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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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er gleich seinem Oheim Verträge, Staatsreden und öffentliche Manifestationen
nur als Mittel betrachtet, um vorübergehende Wirkungen zu erreichen, als
papierne Fesseln, die er wegwirft, wenn sie ihm nicht mehr nützen, so ist er
auch geneigt, bei Fremden dieselbe Gesinnung vorauszusetzen, und überall
Coalitionen gegen Frankreich, Gefahren für sich selbst und seine Dynastie zu
erblicken.

Als er nach einem langen Jntriguenkampf mit unfähigen Gegnern durch
Blut und einen Gewaltact zum Herrn Frankreichs, und durch die politische
Rathlosigkeit des französischen Volkes zum Kaiser erwählt wurde, da war sein
höchstes Bestreben, sich unter den alten Mächten Europas durch Mäßigung und
mannhafte Haltung eine geachtete Stellung zu erwerben. Trotz der furchtbaren
Bundesgenossen, welche er zu Helfern seiner Herrschaft heraufbeschworen hatte,
der Willkür. Gewaltsamkeit, frechen Selbstsucht, wußte er in dem Rath d"r
europäischen Mächte eine respectirte Stellung zu erwerben. Der Kaiser von
Nußland mußte unklugen Stolz mit dem Verlust des ganzen Heeres büßen,
mit Zerstörung seiner Lieblingsfestung und halben Flotte, mit Abdrängung
von den Donaumündungen; die freundschaftliche Courtoisie des englischen
Königshauses wurde der Kitt eines auffallenden Bündnisses; während
des Krimkrieges hatte der Kaiser Gelegenheit, sich klug, entschlossen und
zuverlässig zu erweisen. Er trat aus dem Kampfe mit erhöhtem Ansehn
als ein mächtiger Kriegsfürst, ein erprobter Staatsmann. Es ist nicht
unnütz, jetzt daran zu erinnern, daß ein Mann solche Erfolge nicht nur
durch Schlauheit, Intriguen und rücksichtslose Anwendung gewaltiger Mittel
erreicht. Es war allerdings noch einiges in dem Wesen des Kaisers,
was Achtung, ja menschliche Theilnahme auch von dem Gegner erzwäng-
In der ungesunden Atmosphäre, aus welcher er heraufgewachsen war, als
anspruchsvoller Prätendent, Verbannter, Staatsgefangener, bei aller Rohheit
seines Fatalismus besaß er eine Eigenthümlichkeit, der wir Deutsche im Pri¬
vatleben nur zu vieles zu verzeihen geneigt sind, das lebhafte Bedürfniß,
Liebe und Vertrauen einzuflößen und sich an der Zuneigung anderer zu erfreuen.
Diese Gemüthlichkeit, wenig verschieden von der eines deutschen Bürgers, ist
so sehr ein Grundzug seines Wesens, daß sie überall in seiner Politik sicht¬
bar wird. Und diese Eigenschaft bringt in seine Handlungen und Entschlüsse
einen eigenthümlichen Dualismus. Zugleich verschlagen, und doch im Ver¬
kehr von nicht abzuleugnender Geradheit, hat er die Franzosen durch eine
ganze Windrose von politischen Phrasen geleitet, und derselbe Mann hat. wie
Lord Malmesbury ohne Ironie zu sagen berechtigt war, sein dem Einzelnen
gegebenes Wort mit punktiliöser Gewissenhaftigkeit gehalten.

Der Kaiser ist bei solchem Wesen>allerdings im Stande, ein zuverlässiger
Verbündeter zu sein, der für seine Alliirten große Opfer bringt, der aber zu-


er gleich seinem Oheim Verträge, Staatsreden und öffentliche Manifestationen
nur als Mittel betrachtet, um vorübergehende Wirkungen zu erreichen, als
papierne Fesseln, die er wegwirft, wenn sie ihm nicht mehr nützen, so ist er
auch geneigt, bei Fremden dieselbe Gesinnung vorauszusetzen, und überall
Coalitionen gegen Frankreich, Gefahren für sich selbst und seine Dynastie zu
erblicken.

Als er nach einem langen Jntriguenkampf mit unfähigen Gegnern durch
Blut und einen Gewaltact zum Herrn Frankreichs, und durch die politische
Rathlosigkeit des französischen Volkes zum Kaiser erwählt wurde, da war sein
höchstes Bestreben, sich unter den alten Mächten Europas durch Mäßigung und
mannhafte Haltung eine geachtete Stellung zu erwerben. Trotz der furchtbaren
Bundesgenossen, welche er zu Helfern seiner Herrschaft heraufbeschworen hatte,
der Willkür. Gewaltsamkeit, frechen Selbstsucht, wußte er in dem Rath d«r
europäischen Mächte eine respectirte Stellung zu erwerben. Der Kaiser von
Nußland mußte unklugen Stolz mit dem Verlust des ganzen Heeres büßen,
mit Zerstörung seiner Lieblingsfestung und halben Flotte, mit Abdrängung
von den Donaumündungen; die freundschaftliche Courtoisie des englischen
Königshauses wurde der Kitt eines auffallenden Bündnisses; während
des Krimkrieges hatte der Kaiser Gelegenheit, sich klug, entschlossen und
zuverlässig zu erweisen. Er trat aus dem Kampfe mit erhöhtem Ansehn
als ein mächtiger Kriegsfürst, ein erprobter Staatsmann. Es ist nicht
unnütz, jetzt daran zu erinnern, daß ein Mann solche Erfolge nicht nur
durch Schlauheit, Intriguen und rücksichtslose Anwendung gewaltiger Mittel
erreicht. Es war allerdings noch einiges in dem Wesen des Kaisers,
was Achtung, ja menschliche Theilnahme auch von dem Gegner erzwäng-
In der ungesunden Atmosphäre, aus welcher er heraufgewachsen war, als
anspruchsvoller Prätendent, Verbannter, Staatsgefangener, bei aller Rohheit
seines Fatalismus besaß er eine Eigenthümlichkeit, der wir Deutsche im Pri¬
vatleben nur zu vieles zu verzeihen geneigt sind, das lebhafte Bedürfniß,
Liebe und Vertrauen einzuflößen und sich an der Zuneigung anderer zu erfreuen.
Diese Gemüthlichkeit, wenig verschieden von der eines deutschen Bürgers, ist
so sehr ein Grundzug seines Wesens, daß sie überall in seiner Politik sicht¬
bar wird. Und diese Eigenschaft bringt in seine Handlungen und Entschlüsse
einen eigenthümlichen Dualismus. Zugleich verschlagen, und doch im Ver¬
kehr von nicht abzuleugnender Geradheit, hat er die Franzosen durch eine
ganze Windrose von politischen Phrasen geleitet, und derselbe Mann hat. wie
Lord Malmesbury ohne Ironie zu sagen berechtigt war, sein dem Einzelnen
gegebenes Wort mit punktiliöser Gewissenhaftigkeit gehalten.

Der Kaiser ist bei solchem Wesen>allerdings im Stande, ein zuverlässiger
Verbündeter zu sein, der für seine Alliirten große Opfer bringt, der aber zu-


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[0372] er gleich seinem Oheim Verträge, Staatsreden und öffentliche Manifestationen nur als Mittel betrachtet, um vorübergehende Wirkungen zu erreichen, als papierne Fesseln, die er wegwirft, wenn sie ihm nicht mehr nützen, so ist er auch geneigt, bei Fremden dieselbe Gesinnung vorauszusetzen, und überall Coalitionen gegen Frankreich, Gefahren für sich selbst und seine Dynastie zu erblicken. Als er nach einem langen Jntriguenkampf mit unfähigen Gegnern durch Blut und einen Gewaltact zum Herrn Frankreichs, und durch die politische Rathlosigkeit des französischen Volkes zum Kaiser erwählt wurde, da war sein höchstes Bestreben, sich unter den alten Mächten Europas durch Mäßigung und mannhafte Haltung eine geachtete Stellung zu erwerben. Trotz der furchtbaren Bundesgenossen, welche er zu Helfern seiner Herrschaft heraufbeschworen hatte, der Willkür. Gewaltsamkeit, frechen Selbstsucht, wußte er in dem Rath d«r europäischen Mächte eine respectirte Stellung zu erwerben. Der Kaiser von Nußland mußte unklugen Stolz mit dem Verlust des ganzen Heeres büßen, mit Zerstörung seiner Lieblingsfestung und halben Flotte, mit Abdrängung von den Donaumündungen; die freundschaftliche Courtoisie des englischen Königshauses wurde der Kitt eines auffallenden Bündnisses; während des Krimkrieges hatte der Kaiser Gelegenheit, sich klug, entschlossen und zuverlässig zu erweisen. Er trat aus dem Kampfe mit erhöhtem Ansehn als ein mächtiger Kriegsfürst, ein erprobter Staatsmann. Es ist nicht unnütz, jetzt daran zu erinnern, daß ein Mann solche Erfolge nicht nur durch Schlauheit, Intriguen und rücksichtslose Anwendung gewaltiger Mittel erreicht. Es war allerdings noch einiges in dem Wesen des Kaisers, was Achtung, ja menschliche Theilnahme auch von dem Gegner erzwäng- In der ungesunden Atmosphäre, aus welcher er heraufgewachsen war, als anspruchsvoller Prätendent, Verbannter, Staatsgefangener, bei aller Rohheit seines Fatalismus besaß er eine Eigenthümlichkeit, der wir Deutsche im Pri¬ vatleben nur zu vieles zu verzeihen geneigt sind, das lebhafte Bedürfniß, Liebe und Vertrauen einzuflößen und sich an der Zuneigung anderer zu erfreuen. Diese Gemüthlichkeit, wenig verschieden von der eines deutschen Bürgers, ist so sehr ein Grundzug seines Wesens, daß sie überall in seiner Politik sicht¬ bar wird. Und diese Eigenschaft bringt in seine Handlungen und Entschlüsse einen eigenthümlichen Dualismus. Zugleich verschlagen, und doch im Ver¬ kehr von nicht abzuleugnender Geradheit, hat er die Franzosen durch eine ganze Windrose von politischen Phrasen geleitet, und derselbe Mann hat. wie Lord Malmesbury ohne Ironie zu sagen berechtigt war, sein dem Einzelnen gegebenes Wort mit punktiliöser Gewissenhaftigkeit gehalten. Der Kaiser ist bei solchem Wesen>allerdings im Stande, ein zuverlässiger Verbündeter zu sein, der für seine Alliirten große Opfer bringt, der aber zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/372>, abgerufen am 22.12.2024.