Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.mußte sich darauf beschränken, was auch dem Dichter >des Don Carlos am mußte sich darauf beschränken, was auch dem Dichter >des Don Carlos am <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107505"/> <p xml:id="ID_1392" prev="#ID_1391" next="#ID_1393"> mußte sich darauf beschränken, was auch dem Dichter >des Don Carlos am<lb/> nächsten lag, die sittlichen Gedanken kräftig hervorzuheben und die handeln¬<lb/> den Personen anschaulich zu zeichnen. In Bezug aus das Erste ist er noch<lb/> ganz Marquis Posa, der Weltbürger, dem Freiheit und Humauitüt das Höchste<lb/> ist und der sich daher ebenso gegen den Despotismus und den Glaubensdruck<lb/> wie gegen die Excesse des Pöbels und die Grübelei unbeschäftigter Theologen<lb/> empört. Man hat sich später bemüht, vielseitiger und objectiver zu sein, in¬<lb/> deß hat der gesunde Menschenverstand doch zuletzt seine Rechte behauptet und<lb/> gelehrte Forscher wie Prescott und Motley sind zu dem Standpunkt Schil¬<lb/> lers wieder zurückgekehrt. — Noch näher lag dem Dramatiker das psycho¬<lb/> logische Interesse, welches ohnehin durch die ganze Richtung der Zeit auss sub-<lb/> jective begünstigt wurde. Denn eigentlich hatten doch die Dichter, Philosophen<lb/> und Geschichtschreiber jener Periode nichts Angelegentlicheres zuthun, als sich<lb/> in die Seelen interessanter Menschen zu versenken. Beide Zwecke, der mora¬<lb/> lische wie der psychologische, legten, wo es an einer gründlichen Kenntniß der<lb/> Thatsachen fehlte, rhetorische Wendungen nahe, und auch das war im Ge¬<lb/> schmack der Zeit, welcher Livius und die Schotten als Muster galten. Zwar<lb/> regte sich in der Geschichte bereits ein ernsteres Streben, aber dieses war noch<lb/> im bloßen Keim und ging bereits, wie man an Spittler und Müller sieht,<lb/> nach verschiedenen Richtungen auseinander. Wenn aber Schiller die Fehler<lb/> der damaligen Periode theilt, so weiß er mitunter glänzende Vorzüge daraus<lb/> zu machen. Schon im Don Carlos wird man der Charakteristik König<lb/> Philipps mit großem Interesse solgen; in der Geschichte geht diese viel tiefer<lb/> ein, und wenn Schiller seiner Einbildungskraft zuweilen zu viel Freiheit ver¬<lb/> stattet, so hat er doch eine wunderbare Divination; Prescott und Motley<lb/> haben manche seiner Wendungen wörtlich aufgenommen. Man kann die Jäm¬<lb/> merlichkeit der spanischen Bigotterie nicht geistvoller und erschöpfender schildern,<lb/> als Schiller es bereits gethan. Auch die Porträts von Oranien, Egmont und<lb/> den andern weniger bedeutenden Figuren sind in ihrer Art vortrefflich und es<lb/> charakterisirt Schiller im Gegensatz zu Goethe, daß bei ihm Egmont als<lb/> Schwächling sehr in den Hintergrund tritt. Die gleichzeitige Recension des<lb/> Goethescher Stücks drückt keineswegs eine bloße Kritik aus: Schiller verlangt<lb/> vom Menschen, er solle sein Schicksal aus seinem Willen schöpfen, mit Ernst<lb/> wollen und dafür die Verantwortlichkeit übernehmen; darum vertheidigt er<lb/> selbst sehr jesuitische Wendungen Oraniens, des kalten Staatsmanns, obgleich<lb/> den Dramatiker doch das Schicksal Egmonts viel mehr anziehn mußte. — Ein<lb/> Fehler mag es sein, daß er gleich bei dem Eintreten einer neuen Figur mit<lb/> der Charakteristik beginnt, anstatt uns durch Erzählung der Handlungen für<lb/> sie zu interessiren; aber diesen Fehler weiß er meistens sehr fein zu verstecken.<lb/> Trotz seiner sehr kräftigen Ueberzeugung in Bezug auf die Sache bemüht er</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0458]
mußte sich darauf beschränken, was auch dem Dichter >des Don Carlos am
nächsten lag, die sittlichen Gedanken kräftig hervorzuheben und die handeln¬
den Personen anschaulich zu zeichnen. In Bezug aus das Erste ist er noch
ganz Marquis Posa, der Weltbürger, dem Freiheit und Humauitüt das Höchste
ist und der sich daher ebenso gegen den Despotismus und den Glaubensdruck
wie gegen die Excesse des Pöbels und die Grübelei unbeschäftigter Theologen
empört. Man hat sich später bemüht, vielseitiger und objectiver zu sein, in¬
deß hat der gesunde Menschenverstand doch zuletzt seine Rechte behauptet und
gelehrte Forscher wie Prescott und Motley sind zu dem Standpunkt Schil¬
lers wieder zurückgekehrt. — Noch näher lag dem Dramatiker das psycho¬
logische Interesse, welches ohnehin durch die ganze Richtung der Zeit auss sub-
jective begünstigt wurde. Denn eigentlich hatten doch die Dichter, Philosophen
und Geschichtschreiber jener Periode nichts Angelegentlicheres zuthun, als sich
in die Seelen interessanter Menschen zu versenken. Beide Zwecke, der mora¬
lische wie der psychologische, legten, wo es an einer gründlichen Kenntniß der
Thatsachen fehlte, rhetorische Wendungen nahe, und auch das war im Ge¬
schmack der Zeit, welcher Livius und die Schotten als Muster galten. Zwar
regte sich in der Geschichte bereits ein ernsteres Streben, aber dieses war noch
im bloßen Keim und ging bereits, wie man an Spittler und Müller sieht,
nach verschiedenen Richtungen auseinander. Wenn aber Schiller die Fehler
der damaligen Periode theilt, so weiß er mitunter glänzende Vorzüge daraus
zu machen. Schon im Don Carlos wird man der Charakteristik König
Philipps mit großem Interesse solgen; in der Geschichte geht diese viel tiefer
ein, und wenn Schiller seiner Einbildungskraft zuweilen zu viel Freiheit ver¬
stattet, so hat er doch eine wunderbare Divination; Prescott und Motley
haben manche seiner Wendungen wörtlich aufgenommen. Man kann die Jäm¬
merlichkeit der spanischen Bigotterie nicht geistvoller und erschöpfender schildern,
als Schiller es bereits gethan. Auch die Porträts von Oranien, Egmont und
den andern weniger bedeutenden Figuren sind in ihrer Art vortrefflich und es
charakterisirt Schiller im Gegensatz zu Goethe, daß bei ihm Egmont als
Schwächling sehr in den Hintergrund tritt. Die gleichzeitige Recension des
Goethescher Stücks drückt keineswegs eine bloße Kritik aus: Schiller verlangt
vom Menschen, er solle sein Schicksal aus seinem Willen schöpfen, mit Ernst
wollen und dafür die Verantwortlichkeit übernehmen; darum vertheidigt er
selbst sehr jesuitische Wendungen Oraniens, des kalten Staatsmanns, obgleich
den Dramatiker doch das Schicksal Egmonts viel mehr anziehn mußte. — Ein
Fehler mag es sein, daß er gleich bei dem Eintreten einer neuen Figur mit
der Charakteristik beginnt, anstatt uns durch Erzählung der Handlungen für
sie zu interessiren; aber diesen Fehler weiß er meistens sehr fein zu verstecken.
Trotz seiner sehr kräftigen Ueberzeugung in Bezug auf die Sache bemüht er
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