die Graubündtner
die Nothwendigkeit, ihren Besitz vor den Machinationen der mit Mailand
unterhandelnden Katholiken sicher zu stellen; mehr und mehr ward das Land
als Provinz behandelt, ein bündnerischer Gouverneur residirte in Sondrio,
der katholische Cult ward allenthalben beengt, man verlangte von den Katho¬
liken die größten Opfer, die dann zu ihrem eignen Schaden verwendet wurden.
Indeß mehrten sich von Jahr zu Jahr die Befürchtungen, die beunruhigend¬
sten Gerüchte liefen im Volk umher, die Parteigänger auf beiden Seiten er¬
mangelten nicht, die Stimmungen immer mehr zu erhitzen.

Die hitzigsten Köpfe der protestantischen Partei sammelten sich um Ercole
Salis in.Chiavenna; dort erfuhr man von Verschwörungen der Katholiken,
von Geldern, die der Gouverneur von Mailand im Veltlin hatte vertheilen
lassen. Im Jahr 1618 erhob sich Salis von Chiavenna aus an der Spitzt
eines wüthenden Haufens; indem er ins Engadin und die Pregalia einrückt,
wächst seine Bande von Stunde zu Stunde; in ganz Graubündten erheben sich
die Protestanten, in Chur muß der Bischof sein Leben durch eilige Flucht retten,


an Frankreich und Venedig, an ihrer Spitze die Familie der Salis. Die letz¬
tere Partei hatte indeß das entschiedene Übergewicht. Die Erneuerung
eines alten Schutz- und Trutzbündnisses zwischen Graubündten und Frank¬
reich (1603), dem sogleich ein andres mit Venedig folgte. gab dem
Gouverneur Fuentes günstige Gelegenheit, die Spannung herbeizuführen, deren
er bedürfte. Als Demonstration gegen jenes Bündniß, das er vergeblich zu
hindern gesucht, rückte er an die Grenze des Vcltlin vor, und da wo hart
am Comersee nahe dem Einfluß der Adda ein Hügel den Eingang in das
Veltlin und den See beherrscht, baute er die nach ihm benannte Festung
Forte ti Fuentes, und die Nemonstrationen der Graubündtner gegen dieses
Unternehmen, was einem alten Übereinkommen mit den Herzögen von Mai¬
land widersprach, waren natürlich gleichfalls vergeblich. Die spanischen Pläne
singen an deutlicher zu werden; wenn man sich vor weiteren Schritten noch
vorsichtig hütete, so geschah dies, weil es immer die Weise dieser Politik
war, die Parteien erst untereinander sich bekämpfen und entkräften zu lassen
um dann zur rechten Stunde einen leichteren Sieg , zu gewinnen. In der
That währte es noch Jahre lang, ehe die Pläne reiften; fürs erste war es
schon ein Gewinn, wen» durch die Aussicht auf Unterstützung die unterdrückte
Partei in Spannung und in dem Muth zum Widerstand erhalten wurde. Der
alte Fuentes starb darüber, aber seine Nachfolger operirten auf seiner Basis
langsam, doch sicher weiter.

Niemand hatte hiervon zunächst empfindlicheren Schaden, als die Veltliner
selbst; die reformirte Bevölkerung war hier keineswegs so überwiegend, wie in
den drei Bünden; an manchen Orten war die große Mehrzahl katholisch ge¬
blieben. Mit der Gefahr von außen wuchs natürlich für >die Graubündtner
die Nothwendigkeit, ihren Besitz vor den Machinationen der mit Mailand
unterhandelnden Katholiken sicher zu stellen; mehr und mehr ward das Land
als Provinz behandelt, ein bündnerischer Gouverneur residirte in Sondrio,
der katholische Cult ward allenthalben beengt, man verlangte von den Katho¬
liken die größten Opfer, die dann zu ihrem eignen Schaden verwendet wurden.
Indeß mehrten sich von Jahr zu Jahr die Befürchtungen, die beunruhigend¬
sten Gerüchte liefen im Volk umher, die Parteigänger auf beiden Seiten er¬
mangelten nicht, die Stimmungen immer mehr zu erhitzen.

Die hitzigsten Köpfe der protestantischen Partei sammelten sich um Ercole
Salis in.Chiavenna; dort erfuhr man von Verschwörungen der Katholiken,
von Geldern, die der Gouverneur von Mailand im Veltlin hatte vertheilen
lassen. Im Jahr 1618 erhob sich Salis von Chiavenna aus an der Spitzt
eines wüthenden Haufens; indem er ins Engadin und die Pregalia einrückt,
wächst seine Bande von Stunde zu Stunde; in ganz Graubündten erheben sich
die Protestanten, in Chur muß der Bischof sein Leben durch eilige Flucht retten,


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[0102] an Frankreich und Venedig, an ihrer Spitze die Familie der Salis. Die letz¬ tere Partei hatte indeß das entschiedene Übergewicht. Die Erneuerung eines alten Schutz- und Trutzbündnisses zwischen Graubündten und Frank¬ reich (1603), dem sogleich ein andres mit Venedig folgte. gab dem Gouverneur Fuentes günstige Gelegenheit, die Spannung herbeizuführen, deren er bedürfte. Als Demonstration gegen jenes Bündniß, das er vergeblich zu hindern gesucht, rückte er an die Grenze des Vcltlin vor, und da wo hart am Comersee nahe dem Einfluß der Adda ein Hügel den Eingang in das Veltlin und den See beherrscht, baute er die nach ihm benannte Festung Forte ti Fuentes, und die Nemonstrationen der Graubündtner gegen dieses Unternehmen, was einem alten Übereinkommen mit den Herzögen von Mai¬ land widersprach, waren natürlich gleichfalls vergeblich. Die spanischen Pläne singen an deutlicher zu werden; wenn man sich vor weiteren Schritten noch vorsichtig hütete, so geschah dies, weil es immer die Weise dieser Politik war, die Parteien erst untereinander sich bekämpfen und entkräften zu lassen um dann zur rechten Stunde einen leichteren Sieg , zu gewinnen. In der That währte es noch Jahre lang, ehe die Pläne reiften; fürs erste war es schon ein Gewinn, wen» durch die Aussicht auf Unterstützung die unterdrückte Partei in Spannung und in dem Muth zum Widerstand erhalten wurde. Der alte Fuentes starb darüber, aber seine Nachfolger operirten auf seiner Basis langsam, doch sicher weiter. Niemand hatte hiervon zunächst empfindlicheren Schaden, als die Veltliner selbst; die reformirte Bevölkerung war hier keineswegs so überwiegend, wie in den drei Bünden; an manchen Orten war die große Mehrzahl katholisch ge¬ blieben. Mit der Gefahr von außen wuchs natürlich für >die Graubündtner die Nothwendigkeit, ihren Besitz vor den Machinationen der mit Mailand unterhandelnden Katholiken sicher zu stellen; mehr und mehr ward das Land als Provinz behandelt, ein bündnerischer Gouverneur residirte in Sondrio, der katholische Cult ward allenthalben beengt, man verlangte von den Katho¬ liken die größten Opfer, die dann zu ihrem eignen Schaden verwendet wurden. Indeß mehrten sich von Jahr zu Jahr die Befürchtungen, die beunruhigend¬ sten Gerüchte liefen im Volk umher, die Parteigänger auf beiden Seiten er¬ mangelten nicht, die Stimmungen immer mehr zu erhitzen. Die hitzigsten Köpfe der protestantischen Partei sammelten sich um Ercole Salis in.Chiavenna; dort erfuhr man von Verschwörungen der Katholiken, von Geldern, die der Gouverneur von Mailand im Veltlin hatte vertheilen lassen. Im Jahr 1618 erhob sich Salis von Chiavenna aus an der Spitzt eines wüthenden Haufens; indem er ins Engadin und die Pregalia einrückt, wächst seine Bande von Stunde zu Stunde; in ganz Graubündten erheben sich die Protestanten, in Chur muß der Bischof sein Leben durch eilige Flucht retten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/102>, abgerufen am 28.12.2024.