Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einzelne, in weiten Zwischenräumen vertheilte Talglichter machten mehr das
Dunkel sichtbar, als daß sie den weiten Raum zu erhellen vermocht hätten,
Parterre und Logenreihen waren wohlgefüllt, theils von Mitgliedern des
Clubs, theils von Neugierigen und Müßigen. Ueber dem Proscenium
schwebten zwei mächtige Fahnen, die eine die Tricolore, die andre die weiß
und rothen Landesfarben entfaltend mit den Jnsignien der Buchdruckerinnung,
ein Andenken von dem Triumphzug des 12, September 1847.

Nun folgen einige wüthende Reden der Demokraten z. B.: "Der schänd¬
liche Tyrann, dieses Ungeheuer mit gebenedeiten Menschenangesicht, floh
feigherzig in dem Augenblick, wo er die Volksmajestät vor sich aufsteigen
sah, deren ruhigen und erhabenen Anblick seine jämmerliche Seele nicht
zu ertragen vermochte," Die Menge ruft überall Beifall, -- Da lehnte
sich plötzlich ein junger Priester weit aus einer der Parterrelogen heraus,
und begann eine strömende Rede voll jugendlich thörichter, aber un-
geheuchelter Begeisterung, voller Glut und Feuer, nur von Schluchzen dann
und wann unterbrochen. Wie aus dem lange verschlossenen Krater des Vu"
naus endlich Feuer, Rauch und Lava unaufhaltsam hervorstürzt, so brach die
Flut lang verhaltener Gefühle aus dem Innern des Jünglings. Was er
erzählte, was er sprach, war seine Lebensgeschichte, sein Glaubensbekenntniß.
Im Seminar, fern von der Welt erzogen, das lebens- und glaubensbedürf¬
tige Herz mit leerem Formelkram vollgestopft, war er erst vor wenigen Ta¬
gen der Außenwelt und dem wirklichen Leben zurückgegeben, das ihm plötz¬
lich blendend, entzückend, verwirrend entgegentrat. Als er nun um heutigen
Tage die Begeisterung für des Vaterlandes Größe und Freiheit überall habe
in heilige Lohe aufschlagen sehen; als er sich habe überzeugen müssen, daß
sich ein Volk noch sür die edelsten geistigen Güter, des engen Privatinteresses
vergessend und die Opfer nicht achtend, hinreißen lasse; als der Freiheit gol¬
dene Sonne auf einmal so strahlend über Florenz aufgegangen: -- da sei es
ihm wie schuppen vou deu Augen gefallen; all sein dunkles, zielloses Seh¬
nen n"d Seufzen habe auf einmal klar und gestaltvvll vor ihm gestanden;
die in Sünde und Verdammniß verloren geglaubte Menschheit sei in aller
ihrer unsterblichen Herrlichkeit wieder vor ihm aufgestiegen. Das hier zu be¬
kennen mit unendlicher Freude und Dankbarkeit fühle er sich gedrungen, zu-
gleich um Verzeihung bittend, daß die Macht der Gefühle ihn fortgerissen,
mitten in dieser feierlichen Berathung über die Geschicke der Nationen von
sich und seiner unbedeutenden Persönlichkeit zu reden.

Thränen erstickten seine Stimme; er breitete seine Arme über das Par¬
terre aus, als wolle er die ganze Versammlung umarmen. Endlose, donnernde
Beifallsbezeugungen folgten, mit jedem Augenblick sich steigernd; ein schmuzi-
ges Subject erkletterte die Loge von den Schultern seiner Nachbarn aus und


einzelne, in weiten Zwischenräumen vertheilte Talglichter machten mehr das
Dunkel sichtbar, als daß sie den weiten Raum zu erhellen vermocht hätten,
Parterre und Logenreihen waren wohlgefüllt, theils von Mitgliedern des
Clubs, theils von Neugierigen und Müßigen. Ueber dem Proscenium
schwebten zwei mächtige Fahnen, die eine die Tricolore, die andre die weiß
und rothen Landesfarben entfaltend mit den Jnsignien der Buchdruckerinnung,
ein Andenken von dem Triumphzug des 12, September 1847.

Nun folgen einige wüthende Reden der Demokraten z. B.: „Der schänd¬
liche Tyrann, dieses Ungeheuer mit gebenedeiten Menschenangesicht, floh
feigherzig in dem Augenblick, wo er die Volksmajestät vor sich aufsteigen
sah, deren ruhigen und erhabenen Anblick seine jämmerliche Seele nicht
zu ertragen vermochte," Die Menge ruft überall Beifall, — Da lehnte
sich plötzlich ein junger Priester weit aus einer der Parterrelogen heraus,
und begann eine strömende Rede voll jugendlich thörichter, aber un-
geheuchelter Begeisterung, voller Glut und Feuer, nur von Schluchzen dann
und wann unterbrochen. Wie aus dem lange verschlossenen Krater des Vu»
naus endlich Feuer, Rauch und Lava unaufhaltsam hervorstürzt, so brach die
Flut lang verhaltener Gefühle aus dem Innern des Jünglings. Was er
erzählte, was er sprach, war seine Lebensgeschichte, sein Glaubensbekenntniß.
Im Seminar, fern von der Welt erzogen, das lebens- und glaubensbedürf¬
tige Herz mit leerem Formelkram vollgestopft, war er erst vor wenigen Ta¬
gen der Außenwelt und dem wirklichen Leben zurückgegeben, das ihm plötz¬
lich blendend, entzückend, verwirrend entgegentrat. Als er nun um heutigen
Tage die Begeisterung für des Vaterlandes Größe und Freiheit überall habe
in heilige Lohe aufschlagen sehen; als er sich habe überzeugen müssen, daß
sich ein Volk noch sür die edelsten geistigen Güter, des engen Privatinteresses
vergessend und die Opfer nicht achtend, hinreißen lasse; als der Freiheit gol¬
dene Sonne auf einmal so strahlend über Florenz aufgegangen: — da sei es
ihm wie schuppen vou deu Augen gefallen; all sein dunkles, zielloses Seh¬
nen n»d Seufzen habe auf einmal klar und gestaltvvll vor ihm gestanden;
die in Sünde und Verdammniß verloren geglaubte Menschheit sei in aller
ihrer unsterblichen Herrlichkeit wieder vor ihm aufgestiegen. Das hier zu be¬
kennen mit unendlicher Freude und Dankbarkeit fühle er sich gedrungen, zu-
gleich um Verzeihung bittend, daß die Macht der Gefühle ihn fortgerissen,
mitten in dieser feierlichen Berathung über die Geschicke der Nationen von
sich und seiner unbedeutenden Persönlichkeit zu reden.

Thränen erstickten seine Stimme; er breitete seine Arme über das Par¬
terre aus, als wolle er die ganze Versammlung umarmen. Endlose, donnernde
Beifallsbezeugungen folgten, mit jedem Augenblick sich steigernd; ein schmuzi-
ges Subject erkletterte die Loge von den Schultern seiner Nachbarn aus und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107483"/>
          <p xml:id="ID_1302" prev="#ID_1301"> einzelne, in weiten Zwischenräumen vertheilte Talglichter machten mehr das<lb/>
Dunkel sichtbar, als daß sie den weiten Raum zu erhellen vermocht hätten,<lb/>
Parterre und Logenreihen waren wohlgefüllt, theils von Mitgliedern des<lb/>
Clubs, theils von Neugierigen und Müßigen. Ueber dem Proscenium<lb/>
schwebten zwei mächtige Fahnen, die eine die Tricolore, die andre die weiß<lb/>
und rothen Landesfarben entfaltend mit den Jnsignien der Buchdruckerinnung,<lb/>
ein Andenken von dem Triumphzug des 12, September 1847.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1303"> Nun folgen einige wüthende Reden der Demokraten z. B.: &#x201E;Der schänd¬<lb/>
liche Tyrann, dieses Ungeheuer mit gebenedeiten Menschenangesicht, floh<lb/>
feigherzig in dem Augenblick, wo er die Volksmajestät vor sich aufsteigen<lb/>
sah, deren ruhigen und erhabenen Anblick seine jämmerliche Seele nicht<lb/>
zu ertragen vermochte," Die Menge ruft überall Beifall, &#x2014; Da lehnte<lb/>
sich plötzlich ein junger Priester weit aus einer der Parterrelogen heraus,<lb/>
und begann eine strömende Rede voll jugendlich thörichter, aber un-<lb/>
geheuchelter Begeisterung, voller Glut und Feuer, nur von Schluchzen dann<lb/>
und wann unterbrochen. Wie aus dem lange verschlossenen Krater des Vu»<lb/>
naus endlich Feuer, Rauch und Lava unaufhaltsam hervorstürzt, so brach die<lb/>
Flut lang verhaltener Gefühle aus dem Innern des Jünglings. Was er<lb/>
erzählte, was er sprach, war seine Lebensgeschichte, sein Glaubensbekenntniß.<lb/>
Im Seminar, fern von der Welt erzogen, das lebens- und glaubensbedürf¬<lb/>
tige Herz mit leerem Formelkram vollgestopft, war er erst vor wenigen Ta¬<lb/>
gen der Außenwelt und dem wirklichen Leben zurückgegeben, das ihm plötz¬<lb/>
lich blendend, entzückend, verwirrend entgegentrat. Als er nun um heutigen<lb/>
Tage die Begeisterung für des Vaterlandes Größe und Freiheit überall habe<lb/>
in heilige Lohe aufschlagen sehen; als er sich habe überzeugen müssen, daß<lb/>
sich ein Volk noch sür die edelsten geistigen Güter, des engen Privatinteresses<lb/>
vergessend und die Opfer nicht achtend, hinreißen lasse; als der Freiheit gol¬<lb/>
dene Sonne auf einmal so strahlend über Florenz aufgegangen: &#x2014; da sei es<lb/>
ihm wie schuppen vou deu Augen gefallen; all sein dunkles, zielloses Seh¬<lb/>
nen n»d Seufzen habe auf einmal klar und gestaltvvll vor ihm gestanden;<lb/>
die in Sünde und Verdammniß verloren geglaubte Menschheit sei in aller<lb/>
ihrer unsterblichen Herrlichkeit wieder vor ihm aufgestiegen. Das hier zu be¬<lb/>
kennen mit unendlicher Freude und Dankbarkeit fühle er sich gedrungen, zu-<lb/>
gleich um Verzeihung bittend, daß die Macht der Gefühle ihn fortgerissen,<lb/>
mitten in dieser feierlichen Berathung über die Geschicke der Nationen von<lb/>
sich und seiner unbedeutenden Persönlichkeit zu reden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1304" next="#ID_1305"> Thränen erstickten seine Stimme; er breitete seine Arme über das Par¬<lb/>
terre aus, als wolle er die ganze Versammlung umarmen. Endlose, donnernde<lb/>
Beifallsbezeugungen folgten, mit jedem Augenblick sich steigernd; ein schmuzi-<lb/>
ges Subject erkletterte die Loge von den Schultern seiner Nachbarn aus und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0436] einzelne, in weiten Zwischenräumen vertheilte Talglichter machten mehr das Dunkel sichtbar, als daß sie den weiten Raum zu erhellen vermocht hätten, Parterre und Logenreihen waren wohlgefüllt, theils von Mitgliedern des Clubs, theils von Neugierigen und Müßigen. Ueber dem Proscenium schwebten zwei mächtige Fahnen, die eine die Tricolore, die andre die weiß und rothen Landesfarben entfaltend mit den Jnsignien der Buchdruckerinnung, ein Andenken von dem Triumphzug des 12, September 1847. Nun folgen einige wüthende Reden der Demokraten z. B.: „Der schänd¬ liche Tyrann, dieses Ungeheuer mit gebenedeiten Menschenangesicht, floh feigherzig in dem Augenblick, wo er die Volksmajestät vor sich aufsteigen sah, deren ruhigen und erhabenen Anblick seine jämmerliche Seele nicht zu ertragen vermochte," Die Menge ruft überall Beifall, — Da lehnte sich plötzlich ein junger Priester weit aus einer der Parterrelogen heraus, und begann eine strömende Rede voll jugendlich thörichter, aber un- geheuchelter Begeisterung, voller Glut und Feuer, nur von Schluchzen dann und wann unterbrochen. Wie aus dem lange verschlossenen Krater des Vu» naus endlich Feuer, Rauch und Lava unaufhaltsam hervorstürzt, so brach die Flut lang verhaltener Gefühle aus dem Innern des Jünglings. Was er erzählte, was er sprach, war seine Lebensgeschichte, sein Glaubensbekenntniß. Im Seminar, fern von der Welt erzogen, das lebens- und glaubensbedürf¬ tige Herz mit leerem Formelkram vollgestopft, war er erst vor wenigen Ta¬ gen der Außenwelt und dem wirklichen Leben zurückgegeben, das ihm plötz¬ lich blendend, entzückend, verwirrend entgegentrat. Als er nun um heutigen Tage die Begeisterung für des Vaterlandes Größe und Freiheit überall habe in heilige Lohe aufschlagen sehen; als er sich habe überzeugen müssen, daß sich ein Volk noch sür die edelsten geistigen Güter, des engen Privatinteresses vergessend und die Opfer nicht achtend, hinreißen lasse; als der Freiheit gol¬ dene Sonne auf einmal so strahlend über Florenz aufgegangen: — da sei es ihm wie schuppen vou deu Augen gefallen; all sein dunkles, zielloses Seh¬ nen n»d Seufzen habe auf einmal klar und gestaltvvll vor ihm gestanden; die in Sünde und Verdammniß verloren geglaubte Menschheit sei in aller ihrer unsterblichen Herrlichkeit wieder vor ihm aufgestiegen. Das hier zu be¬ kennen mit unendlicher Freude und Dankbarkeit fühle er sich gedrungen, zu- gleich um Verzeihung bittend, daß die Macht der Gefühle ihn fortgerissen, mitten in dieser feierlichen Berathung über die Geschicke der Nationen von sich und seiner unbedeutenden Persönlichkeit zu reden. Thränen erstickten seine Stimme; er breitete seine Arme über das Par¬ terre aus, als wolle er die ganze Versammlung umarmen. Endlose, donnernde Beifallsbezeugungen folgten, mit jedem Augenblick sich steigernd; ein schmuzi- ges Subject erkletterte die Loge von den Schultern seiner Nachbarn aus und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/436
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/436>, abgerufen am 22.12.2024.