Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gleich anspruchsvoll eine gewisse herzliche Hingebe und Gegendienste verlangt,
wie sie in der Politik auf die Länge selten möglich sind. Es war seine Freude
und sein Stolz, mit der englischen Königsfamilie und den Staatsmännern
der Whigs gut zu stehen; es waren vielleicht die glücklichsten Tage seines
Lebens, als er an der Seite der Königin durch die Straßen von London fuhr,
und des Abends in seinem Cabinet im Cigarrenrauch seine Ideen aussprechen
konnte- dann war er, der Schweigsame, gesprächig und mittheilend, und von
der Offenheit, welche träumerische Naturen, die viel mit sich selbst beschäftigt
sind, in solchen Augenblicken fast rücksichtslos zeigen. Die Maienzeit dieses
Verhältnisses währte nicht lange; das englische Volk hatte keine Empfindung
für die gemüthlichen Bedürfnisse des Kaisers. Tief kränkte ihn die Kälte, mit
welcher Parlament und Nation seine durchaus nicht ungerechtfertigten For¬
derungen nach dem Orsinischcn Attentat abwiesen; nicht weniger, daß schon die
Whigs ihn gegen früheres Abkommen in der Donaufürstenthümerfrage im
Stich gelassen. In beiden Fällen war ihm der englische Widerstand ein Herz-
treffender Schlag. Und der Tag von Cherbourg war seine Antwort. Jetzt
hat er sich in demselben Sinne dem Hause Savoyen genähert und sicher ist
es ein Irrthum, wenn man in dieser Allianz nichts als die kalte Berechnung
sieht, wie sie seinem Oheim in der zweiten Hälfte des politischen Lebens
natürlich war. Was Kaiser Napoleon in Italien für sich prätendiren
wird, das hängt vorzugsweise von dem persönlichen Antheil ab, den er an
den Charakteren des Königshauses Savoyen nehmen mag. Gelingt es dem
König, aus den unvermeidlichen Reibungen und Kollisionen der Interessen ein
persönliches Freundschaftsverhältniß zum Kaiser zu retten, so werden wir bei
einem für Frankreich günstigen Ausfall des Krieges eine -- verhälttusnnäßige
-- Uneigennützigkeit des Kaisers erleben, die immerhin so groß ist, als sie
irgend eine der alten Regierungen Europas beweisen würde. Wird sein
Bedürfniß nach vertrauender Zuneigung nicht befriedigt, dann wird er ohne
jede Rücksicht den Löwenantheil für sich fordern und über das Haus Savoyen
hinwegzuschreiten suchen, wie sein Oheim.

Dies Gesagte soll deutlich machen, wie die Politik des Kaisers zu ver¬
fahren pflegt. Still in sich geschlossen, brütet seine Empfindung lange über
einem Project, einer politischen Situation. Sorgfältig richtet er sich Pläne zu
und legt sie still zurück, zuletzt entscheiden gemüthliche Stimmungen, persönliche
Neigung und Abneigung. Dann kommt er plötzlich nuf Ideen zurück, welche
seine Umgebung für lange beseitigt und abgethan hielt. In dem orienta¬
lischen Krieg nun hat sich bei ihm die Idee entwickelt, daß er berufen sei,
Ordner und Verbesserer aller unklaren und unhaltbaren Verhältnisse in Europa
zu werden, und die bekannte Neigung, dergleichen subtile Fragen vor ein
Austrägalgericht der Großmächte zu bringen, bei welchem er als Herr Frank-


46*

gleich anspruchsvoll eine gewisse herzliche Hingebe und Gegendienste verlangt,
wie sie in der Politik auf die Länge selten möglich sind. Es war seine Freude
und sein Stolz, mit der englischen Königsfamilie und den Staatsmännern
der Whigs gut zu stehen; es waren vielleicht die glücklichsten Tage seines
Lebens, als er an der Seite der Königin durch die Straßen von London fuhr,
und des Abends in seinem Cabinet im Cigarrenrauch seine Ideen aussprechen
konnte- dann war er, der Schweigsame, gesprächig und mittheilend, und von
der Offenheit, welche träumerische Naturen, die viel mit sich selbst beschäftigt
sind, in solchen Augenblicken fast rücksichtslos zeigen. Die Maienzeit dieses
Verhältnisses währte nicht lange; das englische Volk hatte keine Empfindung
für die gemüthlichen Bedürfnisse des Kaisers. Tief kränkte ihn die Kälte, mit
welcher Parlament und Nation seine durchaus nicht ungerechtfertigten For¬
derungen nach dem Orsinischcn Attentat abwiesen; nicht weniger, daß schon die
Whigs ihn gegen früheres Abkommen in der Donaufürstenthümerfrage im
Stich gelassen. In beiden Fällen war ihm der englische Widerstand ein Herz-
treffender Schlag. Und der Tag von Cherbourg war seine Antwort. Jetzt
hat er sich in demselben Sinne dem Hause Savoyen genähert und sicher ist
es ein Irrthum, wenn man in dieser Allianz nichts als die kalte Berechnung
sieht, wie sie seinem Oheim in der zweiten Hälfte des politischen Lebens
natürlich war. Was Kaiser Napoleon in Italien für sich prätendiren
wird, das hängt vorzugsweise von dem persönlichen Antheil ab, den er an
den Charakteren des Königshauses Savoyen nehmen mag. Gelingt es dem
König, aus den unvermeidlichen Reibungen und Kollisionen der Interessen ein
persönliches Freundschaftsverhältniß zum Kaiser zu retten, so werden wir bei
einem für Frankreich günstigen Ausfall des Krieges eine — verhälttusnnäßige
— Uneigennützigkeit des Kaisers erleben, die immerhin so groß ist, als sie
irgend eine der alten Regierungen Europas beweisen würde. Wird sein
Bedürfniß nach vertrauender Zuneigung nicht befriedigt, dann wird er ohne
jede Rücksicht den Löwenantheil für sich fordern und über das Haus Savoyen
hinwegzuschreiten suchen, wie sein Oheim.

Dies Gesagte soll deutlich machen, wie die Politik des Kaisers zu ver¬
fahren pflegt. Still in sich geschlossen, brütet seine Empfindung lange über
einem Project, einer politischen Situation. Sorgfältig richtet er sich Pläne zu
und legt sie still zurück, zuletzt entscheiden gemüthliche Stimmungen, persönliche
Neigung und Abneigung. Dann kommt er plötzlich nuf Ideen zurück, welche
seine Umgebung für lange beseitigt und abgethan hielt. In dem orienta¬
lischen Krieg nun hat sich bei ihm die Idee entwickelt, daß er berufen sei,
Ordner und Verbesserer aller unklaren und unhaltbaren Verhältnisse in Europa
zu werden, und die bekannte Neigung, dergleichen subtile Fragen vor ein
Austrägalgericht der Großmächte zu bringen, bei welchem er als Herr Frank-


46*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107420"/>
          <p xml:id="ID_1108" prev="#ID_1107"> gleich anspruchsvoll eine gewisse herzliche Hingebe und Gegendienste verlangt,<lb/>
wie sie in der Politik auf die Länge selten möglich sind. Es war seine Freude<lb/>
und sein Stolz, mit der englischen Königsfamilie und den Staatsmännern<lb/>
der Whigs gut zu stehen; es waren vielleicht die glücklichsten Tage seines<lb/>
Lebens, als er an der Seite der Königin durch die Straßen von London fuhr,<lb/>
und des Abends in seinem Cabinet im Cigarrenrauch seine Ideen aussprechen<lb/>
konnte- dann war er, der Schweigsame, gesprächig und mittheilend, und von<lb/>
der Offenheit, welche träumerische Naturen, die viel mit sich selbst beschäftigt<lb/>
sind, in solchen Augenblicken fast rücksichtslos zeigen. Die Maienzeit dieses<lb/>
Verhältnisses währte nicht lange; das englische Volk hatte keine Empfindung<lb/>
für die gemüthlichen Bedürfnisse des Kaisers. Tief kränkte ihn die Kälte, mit<lb/>
welcher Parlament und Nation seine durchaus nicht ungerechtfertigten For¬<lb/>
derungen nach dem Orsinischcn Attentat abwiesen; nicht weniger, daß schon die<lb/>
Whigs ihn gegen früheres Abkommen in der Donaufürstenthümerfrage im<lb/>
Stich gelassen. In beiden Fällen war ihm der englische Widerstand ein Herz-<lb/>
treffender Schlag. Und der Tag von Cherbourg war seine Antwort. Jetzt<lb/>
hat er sich in demselben Sinne dem Hause Savoyen genähert und sicher ist<lb/>
es ein Irrthum, wenn man in dieser Allianz nichts als die kalte Berechnung<lb/>
sieht, wie sie seinem Oheim in der zweiten Hälfte des politischen Lebens<lb/>
natürlich war. Was Kaiser Napoleon in Italien für sich prätendiren<lb/>
wird, das hängt vorzugsweise von dem persönlichen Antheil ab, den er an<lb/>
den Charakteren des Königshauses Savoyen nehmen mag. Gelingt es dem<lb/>
König, aus den unvermeidlichen Reibungen und Kollisionen der Interessen ein<lb/>
persönliches Freundschaftsverhältniß zum Kaiser zu retten, so werden wir bei<lb/>
einem für Frankreich günstigen Ausfall des Krieges eine &#x2014; verhälttusnnäßige<lb/>
&#x2014; Uneigennützigkeit des Kaisers erleben, die immerhin so groß ist, als sie<lb/>
irgend eine der alten Regierungen Europas beweisen würde. Wird sein<lb/>
Bedürfniß nach vertrauender Zuneigung nicht befriedigt, dann wird er ohne<lb/>
jede Rücksicht den Löwenantheil für sich fordern und über das Haus Savoyen<lb/>
hinwegzuschreiten suchen, wie sein Oheim.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1109" next="#ID_1110"> Dies Gesagte soll deutlich machen, wie die Politik des Kaisers zu ver¬<lb/>
fahren pflegt. Still in sich geschlossen, brütet seine Empfindung lange über<lb/>
einem Project, einer politischen Situation. Sorgfältig richtet er sich Pläne zu<lb/>
und legt sie still zurück, zuletzt entscheiden gemüthliche Stimmungen, persönliche<lb/>
Neigung und Abneigung. Dann kommt er plötzlich nuf Ideen zurück, welche<lb/>
seine Umgebung für lange beseitigt und abgethan hielt. In dem orienta¬<lb/>
lischen Krieg nun hat sich bei ihm die Idee entwickelt, daß er berufen sei,<lb/>
Ordner und Verbesserer aller unklaren und unhaltbaren Verhältnisse in Europa<lb/>
zu werden, und die bekannte Neigung, dergleichen subtile Fragen vor ein<lb/>
Austrägalgericht der Großmächte zu bringen, bei welchem er als Herr Frank-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 46*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0373] gleich anspruchsvoll eine gewisse herzliche Hingebe und Gegendienste verlangt, wie sie in der Politik auf die Länge selten möglich sind. Es war seine Freude und sein Stolz, mit der englischen Königsfamilie und den Staatsmännern der Whigs gut zu stehen; es waren vielleicht die glücklichsten Tage seines Lebens, als er an der Seite der Königin durch die Straßen von London fuhr, und des Abends in seinem Cabinet im Cigarrenrauch seine Ideen aussprechen konnte- dann war er, der Schweigsame, gesprächig und mittheilend, und von der Offenheit, welche träumerische Naturen, die viel mit sich selbst beschäftigt sind, in solchen Augenblicken fast rücksichtslos zeigen. Die Maienzeit dieses Verhältnisses währte nicht lange; das englische Volk hatte keine Empfindung für die gemüthlichen Bedürfnisse des Kaisers. Tief kränkte ihn die Kälte, mit welcher Parlament und Nation seine durchaus nicht ungerechtfertigten For¬ derungen nach dem Orsinischcn Attentat abwiesen; nicht weniger, daß schon die Whigs ihn gegen früheres Abkommen in der Donaufürstenthümerfrage im Stich gelassen. In beiden Fällen war ihm der englische Widerstand ein Herz- treffender Schlag. Und der Tag von Cherbourg war seine Antwort. Jetzt hat er sich in demselben Sinne dem Hause Savoyen genähert und sicher ist es ein Irrthum, wenn man in dieser Allianz nichts als die kalte Berechnung sieht, wie sie seinem Oheim in der zweiten Hälfte des politischen Lebens natürlich war. Was Kaiser Napoleon in Italien für sich prätendiren wird, das hängt vorzugsweise von dem persönlichen Antheil ab, den er an den Charakteren des Königshauses Savoyen nehmen mag. Gelingt es dem König, aus den unvermeidlichen Reibungen und Kollisionen der Interessen ein persönliches Freundschaftsverhältniß zum Kaiser zu retten, so werden wir bei einem für Frankreich günstigen Ausfall des Krieges eine — verhälttusnnäßige — Uneigennützigkeit des Kaisers erleben, die immerhin so groß ist, als sie irgend eine der alten Regierungen Europas beweisen würde. Wird sein Bedürfniß nach vertrauender Zuneigung nicht befriedigt, dann wird er ohne jede Rücksicht den Löwenantheil für sich fordern und über das Haus Savoyen hinwegzuschreiten suchen, wie sein Oheim. Dies Gesagte soll deutlich machen, wie die Politik des Kaisers zu ver¬ fahren pflegt. Still in sich geschlossen, brütet seine Empfindung lange über einem Project, einer politischen Situation. Sorgfältig richtet er sich Pläne zu und legt sie still zurück, zuletzt entscheiden gemüthliche Stimmungen, persönliche Neigung und Abneigung. Dann kommt er plötzlich nuf Ideen zurück, welche seine Umgebung für lange beseitigt und abgethan hielt. In dem orienta¬ lischen Krieg nun hat sich bei ihm die Idee entwickelt, daß er berufen sei, Ordner und Verbesserer aller unklaren und unhaltbaren Verhältnisse in Europa zu werden, und die bekannte Neigung, dergleichen subtile Fragen vor ein Austrägalgericht der Großmächte zu bringen, bei welchem er als Herr Frank- 46*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/373
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/373>, abgerufen am 22.12.2024.