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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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umarmte den begeisterten Jüngling gleichsam im Namen des Hauses. Nun
aber wollte noch mancher seine Geschichte erzählen und den Beifall der Ver¬
sammlung ernten; zwanzig Stimmen erhoben sich zugleich; Rufe, Reden.
Bravos, Klatschen, Zischen, Pfeifen tönte durcheinander; dazwischen gebot
die unaufhörlich läutende Schelle des Präsidenten vergebens Schweigen. Er¬
müdet und solcher Scenen gewohnt, setzte er sich endlich nieder, ruhig ab¬
wartend, bis sich die Hochflut des Enthusiasmus etwas verlaufen haben
würde. Da kam Hilfe von Außen: ein sammetbejackter junger Popolano
drängte sich durch die Coulissen und flüsterte dem Präsidenten etwas ins Ohr,
das dieser sofort dem Vorstande mittheilte. Alle erhoben sich; auf einen
Wink Niccolinis verschwanden die Fahnen aus den Logen des Prosceniums,
um sofort auf der Bühne selbst wiederzuerscheincn. Der Sturm ließ in¬
zwischen nach, die brausenden Wogen legten sich; Niccolini trat vor, warf
sich in bühnengerechte Stellung und rief mit theatralischen Pathos: "Volk
von Florenz! die von dir gewählte provisorische Regierung sendet dir die
Votschaft, daß dein Eigenthum bereit steht, dich zu empfangen. Der Saal
der Fünfhundert im alten Volkspalast der Republik ist zu unseren Versamm¬
lungen hergerichtet. Laßt uns alle vereint aufbrechen, um in feierlichem Zuge
von unserem Eigenthum Besitz zu ergreifen!"

Die Rede siel wie der Funke in ein Pulverfaß. Wie ein Kind, das
lange ein schönes Spielwerk bewundert, heimlich den glücklichen Besitzer be¬
reitend, vor Freuden in die Hände schlägt und außer sich geräth, wenn man
ihm versichert, es solle fortan sein Eigenthum sein: so brachen hier die Bürger
der neuen Republik in jubelndes Entzücken aus; in wildem Freudentaumel
erhob sich das ganze Parterre; ein Theil voltigirte über die Pulte des Or¬
chesters und erkletterte die Bühne, um den großmüthigen Schenkern dankbar
um den Hals zu fallen; die andern drängten, sich überstürzend, zu den Thüren,
um sofort den Besitzergreifungszug zu bilden. Voran schritt der Vorstand, von
einem Dutzend schnell herbeigeschaffter Peckfackcln umgeben; ihm folgten die
Fahnenträger, dann die Mitglieder des Clubs und "das Volk" paarweise.
Unter Absingung patriotischer Hymnen bewegte sich der Zug, unterwegs von
Neugierigen und süßem Pöbel anschwellend wie eine Lawine, von jauchzenden
Gassenbuben, den Polichinels dieser Komödie umtanzt, seinem "neuen Eigen¬
thum" zu, wälzte sich die breiten Treppen des ?alaiii?o veeelrio hinan und
ergoß sich in wilder Flut in die glänzend erleuchtete Laka, nisi Linqueeento.

Mit diesem echt italienischen Bild schließen wir unsern Auszug, indem
wir den Leser auffordern, das lebensvolle Ganze im Buch selbst anzusehn. --
Von den übrigen Bildern haben uns die sicilianischen. z. B. die Besteigung
des Aetna, am meisten angesprochen.




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umarmte den begeisterten Jüngling gleichsam im Namen des Hauses. Nun
aber wollte noch mancher seine Geschichte erzählen und den Beifall der Ver¬
sammlung ernten; zwanzig Stimmen erhoben sich zugleich; Rufe, Reden.
Bravos, Klatschen, Zischen, Pfeifen tönte durcheinander; dazwischen gebot
die unaufhörlich läutende Schelle des Präsidenten vergebens Schweigen. Er¬
müdet und solcher Scenen gewohnt, setzte er sich endlich nieder, ruhig ab¬
wartend, bis sich die Hochflut des Enthusiasmus etwas verlaufen haben
würde. Da kam Hilfe von Außen: ein sammetbejackter junger Popolano
drängte sich durch die Coulissen und flüsterte dem Präsidenten etwas ins Ohr,
das dieser sofort dem Vorstande mittheilte. Alle erhoben sich; auf einen
Wink Niccolinis verschwanden die Fahnen aus den Logen des Prosceniums,
um sofort auf der Bühne selbst wiederzuerscheincn. Der Sturm ließ in¬
zwischen nach, die brausenden Wogen legten sich; Niccolini trat vor, warf
sich in bühnengerechte Stellung und rief mit theatralischen Pathos: „Volk
von Florenz! die von dir gewählte provisorische Regierung sendet dir die
Votschaft, daß dein Eigenthum bereit steht, dich zu empfangen. Der Saal
der Fünfhundert im alten Volkspalast der Republik ist zu unseren Versamm¬
lungen hergerichtet. Laßt uns alle vereint aufbrechen, um in feierlichem Zuge
von unserem Eigenthum Besitz zu ergreifen!"

Die Rede siel wie der Funke in ein Pulverfaß. Wie ein Kind, das
lange ein schönes Spielwerk bewundert, heimlich den glücklichen Besitzer be¬
reitend, vor Freuden in die Hände schlägt und außer sich geräth, wenn man
ihm versichert, es solle fortan sein Eigenthum sein: so brachen hier die Bürger
der neuen Republik in jubelndes Entzücken aus; in wildem Freudentaumel
erhob sich das ganze Parterre; ein Theil voltigirte über die Pulte des Or¬
chesters und erkletterte die Bühne, um den großmüthigen Schenkern dankbar
um den Hals zu fallen; die andern drängten, sich überstürzend, zu den Thüren,
um sofort den Besitzergreifungszug zu bilden. Voran schritt der Vorstand, von
einem Dutzend schnell herbeigeschaffter Peckfackcln umgeben; ihm folgten die
Fahnenträger, dann die Mitglieder des Clubs und „das Volk" paarweise.
Unter Absingung patriotischer Hymnen bewegte sich der Zug, unterwegs von
Neugierigen und süßem Pöbel anschwellend wie eine Lawine, von jauchzenden
Gassenbuben, den Polichinels dieser Komödie umtanzt, seinem „neuen Eigen¬
thum" zu, wälzte sich die breiten Treppen des ?alaiii?o veeelrio hinan und
ergoß sich in wilder Flut in die glänzend erleuchtete Laka, nisi Linqueeento.

Mit diesem echt italienischen Bild schließen wir unsern Auszug, indem
wir den Leser auffordern, das lebensvolle Ganze im Buch selbst anzusehn. —
Von den übrigen Bildern haben uns die sicilianischen. z. B. die Besteigung
des Aetna, am meisten angesprochen.




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[0437] umarmte den begeisterten Jüngling gleichsam im Namen des Hauses. Nun aber wollte noch mancher seine Geschichte erzählen und den Beifall der Ver¬ sammlung ernten; zwanzig Stimmen erhoben sich zugleich; Rufe, Reden. Bravos, Klatschen, Zischen, Pfeifen tönte durcheinander; dazwischen gebot die unaufhörlich läutende Schelle des Präsidenten vergebens Schweigen. Er¬ müdet und solcher Scenen gewohnt, setzte er sich endlich nieder, ruhig ab¬ wartend, bis sich die Hochflut des Enthusiasmus etwas verlaufen haben würde. Da kam Hilfe von Außen: ein sammetbejackter junger Popolano drängte sich durch die Coulissen und flüsterte dem Präsidenten etwas ins Ohr, das dieser sofort dem Vorstande mittheilte. Alle erhoben sich; auf einen Wink Niccolinis verschwanden die Fahnen aus den Logen des Prosceniums, um sofort auf der Bühne selbst wiederzuerscheincn. Der Sturm ließ in¬ zwischen nach, die brausenden Wogen legten sich; Niccolini trat vor, warf sich in bühnengerechte Stellung und rief mit theatralischen Pathos: „Volk von Florenz! die von dir gewählte provisorische Regierung sendet dir die Votschaft, daß dein Eigenthum bereit steht, dich zu empfangen. Der Saal der Fünfhundert im alten Volkspalast der Republik ist zu unseren Versamm¬ lungen hergerichtet. Laßt uns alle vereint aufbrechen, um in feierlichem Zuge von unserem Eigenthum Besitz zu ergreifen!" Die Rede siel wie der Funke in ein Pulverfaß. Wie ein Kind, das lange ein schönes Spielwerk bewundert, heimlich den glücklichen Besitzer be¬ reitend, vor Freuden in die Hände schlägt und außer sich geräth, wenn man ihm versichert, es solle fortan sein Eigenthum sein: so brachen hier die Bürger der neuen Republik in jubelndes Entzücken aus; in wildem Freudentaumel erhob sich das ganze Parterre; ein Theil voltigirte über die Pulte des Or¬ chesters und erkletterte die Bühne, um den großmüthigen Schenkern dankbar um den Hals zu fallen; die andern drängten, sich überstürzend, zu den Thüren, um sofort den Besitzergreifungszug zu bilden. Voran schritt der Vorstand, von einem Dutzend schnell herbeigeschaffter Peckfackcln umgeben; ihm folgten die Fahnenträger, dann die Mitglieder des Clubs und „das Volk" paarweise. Unter Absingung patriotischer Hymnen bewegte sich der Zug, unterwegs von Neugierigen und süßem Pöbel anschwellend wie eine Lawine, von jauchzenden Gassenbuben, den Polichinels dieser Komödie umtanzt, seinem „neuen Eigen¬ thum" zu, wälzte sich die breiten Treppen des ?alaiii?o veeelrio hinan und ergoß sich in wilder Flut in die glänzend erleuchtete Laka, nisi Linqueeento. Mit diesem echt italienischen Bild schließen wir unsern Auszug, indem wir den Leser auffordern, das lebensvolle Ganze im Buch selbst anzusehn. — Von den übrigen Bildern haben uns die sicilianischen. z. B. die Besteigung des Aetna, am meisten angesprochen. . 54*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/437>, abgerufen am 22.12.2024.