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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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dung, Wohlstand. Sittlichkeit in Europa fortschreiten. Bei jedem Friedens¬
schluß muß es das ernste Bestreben der berathenden Regierungen sein, innerlich
Dauerhaftes und Verständiges zu schaffen, damit der Frieden dauerhaft und
jedem einzelnen Staat zum Heil werde. Immer wird das Resultat dieser
diplomatischen Versuche, das Gute d. h. Nützlichste zu begründen, mangelhaft
sein, weil jedes Resultat nur durch einen Compromiß entgegengesetzter Inter¬
essen gewonnen werden kann, aber es wird hoffentlich nie einer gewissen In¬
telligenz und relativen Möglichkeit der Dauer entbehren. Nun aber steht die
italienische Frage für sich betrachtet so, daß die stille Meinung der Nationen
und Cabinete den Oestreichern innerlich nicht Recht gibt. Sie standen hier
gegen ganz Europa seit einigen Jahrzehnten auf der Defensive. Zwar ist
es den meisten Völkern und Regierungen Europas offenbar quer und unge¬
legen, daß Frankreich diese heikelige Frage zur brennenden gemacht hat, und
uns Deutschen ist dieser plötzliche Sturm aus mehren Gründen besonders
widerwärtig, aber die Frage ist einmal aufgeregt und es wird für die Diplo¬
matie unvermeidlich, sie in die Hand zu nehmen und eine Lösung zu versuchen.
Und von solchem Versuch, wie unvollkommen er auch zunächst ausfallen möge,
hat Oestreich nicht viel Günstiges zu hoffen. Ja es hat sich und seinen Freun¬
den die Situation recht schwer gemacht. Vor seinem plötzlichen Einmarsch in
Piemont hütete sich Napoleon der Dritte sehr, die Verträge von I8r5 an¬
zufechten., er versicherte ausdrücklich, daß die Lombardei und Venedig den
Oestreichern gewährleistet bleiben sollten. In seinem Kriegsmanifest hat er
von dem Recht des Kriegführenden Gebrauch gemacht und die Freiheit Ita¬
liens bis zum Adria begehrt. Jetzt ist Oestreich in der unbequemen Lage, mit
Anspannung aller seiner Kräfte das vertheidigen zu müssen, was vorher we¬
nigstens direct nicht angegriffen war. Sollten die Franzosen siegen, so wer¬
den die Freunde Oestreichs die größten Anstrengungen machen müssen, ihm
das zu erhalten, was es vor seiner Kriegserklärung unzweifelhaft besaß, siegt
aber Oestreich, was hofft es in Italien zu gewinnen? Man kann mit ziem¬
licher Sicherheit voraussagen, daß neue Eroberungen der Oestreicher in Italien
von allen maßgebenden Cabineten Europas, von Feinden, Neutralen, sogar
von seinen Alliirten, als eine wesentliche Störung des europäischen Gleich¬
gewichts betrachtet werden müßten, im Fall diese Vergrößerungen beträchtlich
sein sollten, während kleine Gebietserweiterungen desselben Staates ebenso
nach allgemeiner Ueberzeugung nur dazu beitragen müßten, die italienische
Verwickelung zu vergrößern und neue Störungen des europäischen Friedens
zu erzeugen. Offenbar kann also Oestreich durch deu Krieg wenig gewinnen,
während es sich vieles in Frage gestellt hat. Allerdings hätte es sich, wenn
seine Regierung vorsichtig die letzte Provocation vermied. zu einigen Conces¬
sionen in Italien verstehen müssen, aber die vermittelnden Mächte hätten in


Grenzboten II. 1359. 47

dung, Wohlstand. Sittlichkeit in Europa fortschreiten. Bei jedem Friedens¬
schluß muß es das ernste Bestreben der berathenden Regierungen sein, innerlich
Dauerhaftes und Verständiges zu schaffen, damit der Frieden dauerhaft und
jedem einzelnen Staat zum Heil werde. Immer wird das Resultat dieser
diplomatischen Versuche, das Gute d. h. Nützlichste zu begründen, mangelhaft
sein, weil jedes Resultat nur durch einen Compromiß entgegengesetzter Inter¬
essen gewonnen werden kann, aber es wird hoffentlich nie einer gewissen In¬
telligenz und relativen Möglichkeit der Dauer entbehren. Nun aber steht die
italienische Frage für sich betrachtet so, daß die stille Meinung der Nationen
und Cabinete den Oestreichern innerlich nicht Recht gibt. Sie standen hier
gegen ganz Europa seit einigen Jahrzehnten auf der Defensive. Zwar ist
es den meisten Völkern und Regierungen Europas offenbar quer und unge¬
legen, daß Frankreich diese heikelige Frage zur brennenden gemacht hat, und
uns Deutschen ist dieser plötzliche Sturm aus mehren Gründen besonders
widerwärtig, aber die Frage ist einmal aufgeregt und es wird für die Diplo¬
matie unvermeidlich, sie in die Hand zu nehmen und eine Lösung zu versuchen.
Und von solchem Versuch, wie unvollkommen er auch zunächst ausfallen möge,
hat Oestreich nicht viel Günstiges zu hoffen. Ja es hat sich und seinen Freun¬
den die Situation recht schwer gemacht. Vor seinem plötzlichen Einmarsch in
Piemont hütete sich Napoleon der Dritte sehr, die Verträge von I8r5 an¬
zufechten., er versicherte ausdrücklich, daß die Lombardei und Venedig den
Oestreichern gewährleistet bleiben sollten. In seinem Kriegsmanifest hat er
von dem Recht des Kriegführenden Gebrauch gemacht und die Freiheit Ita¬
liens bis zum Adria begehrt. Jetzt ist Oestreich in der unbequemen Lage, mit
Anspannung aller seiner Kräfte das vertheidigen zu müssen, was vorher we¬
nigstens direct nicht angegriffen war. Sollten die Franzosen siegen, so wer¬
den die Freunde Oestreichs die größten Anstrengungen machen müssen, ihm
das zu erhalten, was es vor seiner Kriegserklärung unzweifelhaft besaß, siegt
aber Oestreich, was hofft es in Italien zu gewinnen? Man kann mit ziem¬
licher Sicherheit voraussagen, daß neue Eroberungen der Oestreicher in Italien
von allen maßgebenden Cabineten Europas, von Feinden, Neutralen, sogar
von seinen Alliirten, als eine wesentliche Störung des europäischen Gleich¬
gewichts betrachtet werden müßten, im Fall diese Vergrößerungen beträchtlich
sein sollten, während kleine Gebietserweiterungen desselben Staates ebenso
nach allgemeiner Ueberzeugung nur dazu beitragen müßten, die italienische
Verwickelung zu vergrößern und neue Störungen des europäischen Friedens
zu erzeugen. Offenbar kann also Oestreich durch deu Krieg wenig gewinnen,
während es sich vieles in Frage gestellt hat. Allerdings hätte es sich, wenn
seine Regierung vorsichtig die letzte Provocation vermied. zu einigen Conces¬
sionen in Italien verstehen müssen, aber die vermittelnden Mächte hätten in


Grenzboten II. 1359. 47
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/379>, abgerufen am 22.12.2024.