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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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endlich lang sein soll. Ich sorg' indeß, in Berlin spring' ich hinein; aber es
muß blos ein sanftes Mädchen dahin führen, das mir etwas kochen kann,
und das mit mir lacht und weint. Mehr begehr' ich gar nicht. Das Schick¬
sal wird mich doch nicht in Goethes Pserdesußstapfen jagen wollen; oft über¬
leg' ichs freilich, aber es ist nicht daran zu denken, sogar in einer solchen Un-
ehe sann' ich wieder auf Ehe. Ich muß und werde ein Mädchen heirathen,
dessen ganze Sippschaft ein Freudenfest feiert, daß ich mich herabgelassen.
Und doch speculir' ich seit einiger Zeit fast mit aus Eingebrachtes; eine bemit¬
telte Gräfin, oder so etwas, denk' ich oft, kann sich in dich verschießen, und
dann hieltest dn dir ein Reitpferd -- wenigstens den Reitknecht -- und über¬
haupt das Fett wächst fort, das sich jetzt ansetzt."

Die schöne Gräfin (Schlaberndorf)*) ist schon gefunden: (31. Aug.)
"Wir sind jetzt bei dem Händeanfassen mit eingemischtem leichten Drücken.
Ich halte mich passiv, und dabei kann keine Partei leicht riskiren." Erkannte
sie schon in Gotha. "Die schöne, lange Gestalt, die gerade Nase und der feine,
zu besonnene, gespannte Mund, aus dem aber, zumal in der Liebeminutenzeit,
eine so ins Herz einsickernde Stimme bricht, daß ich sie in Gotha bat, nur
es zu sagen, wo ich ihr nicht glauben dürfte, weil ich fast, der Stimme wegen,
nie wüßte, woran ich wäre. Das alles neigte sich an meine Lippen." Er
bringt sie von Weimar nach Gotha (15. Sept.): "Wir kamen Abends mit
holder, leichter Liebe an. Im dämmernden Mondabend vor dem Essen saß
ich aus ihrem Canapee, meine Lichter hereingetragen. Die kleine A. lag an
dein Mutterarm, und machte stumm (wie diese mir französisch sagte) vor Liebe
zu ihr die Hand mit Thränen naß; ich lag am andern und wir kümmerten
uns wenig um die ab- und zuschreitende Dienerschaft. Ich könnte die Schil¬
derei noch romantischer färben, hätt' ich so viel Leinwand als Farbentusche.
Der ganze nächste Abschiedmorgen -- ich führte sie im herzoglichen Garten
herum (Sie haben sich eine schöne Frau zugelegt, sagte der uns begegnende
Herzog) war unaussprechlich zart und süß. Diese himmlische Stimme, und
diese Festigkeit und der ganze Reiz der hohen vollen Gestalt, und diese Leichtig¬
keit des Lebens und Liebens legen Franciscanerstricke um mein empirisches
Ich. Die Hauptsache ist, daß man bei ihr gegen gar niemand sündigen kann."**)
Nebenbei bemerkter, daß er Frauen "nach der Apvstelzahl" bekommt; "in jeder
Stadt; so in Gotha, so überall."

In Berlin, wohin er nun im Oct. 1800 geht, reicht die .Mpostelzahl"




-) Galerie aus Rabath Umgang I, S, 205. ff. Daß es dieselbe sein muß, sieht man
aus einem Brief Jean Pauls an Herder.
") "Zu diesem Satz," bemerkt Otto, "muß ich doch die Ausnahme setzen, welche die kleine
an der entgegengesetzten Seite von dir liegende und liebend-weinende A, machen könnte. Auf¬
richtig gesagt, das Kind irrte mich."
48*

endlich lang sein soll. Ich sorg' indeß, in Berlin spring' ich hinein; aber es
muß blos ein sanftes Mädchen dahin führen, das mir etwas kochen kann,
und das mit mir lacht und weint. Mehr begehr' ich gar nicht. Das Schick¬
sal wird mich doch nicht in Goethes Pserdesußstapfen jagen wollen; oft über¬
leg' ichs freilich, aber es ist nicht daran zu denken, sogar in einer solchen Un-
ehe sann' ich wieder auf Ehe. Ich muß und werde ein Mädchen heirathen,
dessen ganze Sippschaft ein Freudenfest feiert, daß ich mich herabgelassen.
Und doch speculir' ich seit einiger Zeit fast mit aus Eingebrachtes; eine bemit¬
telte Gräfin, oder so etwas, denk' ich oft, kann sich in dich verschießen, und
dann hieltest dn dir ein Reitpferd — wenigstens den Reitknecht — und über¬
haupt das Fett wächst fort, das sich jetzt ansetzt."

Die schöne Gräfin (Schlaberndorf)*) ist schon gefunden: (31. Aug.)
„Wir sind jetzt bei dem Händeanfassen mit eingemischtem leichten Drücken.
Ich halte mich passiv, und dabei kann keine Partei leicht riskiren." Erkannte
sie schon in Gotha. „Die schöne, lange Gestalt, die gerade Nase und der feine,
zu besonnene, gespannte Mund, aus dem aber, zumal in der Liebeminutenzeit,
eine so ins Herz einsickernde Stimme bricht, daß ich sie in Gotha bat, nur
es zu sagen, wo ich ihr nicht glauben dürfte, weil ich fast, der Stimme wegen,
nie wüßte, woran ich wäre. Das alles neigte sich an meine Lippen." Er
bringt sie von Weimar nach Gotha (15. Sept.): „Wir kamen Abends mit
holder, leichter Liebe an. Im dämmernden Mondabend vor dem Essen saß
ich aus ihrem Canapee, meine Lichter hereingetragen. Die kleine A. lag an
dein Mutterarm, und machte stumm (wie diese mir französisch sagte) vor Liebe
zu ihr die Hand mit Thränen naß; ich lag am andern und wir kümmerten
uns wenig um die ab- und zuschreitende Dienerschaft. Ich könnte die Schil¬
derei noch romantischer färben, hätt' ich so viel Leinwand als Farbentusche.
Der ganze nächste Abschiedmorgen — ich führte sie im herzoglichen Garten
herum (Sie haben sich eine schöne Frau zugelegt, sagte der uns begegnende
Herzog) war unaussprechlich zart und süß. Diese himmlische Stimme, und
diese Festigkeit und der ganze Reiz der hohen vollen Gestalt, und diese Leichtig¬
keit des Lebens und Liebens legen Franciscanerstricke um mein empirisches
Ich. Die Hauptsache ist, daß man bei ihr gegen gar niemand sündigen kann."**)
Nebenbei bemerkter, daß er Frauen „nach der Apvstelzahl" bekommt; „in jeder
Stadt; so in Gotha, so überall."

In Berlin, wohin er nun im Oct. 1800 geht, reicht die .Mpostelzahl"




-) Galerie aus Rabath Umgang I, S, 205. ff. Daß es dieselbe sein muß, sieht man
aus einem Brief Jean Pauls an Herder.
") „Zu diesem Satz," bemerkt Otto, „muß ich doch die Ausnahme setzen, welche die kleine
an der entgegengesetzten Seite von dir liegende und liebend-weinende A, machen könnte. Auf¬
richtig gesagt, das Kind irrte mich."
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[0389] endlich lang sein soll. Ich sorg' indeß, in Berlin spring' ich hinein; aber es muß blos ein sanftes Mädchen dahin führen, das mir etwas kochen kann, und das mit mir lacht und weint. Mehr begehr' ich gar nicht. Das Schick¬ sal wird mich doch nicht in Goethes Pserdesußstapfen jagen wollen; oft über¬ leg' ichs freilich, aber es ist nicht daran zu denken, sogar in einer solchen Un- ehe sann' ich wieder auf Ehe. Ich muß und werde ein Mädchen heirathen, dessen ganze Sippschaft ein Freudenfest feiert, daß ich mich herabgelassen. Und doch speculir' ich seit einiger Zeit fast mit aus Eingebrachtes; eine bemit¬ telte Gräfin, oder so etwas, denk' ich oft, kann sich in dich verschießen, und dann hieltest dn dir ein Reitpferd — wenigstens den Reitknecht — und über¬ haupt das Fett wächst fort, das sich jetzt ansetzt." Die schöne Gräfin (Schlaberndorf)*) ist schon gefunden: (31. Aug.) „Wir sind jetzt bei dem Händeanfassen mit eingemischtem leichten Drücken. Ich halte mich passiv, und dabei kann keine Partei leicht riskiren." Erkannte sie schon in Gotha. „Die schöne, lange Gestalt, die gerade Nase und der feine, zu besonnene, gespannte Mund, aus dem aber, zumal in der Liebeminutenzeit, eine so ins Herz einsickernde Stimme bricht, daß ich sie in Gotha bat, nur es zu sagen, wo ich ihr nicht glauben dürfte, weil ich fast, der Stimme wegen, nie wüßte, woran ich wäre. Das alles neigte sich an meine Lippen." Er bringt sie von Weimar nach Gotha (15. Sept.): „Wir kamen Abends mit holder, leichter Liebe an. Im dämmernden Mondabend vor dem Essen saß ich aus ihrem Canapee, meine Lichter hereingetragen. Die kleine A. lag an dein Mutterarm, und machte stumm (wie diese mir französisch sagte) vor Liebe zu ihr die Hand mit Thränen naß; ich lag am andern und wir kümmerten uns wenig um die ab- und zuschreitende Dienerschaft. Ich könnte die Schil¬ derei noch romantischer färben, hätt' ich so viel Leinwand als Farbentusche. Der ganze nächste Abschiedmorgen — ich führte sie im herzoglichen Garten herum (Sie haben sich eine schöne Frau zugelegt, sagte der uns begegnende Herzog) war unaussprechlich zart und süß. Diese himmlische Stimme, und diese Festigkeit und der ganze Reiz der hohen vollen Gestalt, und diese Leichtig¬ keit des Lebens und Liebens legen Franciscanerstricke um mein empirisches Ich. Die Hauptsache ist, daß man bei ihr gegen gar niemand sündigen kann."**) Nebenbei bemerkter, daß er Frauen „nach der Apvstelzahl" bekommt; „in jeder Stadt; so in Gotha, so überall." In Berlin, wohin er nun im Oct. 1800 geht, reicht die .Mpostelzahl" -) Galerie aus Rabath Umgang I, S, 205. ff. Daß es dieselbe sein muß, sieht man aus einem Brief Jean Pauls an Herder. ") „Zu diesem Satz," bemerkt Otto, „muß ich doch die Ausnahme setzen, welche die kleine an der entgegengesetzten Seite von dir liegende und liebend-weinende A, machen könnte. Auf¬ richtig gesagt, das Kind irrte mich." 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/389>, abgerufen am 22.12.2024.