Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.nach den Neueren möchte ich ihn doch nicht gern bilden, am wenigsten nach 10. Nov. 1789. "Ich muß alle Tage eine ganze Vorlesung machen nach den Neueren möchte ich ihn doch nicht gern bilden, am wenigsten nach 10. Nov. 1789. „Ich muß alle Tage eine ganze Vorlesung machen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107513"/> <p xml:id="ID_1409" prev="#ID_1408"> nach den Neueren möchte ich ihn doch nicht gern bilden, am wenigsten nach<lb/> Gibbar." — 13. Oct. — „Das Interesse, welches die Geschichte des pelo-<lb/> ponnesischen Krieges für die Griechen hatte, muß man jeder neuern Geschichte<lb/> zu geben suchen. Wir Neuern haben ein Interesse in unsrer Gewalt, das<lb/> kein Grieche und kein Römer gekannt hat, und dem das vaterländische Inter¬<lb/> esse bei weitem nicht beikommt. Das letzte ist überhaupt nur für unreife<lb/> Nationen wichtig, für die Jugend der Welt. Ein ganz anderes Interesse ist<lb/> es, jede merkwürdige Begebenheit, die mit Menschen vorging, dem Menschen<lb/> wichtig darzustellen. Es ist ein armseliges kleinliches Ideal, für eine Nation<lb/> zu schreibe»; einem philosophischen Geist ist diese Grenze durchaus unerträg¬<lb/> lich. Dieser kann bei einer so wandelbaren, zufälligen und willkürlichen Form<lb/> der Menschheit, bei einem Fragment (und was ist die wichtigste Nation an¬<lb/> ders?) nicht stillstehn. Er kann sich nicht weiter dafür erwärmen, als so weit<lb/> ihm diese Nation oder Nationalbegcbenhcit als Bedingung für den Fortschritt<lb/> der Gattung wichtig ist. Ist eine Geschichte (von welcher Nation und Zeit<lb/> sie auch sei) dieser Anwendung fähig, kann sie an die Gattung angeschlossen<lb/> werden, so hat sie alle Requisite, unter der Hand des Philosophen interessant<lb/> zu werden — und dieses Interesse kann jeder Verzierung entbehren."</p><lb/> <p xml:id="ID_1410" next="#ID_1411"> 10. Nov. 1789. „Ich muß alle Tage eine ganze Vorlesung machen<lb/> und wörtlich niederschreiben; also jeden Tag fast zwei Druckbogen, ohne die<lb/> Zeit, die auf Lesen und Exerciren hingeht. Mein äußerst schwaches Gedächt¬<lb/> niß nöthigt mich dazu. Der Vortheil, den ich davon habe, ist für die Zukunft<lb/> beträchtlich; auf die Gegenwart darf ich freilich nicht sehen. Mein privatum<lb/> ist äußerst miserabel ausgefallen; meine ganze Anzahl besteht aus dreißig,<lb/> wovon mich vielleicht nicht zehn bezahlen. Hieran würde mir just am wenig¬<lb/> sten liegen, wenn mich der schlechte Anfang nicht überhaupt verdrösse. An<lb/> meinem Hauptplan wird nichts geändert, ich arbeite meine Geschichte, aus wie<lb/> für hundert, und der Nutzen muß sich auf eine andere Art für mich er¬<lb/> geben. Indessen habe ich erschrecklich viel Arbeit mehr. Zum Glück habe ich,<lb/> die Memoires, woran zwei Mitarbeiter sind, denen ich nur die Hälste des<lb/> Honorars zu bezahlen brauche. Der erste Band wird diese Woche gedruckt<lb/> sein, der zweite kommt unter die Presse." — 23. Nov.: „Jede Wissenschaft<lb/> muß Brodwissenschaften weichen. Mein xudlicum ist ziemlich voll. Indessen<lb/> gestehe ich, daß aller Eifer mich verlassen hat, und daß es mich reut, so viel<lb/> ich Haare aus dem Kopf habe, nicht dieses und das folgende Jahr meine Un¬<lb/> abhängigkeit behalten zu haben." Gleichzeitig hat er Handel mit der Facul-<lb/> tät und seinem College» Heinrich, weil er sich auf dem Titel seiner Antritts¬<lb/> rede: „Was heißt und zu welchem Ende studirt man Universalgeschichte?"<lb/> die im Novemberheft des D. Merkur erschien, „Prof. der Geschichte" genannt<lb/> hatte, da er doch nur, was er erst jetzt erfuhr, Professor der Philosophie war.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0466]
nach den Neueren möchte ich ihn doch nicht gern bilden, am wenigsten nach
Gibbar." — 13. Oct. — „Das Interesse, welches die Geschichte des pelo-
ponnesischen Krieges für die Griechen hatte, muß man jeder neuern Geschichte
zu geben suchen. Wir Neuern haben ein Interesse in unsrer Gewalt, das
kein Grieche und kein Römer gekannt hat, und dem das vaterländische Inter¬
esse bei weitem nicht beikommt. Das letzte ist überhaupt nur für unreife
Nationen wichtig, für die Jugend der Welt. Ein ganz anderes Interesse ist
es, jede merkwürdige Begebenheit, die mit Menschen vorging, dem Menschen
wichtig darzustellen. Es ist ein armseliges kleinliches Ideal, für eine Nation
zu schreibe»; einem philosophischen Geist ist diese Grenze durchaus unerträg¬
lich. Dieser kann bei einer so wandelbaren, zufälligen und willkürlichen Form
der Menschheit, bei einem Fragment (und was ist die wichtigste Nation an¬
ders?) nicht stillstehn. Er kann sich nicht weiter dafür erwärmen, als so weit
ihm diese Nation oder Nationalbegcbenhcit als Bedingung für den Fortschritt
der Gattung wichtig ist. Ist eine Geschichte (von welcher Nation und Zeit
sie auch sei) dieser Anwendung fähig, kann sie an die Gattung angeschlossen
werden, so hat sie alle Requisite, unter der Hand des Philosophen interessant
zu werden — und dieses Interesse kann jeder Verzierung entbehren."
10. Nov. 1789. „Ich muß alle Tage eine ganze Vorlesung machen
und wörtlich niederschreiben; also jeden Tag fast zwei Druckbogen, ohne die
Zeit, die auf Lesen und Exerciren hingeht. Mein äußerst schwaches Gedächt¬
niß nöthigt mich dazu. Der Vortheil, den ich davon habe, ist für die Zukunft
beträchtlich; auf die Gegenwart darf ich freilich nicht sehen. Mein privatum
ist äußerst miserabel ausgefallen; meine ganze Anzahl besteht aus dreißig,
wovon mich vielleicht nicht zehn bezahlen. Hieran würde mir just am wenig¬
sten liegen, wenn mich der schlechte Anfang nicht überhaupt verdrösse. An
meinem Hauptplan wird nichts geändert, ich arbeite meine Geschichte, aus wie
für hundert, und der Nutzen muß sich auf eine andere Art für mich er¬
geben. Indessen habe ich erschrecklich viel Arbeit mehr. Zum Glück habe ich,
die Memoires, woran zwei Mitarbeiter sind, denen ich nur die Hälste des
Honorars zu bezahlen brauche. Der erste Band wird diese Woche gedruckt
sein, der zweite kommt unter die Presse." — 23. Nov.: „Jede Wissenschaft
muß Brodwissenschaften weichen. Mein xudlicum ist ziemlich voll. Indessen
gestehe ich, daß aller Eifer mich verlassen hat, und daß es mich reut, so viel
ich Haare aus dem Kopf habe, nicht dieses und das folgende Jahr meine Un¬
abhängigkeit behalten zu haben." Gleichzeitig hat er Handel mit der Facul-
tät und seinem College» Heinrich, weil er sich auf dem Titel seiner Antritts¬
rede: „Was heißt und zu welchem Ende studirt man Universalgeschichte?"
die im Novemberheft des D. Merkur erschien, „Prof. der Geschichte" genannt
hatte, da er doch nur, was er erst jetzt erfuhr, Professor der Philosophie war.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |