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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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die Barke zu erreichen, in der wir unsere Reise mit einer ruhigen Fahrt über
den Meerbusen zu beschließen gedachten. Nach einem einstündigem Marsch über
steinigen und unebenen Boden kamen wir zwar zu dem Schifferhaus, auch
das Boot war da, aber statt sich auf dem ersehnten Wasser zu schaukeln, saß
es in tiefem Schlamme fest: es war Ebbe! Die Rückkehr der Flut in solchen
Umgebungen abzuwarten, war eine Unmöglichkeit, es galt, unsere Wanderung
bis an die Küste selbst fortzusetzen. Die Dunkelheit brach ein, keine Spur
von einem Wege war zu sehn, und selbst das Licht der Sonne hatte hier
nie einen beschienen, bis über die Knöchel wateten wir im Sumpf, während
von oben ein kalter Regen uns durchnäßte. Obendrein mußten zwei Bäche
passirt werden, die beide noch nie das Joch einer Brücke oder eines Steges
getragen hatten, und wo das Wasser uns bis an die Mitte des Schenkels
reichte. Zwei volle Stunden brachten wir auf diesem schrecklichen Marsch zu,
denn schwerer noch als uns selbst ward es den Trägern, sich in dem pfad¬
losen Morast vorwärts zu bewegen, und ich will es meinen Lesern selbst über¬
lassen, sich den Zustand auszumalen, in welchem wir das Fährhaus erreich¬
ten. Trotz Nässe, Schmuz und Schlamm durchströmte uns doch ein wahres
Wonnegefühl, als wir uns endlich auf der Bank des Bootes ausstreckten,
der Fährmann die Segel aufspannte und ein frischer Wind uns nach San-
tcmder hinüberblies, dessen Lichtern wir immer näher kamen.

Kurz nach neun Uhr stieß unser Boot an den Quai. Daß unser Gepäck
sogleich mit Beschlag belegt und auf die Douane geschafft wurde, überraschte
mich nicht mehr, aber begierig es wieder in meine Hände zu bekommen, sah
ich mich ungeduldig nach dem Beamten um, dem ich es öffnen könnte. Des
Wartens überdrüssig, richtete ich eine Frage deshalb an einen Danebenstehen¬
den, der Mann sah mich groß an, zeigte mit dem Finger nach einer verschlos¬
senen Thür und ertheilte mir trocken den Bescheid, das Bureau sei heute nicht
mehr offen und mein Gepäck habe daher bis morgen hier zu bleiben. Hätte
ich damals schon etwas mehr Erfahrung über das spanische Zollwesen ge¬
habt,, so würde es mir wol gelungen sein, dieser ärgerlichen Lage zu ent¬
gehen. So aber blieb mir nichts übrig, als zum bösen Spiel gute Miene
zu machen, schleunigst die touäg, Ac ^.vel1K6 aufzusuchen, und um nur der
Nässe und des Schmuzes ledig zu werden, mich ohne Verzug ins Bett zu legen.

Auch von Santander ging, wie sich am nächsten Tag ergab, in der näch¬
sten Zeit kein Dampfer ab. dagegen half mir eine zufällig angeknüpfte Be¬
kanntschaft aus der Verlegenheit. Senor P,. Director einer Galmeigrube bei
Tone de la Vega, etliche Meilen südwestlich von Santander. ein höchst liebens¬
würdiger und gebildeter Mann, hatte im Gespräch gehört, wohin ich zu reisen
beabsichtigte und lud mich aufs artigste ein, ihn nach seinem Wohnort zu be¬
gleiten, und versprach von da für meine Weiterreise Sorge zu tragen. Das


die Barke zu erreichen, in der wir unsere Reise mit einer ruhigen Fahrt über
den Meerbusen zu beschließen gedachten. Nach einem einstündigem Marsch über
steinigen und unebenen Boden kamen wir zwar zu dem Schifferhaus, auch
das Boot war da, aber statt sich auf dem ersehnten Wasser zu schaukeln, saß
es in tiefem Schlamme fest: es war Ebbe! Die Rückkehr der Flut in solchen
Umgebungen abzuwarten, war eine Unmöglichkeit, es galt, unsere Wanderung
bis an die Küste selbst fortzusetzen. Die Dunkelheit brach ein, keine Spur
von einem Wege war zu sehn, und selbst das Licht der Sonne hatte hier
nie einen beschienen, bis über die Knöchel wateten wir im Sumpf, während
von oben ein kalter Regen uns durchnäßte. Obendrein mußten zwei Bäche
passirt werden, die beide noch nie das Joch einer Brücke oder eines Steges
getragen hatten, und wo das Wasser uns bis an die Mitte des Schenkels
reichte. Zwei volle Stunden brachten wir auf diesem schrecklichen Marsch zu,
denn schwerer noch als uns selbst ward es den Trägern, sich in dem pfad¬
losen Morast vorwärts zu bewegen, und ich will es meinen Lesern selbst über¬
lassen, sich den Zustand auszumalen, in welchem wir das Fährhaus erreich¬
ten. Trotz Nässe, Schmuz und Schlamm durchströmte uns doch ein wahres
Wonnegefühl, als wir uns endlich auf der Bank des Bootes ausstreckten,
der Fährmann die Segel aufspannte und ein frischer Wind uns nach San-
tcmder hinüberblies, dessen Lichtern wir immer näher kamen.

Kurz nach neun Uhr stieß unser Boot an den Quai. Daß unser Gepäck
sogleich mit Beschlag belegt und auf die Douane geschafft wurde, überraschte
mich nicht mehr, aber begierig es wieder in meine Hände zu bekommen, sah
ich mich ungeduldig nach dem Beamten um, dem ich es öffnen könnte. Des
Wartens überdrüssig, richtete ich eine Frage deshalb an einen Danebenstehen¬
den, der Mann sah mich groß an, zeigte mit dem Finger nach einer verschlos¬
senen Thür und ertheilte mir trocken den Bescheid, das Bureau sei heute nicht
mehr offen und mein Gepäck habe daher bis morgen hier zu bleiben. Hätte
ich damals schon etwas mehr Erfahrung über das spanische Zollwesen ge¬
habt,, so würde es mir wol gelungen sein, dieser ärgerlichen Lage zu ent¬
gehen. So aber blieb mir nichts übrig, als zum bösen Spiel gute Miene
zu machen, schleunigst die touäg, Ac ^.vel1K6 aufzusuchen, und um nur der
Nässe und des Schmuzes ledig zu werden, mich ohne Verzug ins Bett zu legen.

Auch von Santander ging, wie sich am nächsten Tag ergab, in der näch¬
sten Zeit kein Dampfer ab. dagegen half mir eine zufällig angeknüpfte Be¬
kanntschaft aus der Verlegenheit. Senor P,. Director einer Galmeigrube bei
Tone de la Vega, etliche Meilen südwestlich von Santander. ein höchst liebens¬
würdiger und gebildeter Mann, hatte im Gespräch gehört, wohin ich zu reisen
beabsichtigte und lud mich aufs artigste ein, ihn nach seinem Wohnort zu be¬
gleiten, und versprach von da für meine Weiterreise Sorge zu tragen. Das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/94>, abgerufen am 22.12.2024.