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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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die einzige Hilft zu gewähren, auf welche sie in Europa zu hoffen haben.
Und wie eine Gunst wird ihm von Oestreich und seinen Anhängern der Ober¬
befehl und die diplomatische Leitung bewilligt, zögernd, mit Clauseln, unter
den Schmähreden einer aufgeregten Menge, unter den fortgesetzten Verdäch¬
tigungen einer kurzsichtigen Presse. Wahrlich es ist Patriotismus nöthig,
unter solchen Verhältnissen festzubleiben, und nicht herüberzusehen nach einer
andern Möglichkeit, welche Preußen wenigstens über solches Misere her¬
aushob.

Was hat Preußen verhindert, sich mit Frankreich und Nußland zu ver¬
binden? Es ist kein Geheimniß mehr, daß ihm von beiden Staaten ein
Bündniß unter den lockendsten Bedingungen nahe gelegt wurde. --> Hat die
Rücksicht auf Deutschlands Grenzen zurückgehalten? Preußen hätte kein Dorf
von Deutschland den Fremden geopfert, sie würden Beute genug unter den
Völkern fremder Zunge gefunden haben, und Preußen würde fast ohne Krieg
der souveraine Herr von Deutschland geworden sein, ein Staat, so vergrößert,
daß er ohne Gefahr auch ein Wachsthum seiner großen Nachbarn ertragen
hätte. Oestreich aber wäre zerschlagen worden vor seiner Zeit. Welche Art
von raffinirtem Eigennutz hat Preußen bestimmt, ein solches Bündniß kurz von
der Hand zu weisen? Vielleicht die Rücksicht auf die öffentliche Meinung
Deutschlands? Wir können der öffentlichen Meinung, wie sie sich seit Mona¬
ten im Süden und Norden ausgesprochen hat, nicht einmal die Anerkennung
zollen, welche ihr in einer schwachen Stunde parlamentarischer Beredsamkeit
sogar ein preußischer Minister gegönnt hat. Was Preußen ferngehalten hat
von einem Bündniß mit Fremden, war kurz gesagt ein ehrliches deutsches
Gewissen, nicht Furcht, nicht die äußerliche Sorge um einen guten Namen.
Und so fest war in Regierung und Volk die Ueberzeugung, die Katastrophe
Oestreichs, die Schwäche des Bundes, die Anerbietungen der Fremden dürften
nicht im egoistischen Interesse ausgebeutet werden, daß man wol behaupten
darf, nie hat in gefahrvoller Zeit ein Cabinet und ein Volk so groß empfun¬
den, als die Preußen grade in den Wochen, in welchen sie von Süddeutschen
und Norddeutschen maßlos geschmäht und verketzert wurden. Das soll nicht
gesagt sein, die Preußen zu rühmen. Sie haben gehandelt, wie ihre Pflicht
war, und sie selbst haben jene Anerbietungen der Fremden kaum als eine
Versuchung empfunden. Niemandem in Preußen ist eingefallen, der Regierung
aus solcher Handlungsweise ein Verdienst zu machen, kein ofsiciöses Blatt
hat die lockenden Eventualitäten eines Bündnisses mit den Fremden nur
erwähnt. Es verstand sich dort von selbst, daß sie Oestreich und Deutschland
nicht aufopfern durften.

Die große Majorität der Preußen hat keinen Grund, Oestreich zu lieben.
Wir sehn in diesem Staate eine anspruchsvolle Größe, die durch alte Tradi-


die einzige Hilft zu gewähren, auf welche sie in Europa zu hoffen haben.
Und wie eine Gunst wird ihm von Oestreich und seinen Anhängern der Ober¬
befehl und die diplomatische Leitung bewilligt, zögernd, mit Clauseln, unter
den Schmähreden einer aufgeregten Menge, unter den fortgesetzten Verdäch¬
tigungen einer kurzsichtigen Presse. Wahrlich es ist Patriotismus nöthig,
unter solchen Verhältnissen festzubleiben, und nicht herüberzusehen nach einer
andern Möglichkeit, welche Preußen wenigstens über solches Misere her¬
aushob.

Was hat Preußen verhindert, sich mit Frankreich und Nußland zu ver¬
binden? Es ist kein Geheimniß mehr, daß ihm von beiden Staaten ein
Bündniß unter den lockendsten Bedingungen nahe gelegt wurde. —> Hat die
Rücksicht auf Deutschlands Grenzen zurückgehalten? Preußen hätte kein Dorf
von Deutschland den Fremden geopfert, sie würden Beute genug unter den
Völkern fremder Zunge gefunden haben, und Preußen würde fast ohne Krieg
der souveraine Herr von Deutschland geworden sein, ein Staat, so vergrößert,
daß er ohne Gefahr auch ein Wachsthum seiner großen Nachbarn ertragen
hätte. Oestreich aber wäre zerschlagen worden vor seiner Zeit. Welche Art
von raffinirtem Eigennutz hat Preußen bestimmt, ein solches Bündniß kurz von
der Hand zu weisen? Vielleicht die Rücksicht auf die öffentliche Meinung
Deutschlands? Wir können der öffentlichen Meinung, wie sie sich seit Mona¬
ten im Süden und Norden ausgesprochen hat, nicht einmal die Anerkennung
zollen, welche ihr in einer schwachen Stunde parlamentarischer Beredsamkeit
sogar ein preußischer Minister gegönnt hat. Was Preußen ferngehalten hat
von einem Bündniß mit Fremden, war kurz gesagt ein ehrliches deutsches
Gewissen, nicht Furcht, nicht die äußerliche Sorge um einen guten Namen.
Und so fest war in Regierung und Volk die Ueberzeugung, die Katastrophe
Oestreichs, die Schwäche des Bundes, die Anerbietungen der Fremden dürften
nicht im egoistischen Interesse ausgebeutet werden, daß man wol behaupten
darf, nie hat in gefahrvoller Zeit ein Cabinet und ein Volk so groß empfun¬
den, als die Preußen grade in den Wochen, in welchen sie von Süddeutschen
und Norddeutschen maßlos geschmäht und verketzert wurden. Das soll nicht
gesagt sein, die Preußen zu rühmen. Sie haben gehandelt, wie ihre Pflicht
war, und sie selbst haben jene Anerbietungen der Fremden kaum als eine
Versuchung empfunden. Niemandem in Preußen ist eingefallen, der Regierung
aus solcher Handlungsweise ein Verdienst zu machen, kein ofsiciöses Blatt
hat die lockenden Eventualitäten eines Bündnisses mit den Fremden nur
erwähnt. Es verstand sich dort von selbst, daß sie Oestreich und Deutschland
nicht aufopfern durften.

Die große Majorität der Preußen hat keinen Grund, Oestreich zu lieben.
Wir sehn in diesem Staate eine anspruchsvolle Größe, die durch alte Tradi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/476>, abgerufen am 22.12.2024.