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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Ruder kommt, der ja stets die Minciogrcnze verfochten hat. Einer solchen Gefahr der
völligster Zertrümmerung sich auszusetzen, wäre von Seiten Preußens nicht blos
Tollkühnheit, sondern halber Wahnsinn, wenn es sich vorher nicht die Garantien
verschafft hat 1) für die Möglichkeit des Sieges; 2) für eine Entschädigung für
seine schweren Opfer im Fall des Sieges.

Die Möglichkeit (nicht etwa die Wahrscheinlichkeit) des Sieges liegt aber in
der ausschließlichen Verfügung über alle deutschen Streitkräfte. -- Ohne diese ist
der Sieg über Rußland und Frankreich zugleich unmöglich. -- Sollte es auch
nur einen deutschen Minister geben, der das ernstlich bezweifelte! Worauf wartet
man denn? -- Daß die fideler augsburger Politiker anderer Ansicht sind, die im
Siegeszug, ja im rauschenden Galopp lustig nach Paris und Moskau zugleich tän¬
zeln, ändert nichts; daß man durchreisenden ungarischen Truppen bairisch Bier,
Chokolade und Cigarren verabfolgt, ist ein gutes Zeichen; aber damit werden noch
keine leipziger Schlachten gewonnen. Und davon ist die Rede, das sollten die fideler
Politiker überlegen! Um Schlachten, wo hunderttausend Leichen den Boden düngen!
um jahrelange Zerstörung aller Cultur! um Erschlaffung Deutschlands auf Jahr-
zehente! -- Solchen Krieg fängt man nicht an wie ein fideler Bursch sein erstes
Duell! -- Erst bestellt man sein Haus, ehe man hineinzieht.

Wir wollen noch einen, sehr zarten Punkt berühren. -- Wenn das Sträuben
der Mittelstaatcn, sich Preußens Führung unbedingt anzuvertrauen, zunächst aus
einem --> an sich gerechtfertigten, aber in diesem Fall gefährlichen -- Particularis-
mus beruht, so hat es auch wol einen anderen, erheblichem Grund. -- Man
zweifelt an Preußens Fähigkeit, die Führung zu übernehmen; an seinem Verstand,
an seinem Muth, an seiner Entschlossenheit. -- Wir sind im Begriff, ein scheinbar
sehr anfechtbares, aber sehr ernstgemeintes Wort auszusprechen, dem wir ernsthafteste
Ueberlegung wünschen:-- auch in diesem Fall muß Preußen die unbedingte
Führung übertragen werden. Die jetzige Regierung ist viel besser als die
vorige; aber wäre sie auch viel schlechter, -- wenn wir den Krieg übernehmen, so
muß sie die Dictatur erhalten; es gibt keinen andern Weg, wenn das Ende
des Kriegs nicht Schmach, Elend und Vernichtung sein soll. -- Oder soll etwa die
"öffentliche Meinung", vielleicht in den bairischen Bierstuben, die Generale com-
mandiren, wie man 1848 ganz im Ernst versuchte, wo von den Clubs ihnen Verhaltungs-
befehle ertheilt wurden? -- Noch einmal: wäre auch Preußens Regierung die unfähigste
aller deutschen Regierungen, es kann doch keine andere die Leitung übernehmen. --

Wie es auch mit der Bestellung eines Bundesfeldherrn, der Corpscomman¬
danten u. f. w. gehalten werden mag -- hier muß vor allem die militärische Tüch¬
tigkeit entscheiden -- in letzter Instanz muß doch immer ein souveräner Wille sein,
der die Kriegsopcrationcn! strategisch überwacht und politisch lenkt. -- Die Freiheits¬
kriege darf man hier nicht anführen; dort wurde Napoleon durch eine ungeheure
Uebermacht erdrückt, und trotzdem hatten die Feldzüge einige bedenkliche Augenblicke.

Jener souveräne Wille kann nicht in einer Versammlung von Diplomaten, er
muß in einer wirklichen Person vertreten sein, wenn die Schnelligkeit der Ausführung
dem Entschluß gleichkommen soll. -- Hier ist nur die Wahl zwischen dem Kaiser
von Oestreich und dem Prinzen von Preußen. -- Oder ist das eine Wahl? --Für
Preußen nicht.


Ruder kommt, der ja stets die Minciogrcnze verfochten hat. Einer solchen Gefahr der
völligster Zertrümmerung sich auszusetzen, wäre von Seiten Preußens nicht blos
Tollkühnheit, sondern halber Wahnsinn, wenn es sich vorher nicht die Garantien
verschafft hat 1) für die Möglichkeit des Sieges; 2) für eine Entschädigung für
seine schweren Opfer im Fall des Sieges.

Die Möglichkeit (nicht etwa die Wahrscheinlichkeit) des Sieges liegt aber in
der ausschließlichen Verfügung über alle deutschen Streitkräfte. — Ohne diese ist
der Sieg über Rußland und Frankreich zugleich unmöglich. — Sollte es auch
nur einen deutschen Minister geben, der das ernstlich bezweifelte! Worauf wartet
man denn? — Daß die fideler augsburger Politiker anderer Ansicht sind, die im
Siegeszug, ja im rauschenden Galopp lustig nach Paris und Moskau zugleich tän¬
zeln, ändert nichts; daß man durchreisenden ungarischen Truppen bairisch Bier,
Chokolade und Cigarren verabfolgt, ist ein gutes Zeichen; aber damit werden noch
keine leipziger Schlachten gewonnen. Und davon ist die Rede, das sollten die fideler
Politiker überlegen! Um Schlachten, wo hunderttausend Leichen den Boden düngen!
um jahrelange Zerstörung aller Cultur! um Erschlaffung Deutschlands auf Jahr-
zehente! — Solchen Krieg fängt man nicht an wie ein fideler Bursch sein erstes
Duell! — Erst bestellt man sein Haus, ehe man hineinzieht.

Wir wollen noch einen, sehr zarten Punkt berühren. — Wenn das Sträuben
der Mittelstaatcn, sich Preußens Führung unbedingt anzuvertrauen, zunächst aus
einem —> an sich gerechtfertigten, aber in diesem Fall gefährlichen — Particularis-
mus beruht, so hat es auch wol einen anderen, erheblichem Grund. — Man
zweifelt an Preußens Fähigkeit, die Führung zu übernehmen; an seinem Verstand,
an seinem Muth, an seiner Entschlossenheit. — Wir sind im Begriff, ein scheinbar
sehr anfechtbares, aber sehr ernstgemeintes Wort auszusprechen, dem wir ernsthafteste
Ueberlegung wünschen:— auch in diesem Fall muß Preußen die unbedingte
Führung übertragen werden. Die jetzige Regierung ist viel besser als die
vorige; aber wäre sie auch viel schlechter, — wenn wir den Krieg übernehmen, so
muß sie die Dictatur erhalten; es gibt keinen andern Weg, wenn das Ende
des Kriegs nicht Schmach, Elend und Vernichtung sein soll. — Oder soll etwa die
„öffentliche Meinung", vielleicht in den bairischen Bierstuben, die Generale com-
mandiren, wie man 1848 ganz im Ernst versuchte, wo von den Clubs ihnen Verhaltungs-
befehle ertheilt wurden? — Noch einmal: wäre auch Preußens Regierung die unfähigste
aller deutschen Regierungen, es kann doch keine andere die Leitung übernehmen. —

Wie es auch mit der Bestellung eines Bundesfeldherrn, der Corpscomman¬
danten u. f. w. gehalten werden mag — hier muß vor allem die militärische Tüch¬
tigkeit entscheiden — in letzter Instanz muß doch immer ein souveräner Wille sein,
der die Kriegsopcrationcn! strategisch überwacht und politisch lenkt. — Die Freiheits¬
kriege darf man hier nicht anführen; dort wurde Napoleon durch eine ungeheure
Uebermacht erdrückt, und trotzdem hatten die Feldzüge einige bedenkliche Augenblicke.

Jener souveräne Wille kann nicht in einer Versammlung von Diplomaten, er
muß in einer wirklichen Person vertreten sein, wenn die Schnelligkeit der Ausführung
dem Entschluß gleichkommen soll. — Hier ist nur die Wahl zwischen dem Kaiser
von Oestreich und dem Prinzen von Preußen. — Oder ist das eine Wahl? —Für
Preußen nicht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/448>, abgerufen am 22.12.2024.