Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.schrieb das wiener Cabinet an die deutschen Höfe: "Selbst in diesem höchst ungern Preußen hat als Zweck seiner Rüstung I) die Sicherung des Bundesgebiets, Unserer Küstenlande wegen ist es ferner von der größten Wichtigkeit, uns Eng¬ schrieb das wiener Cabinet an die deutschen Höfe: „Selbst in diesem höchst ungern Preußen hat als Zweck seiner Rüstung I) die Sicherung des Bundesgebiets, Unserer Küstenlande wegen ist es ferner von der größten Wichtigkeit, uns Eng¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107413"/> <p xml:id="ID_1082" prev="#ID_1081"> schrieb das wiener Cabinet an die deutschen Höfe: „Selbst in diesem höchst ungern<lb/> vorausgesetzten Fall (der Kriegsnothwendigkcit in Italien) würden Se. Maj> der<lb/> Kaiser auf den unmittelbaren Beistand und Zutritt (Is seoours lume6ig.t et I'ao-<lb/> osssion) Ihrer deutschen Bundesgenossen keinen Anspruch machen. Die zur Aufrecht-<lb/> haltung des Friedens und der Ordnung in Italien erforderlichen Maßregeln liegen<lb/> ganz außer der Sphäre der grundgesetzlich bestimmten Mitwirkung des deutschen Bun¬<lb/> des, und weit entfernt, von den dieserhalb gemeinschaftlich aufgestellten. Grundsätzen<lb/> abweichen zu wollen, sind Se. k. k. Maj. vielmehr . . . bereit, diese Mitwirkung<lb/> und Gefahr von dem Bund zu entfernen." (^rodivos Zixlomatihues . . - IV-<lb/> Eotta 1824. S. 313.) Wir führen dies nicht an, um etwa zu behaupten, es könne<lb/> Preußen und Deutschland gleichgiltig sein, ob Oestreich seine Besitzungen in Italien<lb/> halte oder nicht; wir wollten nur die rechtliche Seite der Frage feststellen. Wenn<lb/> wir für den Besitzstand Oestreichs eintreten (und wir werden dafür eintreten), so<lb/> kann uns nur unser Interesse dazu bestimmen, und wir müssen uns vorher klar<lb/> machen, worin dies Interesse liegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1083"> Preußen hat als Zweck seiner Rüstung I) die Sicherung des Bundesgebiets,<lb/> 2) die Herstellung eines dauerhaften Friedens angegeben. Wann die Zeit kommen<lb/> wird, für diese beiden Zwecke einzutreten, das läßt sich, wie wir bereits vorige Woche<lb/> ausgeführt haben, nur nach militärischen Gesichtspunkten ermessen. Es ist viel von<lb/> der russisch-französischen Allianz die Rede gewesen; zuerst um das deutsche Volk zur<lb/> blinden Wuth aufzustacheln, jetzt aber fcheint man eine andere Taktik zu befolgen:<lb/> man stellt, um Preußen nur recht schnell nach Frankreich zu treiben, die russische<lb/> Macht als sehr unbedeutend dar. Beides ist übertrieben. Nußland ist noch nicht<lb/> so weit mit Frankreich im EinVerständniß, uns unmittelbar zu bedrohen, und<lb/> Rußland ist nicht so unkräftig, uns im Fall eines Einmarsches in Frankreich nicht<lb/> eine sehr gefährliche Diversion zu machen. Wenn also Preußen, bevor es ernsthaft<lb/> an den Krieg denkt, sich gegen Rußland möglichst zu sichern sucht; wenn es sich be¬<lb/> müht, Nußland mit Oestreich auszusöhnen, so ist das nicht blos eine Lebensfrage<lb/> für unser» Staat, sondern noch vielmehr für Oestreich. Im Fall eines Sieges wären<lb/> wir allenfalls (freilich sehr unwahrscheinlicherweise) im Stande, den Frieden in Paris<lb/> zu dictiren, aber nicht den Frieden zugleich in Paris und Moskau zu dictiren; im<lb/> Fall einer Niederlage wären unsere Weichselprovinzcn ebenso verloren, wie die Rhein-<lb/> Provinzen. Die östreichische Monarchie wäre der vollständigen Zertrümmerung ausgesetzt<lb/> und Hannover, Nassau und Baiern wären nicht im Stande, dies Unheil abzuwenden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1084"> Unserer Küstenlande wegen ist es ferner von der größten Wichtigkeit, uns Eng¬<lb/> lands zu versichern. Zwar geben wir gern und freudig zu, daß im äußersten Fall<lb/> Preußen und Deutschland vereint den furchtbaren Kampf gegen Frankreich und Nu߬<lb/> land zugleich übernehmen sollen und können. Es wäre wahrlich nicht etwas so<lb/> Einfaches, wie die Politiker an der Jsar faseln, sondern ein Verzweiflungskampf;<lb/> dennoch würden wir ihn durch das Aufbieten aller Kräfte bestehn können. Aber<lb/> vorläufig ist die Sache noch nicht so weit; vorläufig liegt Preußens Aufgabe noch<lb/> darin, in dem bevorstehenden Kampf Frankreich zu isoliren. Diese Aufgabe hat noch<lb/> Aussicht auf Erfolg, sobald die auswärtigen Mächte sich davon überzeugen, 1) daß<lb/> Preußen mit dem übrigen Deutschland vollkommen einig ist, 2) daß es nicht unbedingt<lb/> in der Abhängigkeit von Oestreich steht.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
schrieb das wiener Cabinet an die deutschen Höfe: „Selbst in diesem höchst ungern
vorausgesetzten Fall (der Kriegsnothwendigkcit in Italien) würden Se. Maj> der
Kaiser auf den unmittelbaren Beistand und Zutritt (Is seoours lume6ig.t et I'ao-
osssion) Ihrer deutschen Bundesgenossen keinen Anspruch machen. Die zur Aufrecht-
haltung des Friedens und der Ordnung in Italien erforderlichen Maßregeln liegen
ganz außer der Sphäre der grundgesetzlich bestimmten Mitwirkung des deutschen Bun¬
des, und weit entfernt, von den dieserhalb gemeinschaftlich aufgestellten. Grundsätzen
abweichen zu wollen, sind Se. k. k. Maj. vielmehr . . . bereit, diese Mitwirkung
und Gefahr von dem Bund zu entfernen." (^rodivos Zixlomatihues . . - IV-
Eotta 1824. S. 313.) Wir führen dies nicht an, um etwa zu behaupten, es könne
Preußen und Deutschland gleichgiltig sein, ob Oestreich seine Besitzungen in Italien
halte oder nicht; wir wollten nur die rechtliche Seite der Frage feststellen. Wenn
wir für den Besitzstand Oestreichs eintreten (und wir werden dafür eintreten), so
kann uns nur unser Interesse dazu bestimmen, und wir müssen uns vorher klar
machen, worin dies Interesse liegt.
Preußen hat als Zweck seiner Rüstung I) die Sicherung des Bundesgebiets,
2) die Herstellung eines dauerhaften Friedens angegeben. Wann die Zeit kommen
wird, für diese beiden Zwecke einzutreten, das läßt sich, wie wir bereits vorige Woche
ausgeführt haben, nur nach militärischen Gesichtspunkten ermessen. Es ist viel von
der russisch-französischen Allianz die Rede gewesen; zuerst um das deutsche Volk zur
blinden Wuth aufzustacheln, jetzt aber fcheint man eine andere Taktik zu befolgen:
man stellt, um Preußen nur recht schnell nach Frankreich zu treiben, die russische
Macht als sehr unbedeutend dar. Beides ist übertrieben. Nußland ist noch nicht
so weit mit Frankreich im EinVerständniß, uns unmittelbar zu bedrohen, und
Rußland ist nicht so unkräftig, uns im Fall eines Einmarsches in Frankreich nicht
eine sehr gefährliche Diversion zu machen. Wenn also Preußen, bevor es ernsthaft
an den Krieg denkt, sich gegen Rußland möglichst zu sichern sucht; wenn es sich be¬
müht, Nußland mit Oestreich auszusöhnen, so ist das nicht blos eine Lebensfrage
für unser» Staat, sondern noch vielmehr für Oestreich. Im Fall eines Sieges wären
wir allenfalls (freilich sehr unwahrscheinlicherweise) im Stande, den Frieden in Paris
zu dictiren, aber nicht den Frieden zugleich in Paris und Moskau zu dictiren; im
Fall einer Niederlage wären unsere Weichselprovinzcn ebenso verloren, wie die Rhein-
Provinzen. Die östreichische Monarchie wäre der vollständigen Zertrümmerung ausgesetzt
und Hannover, Nassau und Baiern wären nicht im Stande, dies Unheil abzuwenden.
Unserer Küstenlande wegen ist es ferner von der größten Wichtigkeit, uns Eng¬
lands zu versichern. Zwar geben wir gern und freudig zu, daß im äußersten Fall
Preußen und Deutschland vereint den furchtbaren Kampf gegen Frankreich und Nu߬
land zugleich übernehmen sollen und können. Es wäre wahrlich nicht etwas so
Einfaches, wie die Politiker an der Jsar faseln, sondern ein Verzweiflungskampf;
dennoch würden wir ihn durch das Aufbieten aller Kräfte bestehn können. Aber
vorläufig ist die Sache noch nicht so weit; vorläufig liegt Preußens Aufgabe noch
darin, in dem bevorstehenden Kampf Frankreich zu isoliren. Diese Aufgabe hat noch
Aussicht auf Erfolg, sobald die auswärtigen Mächte sich davon überzeugen, 1) daß
Preußen mit dem übrigen Deutschland vollkommen einig ist, 2) daß es nicht unbedingt
in der Abhängigkeit von Oestreich steht.
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