Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.diese Woche eine Geschichte des dreißigjährigen Kriegs gelesen und mein Kopf Weiter erfahren wir freilich nichts, aber wir können uns die Lücken leicht Nun war er darauf angewiesen, von dem Ertrag seiner Studien zu leben. diese Woche eine Geschichte des dreißigjährigen Kriegs gelesen und mein Kopf Weiter erfahren wir freilich nichts, aber wir können uns die Lücken leicht Nun war er darauf angewiesen, von dem Ertrag seiner Studien zu leben. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107499"/> <p xml:id="ID_1378" prev="#ID_1377"> diese Woche eine Geschichte des dreißigjährigen Kriegs gelesen und mein Kopf<lb/> ist mir noch ganz warm davon: daß doch die Epoche des höchsten Nationalelends<lb/> auch zugleich die glänzendste Epoche menschlicher Kraft ist! Wie viele große<lb/> Männer gingen aus dieser Nacht hervor! Ich wollte, daß ich zehn Jahr<lb/> hintereinander nichts als Geschichte studirt hätte, ich glaube, ich würde ein ganz<lb/> anderer Kerl sein. Meinst du, daß ichs noch werde nachholen tonnen?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1379"> Weiter erfahren wir freilich nichts, aber wir können uns die Lücken leicht<lb/> ergänzen. — Der Erfolg des Don Carlos konnte ihn nicht befriedigen, wenn<lb/> er ihn mit dem der Räuber verglich, und hier war er sich doch bewußt, ein<lb/> ganz anderes Kunstwert' geliefert zu haben. Don Carlos selbst hat eine<lb/> innere Geschichte. Zuerst ist es nur die Übertragung von Kabale und Liebe<lb/> in eine höhere Sphäre; die Grandezza des spanischen Hofes, tue Inquisition,<lb/> das Geheimniß, das jene Begebenheit einhüllte, gab dem Familiendrama einen<lb/> höhern poetischen Neiz; seine Helden, der Prinz und die Königin, sind nur<lb/> die Opfer dieser unmenschlichen Zustände. Dann aber erwacht in dem<lb/> Dichter der historische Trotz, der Aufstand der Niederländer kommt seiner<lb/> Phantasie zu Hilfe und er erfindet einen Träger des Freiheitsgedankens am<lb/> spanischen Hofe selbst: Posa drängt den schwächern Carlos so sehr in den<lb/> Hintergrund, daß endlich auch die Königin ihre Liebe auf ihn überträgt.<lb/> Fast noch wichtiger für diese zweite Periode des Stücks und ein echt poetischer<lb/> Zug ist das tiefere Eingehn in den Charakter des Königs, der aus dem<lb/> Henker ein Opfer, ja ein interessantes Opfer seiner eignen Staatsklugheit wird. Ein<lb/> weiterer Fortschritt der Bildung zeigt sich in den Briefen. Auch Marquis Posa<lb/> wird der Kritik unterworfen und es zeigt sich die despotische Natur dieses zweiten<lb/> Karl Moor, den nur der tiefere Blick des Königs richtig durchschaut hatte. Anstatt<lb/> also mit dem Abschluß des Stücks die Sache selbst fallen zu lassen, grübelte er<lb/> immer tieser über das Problem nach, und nahm, um festen Boden zu ge¬<lb/> winnen, immer mehr historische Bücher zur Hand. Das positive Interesse<lb/> concentrirte sich mehr und mehr in dem Freiheitskampf der Niederländer gegen<lb/> Philipp, der dann später durch Goethes Egmont für ihn eine lebhaftere An¬<lb/> schauung gewann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1380" next="#ID_1381"> Nun war er darauf angewiesen, von dem Ertrag seiner Studien zu leben.<lb/> Einige novellistische Versuche hatten ihm gezeigt, daß er gut erzählen könne,<lb/> und er mußte bald dahinter kommen, daß für solche Erzählungen die Ge¬<lb/> schichte einen bessern Stoff darbot als die bloße Phantasie. Hatte er früher<lb/> sich bemüht, interessante Verbrechen dramatisch zu charakterisiren, so verfiel er<lb/> jetzt aus den Gedanken, diese Verschwörungen, z. B. die des Fiesco, historisch<lb/> zu behandeln. Drei solcher Verschwörungen kamen wirklich zu Stande: die<lb/> von Rienzi, Bedemar und die Pazzi; Fiesco blieb liegen. Der Aufenthalt in<lb/> Rudolstadt veranlaßte ihn, die fürstliche Familie in'der bekannten Anekdote</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
diese Woche eine Geschichte des dreißigjährigen Kriegs gelesen und mein Kopf
ist mir noch ganz warm davon: daß doch die Epoche des höchsten Nationalelends
auch zugleich die glänzendste Epoche menschlicher Kraft ist! Wie viele große
Männer gingen aus dieser Nacht hervor! Ich wollte, daß ich zehn Jahr
hintereinander nichts als Geschichte studirt hätte, ich glaube, ich würde ein ganz
anderer Kerl sein. Meinst du, daß ichs noch werde nachholen tonnen?"
Weiter erfahren wir freilich nichts, aber wir können uns die Lücken leicht
ergänzen. — Der Erfolg des Don Carlos konnte ihn nicht befriedigen, wenn
er ihn mit dem der Räuber verglich, und hier war er sich doch bewußt, ein
ganz anderes Kunstwert' geliefert zu haben. Don Carlos selbst hat eine
innere Geschichte. Zuerst ist es nur die Übertragung von Kabale und Liebe
in eine höhere Sphäre; die Grandezza des spanischen Hofes, tue Inquisition,
das Geheimniß, das jene Begebenheit einhüllte, gab dem Familiendrama einen
höhern poetischen Neiz; seine Helden, der Prinz und die Königin, sind nur
die Opfer dieser unmenschlichen Zustände. Dann aber erwacht in dem
Dichter der historische Trotz, der Aufstand der Niederländer kommt seiner
Phantasie zu Hilfe und er erfindet einen Träger des Freiheitsgedankens am
spanischen Hofe selbst: Posa drängt den schwächern Carlos so sehr in den
Hintergrund, daß endlich auch die Königin ihre Liebe auf ihn überträgt.
Fast noch wichtiger für diese zweite Periode des Stücks und ein echt poetischer
Zug ist das tiefere Eingehn in den Charakter des Königs, der aus dem
Henker ein Opfer, ja ein interessantes Opfer seiner eignen Staatsklugheit wird. Ein
weiterer Fortschritt der Bildung zeigt sich in den Briefen. Auch Marquis Posa
wird der Kritik unterworfen und es zeigt sich die despotische Natur dieses zweiten
Karl Moor, den nur der tiefere Blick des Königs richtig durchschaut hatte. Anstatt
also mit dem Abschluß des Stücks die Sache selbst fallen zu lassen, grübelte er
immer tieser über das Problem nach, und nahm, um festen Boden zu ge¬
winnen, immer mehr historische Bücher zur Hand. Das positive Interesse
concentrirte sich mehr und mehr in dem Freiheitskampf der Niederländer gegen
Philipp, der dann später durch Goethes Egmont für ihn eine lebhaftere An¬
schauung gewann.
Nun war er darauf angewiesen, von dem Ertrag seiner Studien zu leben.
Einige novellistische Versuche hatten ihm gezeigt, daß er gut erzählen könne,
und er mußte bald dahinter kommen, daß für solche Erzählungen die Ge¬
schichte einen bessern Stoff darbot als die bloße Phantasie. Hatte er früher
sich bemüht, interessante Verbrechen dramatisch zu charakterisiren, so verfiel er
jetzt aus den Gedanken, diese Verschwörungen, z. B. die des Fiesco, historisch
zu behandeln. Drei solcher Verschwörungen kamen wirklich zu Stande: die
von Rienzi, Bedemar und die Pazzi; Fiesco blieb liegen. Der Aufenthalt in
Rudolstadt veranlaßte ihn, die fürstliche Familie in'der bekannten Anekdote
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