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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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ging und mit den Piemontesen gleichfalls in die Gegend von Novara vor¬
gehen sollte, sobald sie keinen Feind mehr gegen sich hätten.

Am 1. Juni besetzte Niet Novara. schob seine Posten gegen den Tessin,
so wie südwärts auf Olengo, am 2. trafen auch Mac Mahon und die Kaiser¬
garde bei Novara ein; dasselbe wird von dem Corps Baraguays gesagt, doch
vermuthen wir, daß dieser wenigstens mit einem Theil seines Corps am
rechten Poufer vorläufig zurückgeblieben sei. Canrobert und die Piemontesen
marschirten erst am 3. aus der Gegend von Robbio gegen den Tessin hin.

Am 2. Juni war wirklich die Hauptmasse der französischen Armee, wir
können sie getrost auf 80,000 bis 90,000 M. annehmen, bei Novara vereinigt,
der Rest der Franzosen, bis auf die noch am rechten Poufer zurückgebliebenen --
und die vier piemontesischen Divisionen, auch noch gegen 70,000 M. konnten
in einem, wenn auch für eine Armee etwas starken Marsche herangezogen
werden.

Napoleon war darauf gefaßt, bei Novara angegriffen zu werden, er machte
Front nach Süden gegen Mortara hin; wollten ihn die Oestreicher in Front
angreifen, so konnte denselben Canrobert mit seinem Corps und den Piemon¬
tesen in die Flanke fallen. Allerdings hätte es einem thätigen, seiner Mittel
sicheren Feinde gegenüber mit diesem Flankiren übel ergehen können. In dem
Terrain westlich der Agogna wären 40,000 Oestreicher wol im Stande gewesen,
70,000 Feinde Mindestens einen Tag lang aufzuhalten. Angenommen Giulay
hätte außerdem nur i0,0,00vM. zum Angriff auf die Stellung bei Novara
vereinigen können und die Franzosen gegen die Alpen getrieben, was ward
dann aus Canroberts 70,000?

Man wird immer deutlicher erkennen, daß die Umgehung des östreichischen
rechten Flügels auf Novara nicht blos eine gewagte, -- oder eine kühne, wie
es der Moniteurrapport nennt, sondern außerdem eine solche war, welche im
Fall des Sieges der Verbündeten keine große Entscheidung herbeiführen konnte,
ihr Rückzug blieb den Oestreichern bei dieser Stellung fast unbedingt, so un¬
bedingt als irgend etwas im Kriege, gesichert, sie hatten nur nöthig, bei Vige-
vano, oder auch noch weiter abwärts am Tessin Brücken zu bauen und einen
Brückenkopf anzulegen.

Wir werden nun sehen, wie leicht es eigentlich dem Feldzeugmeister ge¬
macht war, etwas wirklich Tüchtiges zu leisten, und wie er sich statt dessen
verhielt.

Napoleon dem Dritten war es mit seiner Stellung bei Novara keines¬
wegs gethan. Was er noch viel eifriger begehrte, als bei Novara angegriffen
zu werden, das war, ans linke Ufer des Tessin zu kommen. Dies gibt uns
aber den Schlüssel zum Verständniß der ganzen kühnen Bewegung. Garibaldi
war der intellectuelle Urheber derselben.


ging und mit den Piemontesen gleichfalls in die Gegend von Novara vor¬
gehen sollte, sobald sie keinen Feind mehr gegen sich hätten.

Am 1. Juni besetzte Niet Novara. schob seine Posten gegen den Tessin,
so wie südwärts auf Olengo, am 2. trafen auch Mac Mahon und die Kaiser¬
garde bei Novara ein; dasselbe wird von dem Corps Baraguays gesagt, doch
vermuthen wir, daß dieser wenigstens mit einem Theil seines Corps am
rechten Poufer vorläufig zurückgeblieben sei. Canrobert und die Piemontesen
marschirten erst am 3. aus der Gegend von Robbio gegen den Tessin hin.

Am 2. Juni war wirklich die Hauptmasse der französischen Armee, wir
können sie getrost auf 80,000 bis 90,000 M. annehmen, bei Novara vereinigt,
der Rest der Franzosen, bis auf die noch am rechten Poufer zurückgebliebenen —
und die vier piemontesischen Divisionen, auch noch gegen 70,000 M. konnten
in einem, wenn auch für eine Armee etwas starken Marsche herangezogen
werden.

Napoleon war darauf gefaßt, bei Novara angegriffen zu werden, er machte
Front nach Süden gegen Mortara hin; wollten ihn die Oestreicher in Front
angreifen, so konnte denselben Canrobert mit seinem Corps und den Piemon¬
tesen in die Flanke fallen. Allerdings hätte es einem thätigen, seiner Mittel
sicheren Feinde gegenüber mit diesem Flankiren übel ergehen können. In dem
Terrain westlich der Agogna wären 40,000 Oestreicher wol im Stande gewesen,
70,000 Feinde Mindestens einen Tag lang aufzuhalten. Angenommen Giulay
hätte außerdem nur i0,0,00vM. zum Angriff auf die Stellung bei Novara
vereinigen können und die Franzosen gegen die Alpen getrieben, was ward
dann aus Canroberts 70,000?

Man wird immer deutlicher erkennen, daß die Umgehung des östreichischen
rechten Flügels auf Novara nicht blos eine gewagte, — oder eine kühne, wie
es der Moniteurrapport nennt, sondern außerdem eine solche war, welche im
Fall des Sieges der Verbündeten keine große Entscheidung herbeiführen konnte,
ihr Rückzug blieb den Oestreichern bei dieser Stellung fast unbedingt, so un¬
bedingt als irgend etwas im Kriege, gesichert, sie hatten nur nöthig, bei Vige-
vano, oder auch noch weiter abwärts am Tessin Brücken zu bauen und einen
Brückenkopf anzulegen.

Wir werden nun sehen, wie leicht es eigentlich dem Feldzeugmeister ge¬
macht war, etwas wirklich Tüchtiges zu leisten, und wie er sich statt dessen
verhielt.

Napoleon dem Dritten war es mit seiner Stellung bei Novara keines¬
wegs gethan. Was er noch viel eifriger begehrte, als bei Novara angegriffen
zu werden, das war, ans linke Ufer des Tessin zu kommen. Dies gibt uns
aber den Schlüssel zum Verständniß der ganzen kühnen Bewegung. Garibaldi
war der intellectuelle Urheber derselben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/498>, abgerufen am 22.12.2024.