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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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von Herzog Alba zu verherrlichen. Nebenbei wollte er-den Weimarer Größen,
die seine Dichtung nicht unbedingt gelten ließen, durch ein Product der Bildung
imponiren, und da ihm das in Weimar vorwiegende naturwissenschaftliche
Interesse, obgleich er früher Arzt gewesen, völlig fremd war. so konnte der
Versuch nur auf dem historischen Gebiet stattfinden; das Weitere sagen uns
seine Briefe.

..Meine niederländische Rebellion, schreibt er 19. Dec. 1787 aus Weimar
an Körner, kann ein schönes Product werden; und wahrscheinlich wird es
viel thun. Alles macht mir hier seine Glückwünsche, daß ich mich in die Ge¬
schichte geworfen, und am Ende bin ich ein solcher Aarr, es selbst für ver¬
nünftig zu halten. Wenigstens versichere ich dir. daß es mir ungemein viel
Genuß bei der Arbeit gibt, und daß auch die Idee von etwas soliden mich
dabei sehr unterstützt; denn bis hierher war ich fast doch immer mit dem .
Fluch belastet, den die Meinung der Welt über diese Libertinage des Geistes,
die Dichtkunst verhängt hat." Und als Körner dagegen remonstrirt: (8. Jan. 88)
"Deine Geringschätzung der Geschichte kommt mir unbillig vor. Allerdings ist sie
willkürlich, voll Lücken und sehr oft unfruchtbar, aber eben das Willkürliche
in ihr könnte einen philosophischen Geist reizen, sie zu beherrschen, das Leere
und Unfruchtbare einen schöpferischen Kopf herausfordern, sie zu befruchten
und auf dieses Gerippe Nerven und Muskeln zu tragen. Glaube nicht, daß
es viel leichter sei, einen Stoff auszuführen, den man sich selbst gegeben hat,
als einen, davon gewisse Bedingungen vorgeschrieben sind. Im Gegentheil
habe ich aus eignen Erfahrungen, daß die uneingeschränkteste Freiheit in An¬
sehung des Stoffes die Wahl schwerer und verwickelter macht, daß die Erfin¬
dungen unsrer Imagination bei weitem nicht die Autorität und den Credit
bei uns gewinnen, um einen dauerhaften Grundstein zu einem solchen Gebäude^
abzugeben, welche uns Facta geben, die eine höhere Hand uns gleichsam ehr¬
würdig gemacht hat, das heißt, an denen sich unser Eigenwille nicht vergreifen
kann. Die philosophische innere Nothwendigkeit ist bei beiden gleich; wenn
eine Geschichte, wäre sie auch auf die glaubwürdigsten Chroniken gegründet,
nicht geschehen sein kann, d. h. wenn der Verstand den Zusammenhang nicht
einsehn kann, so ist sie ein Unding; wenn eine Tragödie nicht geschehn sein
muß, sobald ihre Voraussetzungen Realität enthalten, so ist sie wieder ein Un¬
ding." "Mit der Hälfte des Werths, den ich einer historischen Arbeit zu geben weiß,
erreiche ich mehr Anerkennung in der sogenannten gelehrten und in der bürger¬
lichen Welt, als mit dem größten Aufwand meines Geistes für die Frivolität einer
Tragödie. Glaube nicht, daß dieses mein Ernst nicht sei. Ist nicht das Gründliche
der Maßstab, nach welchem Verdienste gemessen werden? So urtheilt der Pöbel --
und so urtheilen die.Weisen. Bewundert man einen großen Dichter, so verehrt man
einen Robertson -- und wenn dieser Robertson mit dichterischem Geist geschrieben


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von Herzog Alba zu verherrlichen. Nebenbei wollte er-den Weimarer Größen,
die seine Dichtung nicht unbedingt gelten ließen, durch ein Product der Bildung
imponiren, und da ihm das in Weimar vorwiegende naturwissenschaftliche
Interesse, obgleich er früher Arzt gewesen, völlig fremd war. so konnte der
Versuch nur auf dem historischen Gebiet stattfinden; das Weitere sagen uns
seine Briefe.

..Meine niederländische Rebellion, schreibt er 19. Dec. 1787 aus Weimar
an Körner, kann ein schönes Product werden; und wahrscheinlich wird es
viel thun. Alles macht mir hier seine Glückwünsche, daß ich mich in die Ge¬
schichte geworfen, und am Ende bin ich ein solcher Aarr, es selbst für ver¬
nünftig zu halten. Wenigstens versichere ich dir. daß es mir ungemein viel
Genuß bei der Arbeit gibt, und daß auch die Idee von etwas soliden mich
dabei sehr unterstützt; denn bis hierher war ich fast doch immer mit dem .
Fluch belastet, den die Meinung der Welt über diese Libertinage des Geistes,
die Dichtkunst verhängt hat." Und als Körner dagegen remonstrirt: (8. Jan. 88)
„Deine Geringschätzung der Geschichte kommt mir unbillig vor. Allerdings ist sie
willkürlich, voll Lücken und sehr oft unfruchtbar, aber eben das Willkürliche
in ihr könnte einen philosophischen Geist reizen, sie zu beherrschen, das Leere
und Unfruchtbare einen schöpferischen Kopf herausfordern, sie zu befruchten
und auf dieses Gerippe Nerven und Muskeln zu tragen. Glaube nicht, daß
es viel leichter sei, einen Stoff auszuführen, den man sich selbst gegeben hat,
als einen, davon gewisse Bedingungen vorgeschrieben sind. Im Gegentheil
habe ich aus eignen Erfahrungen, daß die uneingeschränkteste Freiheit in An¬
sehung des Stoffes die Wahl schwerer und verwickelter macht, daß die Erfin¬
dungen unsrer Imagination bei weitem nicht die Autorität und den Credit
bei uns gewinnen, um einen dauerhaften Grundstein zu einem solchen Gebäude^
abzugeben, welche uns Facta geben, die eine höhere Hand uns gleichsam ehr¬
würdig gemacht hat, das heißt, an denen sich unser Eigenwille nicht vergreifen
kann. Die philosophische innere Nothwendigkeit ist bei beiden gleich; wenn
eine Geschichte, wäre sie auch auf die glaubwürdigsten Chroniken gegründet,
nicht geschehen sein kann, d. h. wenn der Verstand den Zusammenhang nicht
einsehn kann, so ist sie ein Unding; wenn eine Tragödie nicht geschehn sein
muß, sobald ihre Voraussetzungen Realität enthalten, so ist sie wieder ein Un¬
ding." „Mit der Hälfte des Werths, den ich einer historischen Arbeit zu geben weiß,
erreiche ich mehr Anerkennung in der sogenannten gelehrten und in der bürger¬
lichen Welt, als mit dem größten Aufwand meines Geistes für die Frivolität einer
Tragödie. Glaube nicht, daß dieses mein Ernst nicht sei. Ist nicht das Gründliche
der Maßstab, nach welchem Verdienste gemessen werden? So urtheilt der Pöbel —
und so urtheilen die.Weisen. Bewundert man einen großen Dichter, so verehrt man
einen Robertson — und wenn dieser Robertson mit dichterischem Geist geschrieben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/453>, abgerufen am 22.12.2024.