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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Nach diesem schauerlichen Schluß gewährt es einige Erquickung, auf die
wiederhergestellten Beziehungen zu Schiller zu blicken. Auf ein warmes Lob
seines Wallenstein erwiedert er ihr 31. Jan. 17S9: "Man muß selbst el"
Produktives Vermögen in sich haben, wenn man aus einer so mangelhaften
Darstellung den Sinn und Geist des Dichters herausfindet. Sie haben mich
gefunden, das freut mich, denn im Ganzen des Stücks habe ich mein Wesen
ausgesprochen." Und 22. April: "Charlottens Geist und Herz können sich
nicht verleugnen. Ein rein gefühltes Dichterwerk stellt jedes schöne Verhält¬
niß wieder her, wenn auch die zufälligen Einflüsse einer beschränkten Wirk¬
lichkeit es zuweilen entstellen konnten. -- Ihr Andenken, theure Freundin,
wird seinen vollen Werth für mich behalten. Es ist mir nicht blos ein schönes
Denkmal dieses heutigen Tages, es ist mir ein theures Pfand Ihres Wohl¬
wollens und Ihrer treuen Freundschaft und bringt mir die ersten schönen
Zeiten unserer Bekanntschaft zurück. Damals trugen Sie das Schicksal mei¬
nes Geistes an Ihrem freundschaftlichen Herzen und ehrten in mir ein unent¬
wickeltes, noch mit dem Stoff unsicher kämpfendes Talent. Nicht durch das,
was ich war und was ich wirklich geleistet hatte, soudern durch das. was
ich vielleicht noch werden und leisten konnte, war ich Ihnen werth. Ist es
Mir jetzt gelungen, Ihre damaligen Hoffnungen von mir wirklich zu machen
und Ihren Antheil an mir zu rechtfertigen, so werde ich nie vergessen, wie
viel ich davon jenem schönen und reinen Verhältniß schuldig bin."

Bis 1804 lebte Charlotte meist in Waltershausen; 1801 besuchte sie
Wiesbaden und die Umgegend, 1802 Weimar. Ihre Einkünfte waren so
unsicher geworden, daß sie um die Gründung einer Pensionsanstalt dachte,
wovon aber Schiller avrieth. 1804 entschied sich der gänzliche Verlust ihres
Vermögens; sie wandte sich nach Berlin, hauptsächlich Fichtes wegen; dort
lebte sie in den dürftigsten Verhältnissen, bis sich die Prinzessin Mariane ihrer
annahm, nachdem sie 1820 völlig erblindet war. Noch 1828 schrieb Rahel:
-.Sie ist von allen Frauen, die ich je gekannt habe, die geistvollste; ihr Geist
hat wirklich wie Flügel, mit denen sie sich in jedem beliebigen Augenblick,
unter allen Umständen, in alle Höhen schwingen kann; dies ist ein absolutes
Glück, und sie fühlt sich dadurch so frei, daß sie nach dem erhabensten oder
tiefsten Geistesblick öfters lacht, wo es gar nicht hinzugehören scheint: gleich¬
sam in dem Gedanken, daß es etwas Komisches hätte, nur in der eben er¬
blickten Sphäre verweilen oder gar bleiben zu wollen: flugs nimmt ihr Geist
eine andere, öfters entgegengesetzte Richtung, und thut da wieder Wunder.
Auf diese Weise gibt sie sich auch getrost, und ebenso frei, hergebrachten Mei¬
nungen, Vorurtheilen, beliebten, herrschenden Formen des Seins und Den¬
kens hin: sie kann doch lachen und vergnügt sein. Ein wenig lüftet sie die
Flügel, und die leere Last sinkt zu ihren Füßen an den Boden."


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Nach diesem schauerlichen Schluß gewährt es einige Erquickung, auf die
wiederhergestellten Beziehungen zu Schiller zu blicken. Auf ein warmes Lob
seines Wallenstein erwiedert er ihr 31. Jan. 17S9: „Man muß selbst el»
Produktives Vermögen in sich haben, wenn man aus einer so mangelhaften
Darstellung den Sinn und Geist des Dichters herausfindet. Sie haben mich
gefunden, das freut mich, denn im Ganzen des Stücks habe ich mein Wesen
ausgesprochen." Und 22. April: „Charlottens Geist und Herz können sich
nicht verleugnen. Ein rein gefühltes Dichterwerk stellt jedes schöne Verhält¬
niß wieder her, wenn auch die zufälligen Einflüsse einer beschränkten Wirk¬
lichkeit es zuweilen entstellen konnten. — Ihr Andenken, theure Freundin,
wird seinen vollen Werth für mich behalten. Es ist mir nicht blos ein schönes
Denkmal dieses heutigen Tages, es ist mir ein theures Pfand Ihres Wohl¬
wollens und Ihrer treuen Freundschaft und bringt mir die ersten schönen
Zeiten unserer Bekanntschaft zurück. Damals trugen Sie das Schicksal mei¬
nes Geistes an Ihrem freundschaftlichen Herzen und ehrten in mir ein unent¬
wickeltes, noch mit dem Stoff unsicher kämpfendes Talent. Nicht durch das,
was ich war und was ich wirklich geleistet hatte, soudern durch das. was
ich vielleicht noch werden und leisten konnte, war ich Ihnen werth. Ist es
Mir jetzt gelungen, Ihre damaligen Hoffnungen von mir wirklich zu machen
und Ihren Antheil an mir zu rechtfertigen, so werde ich nie vergessen, wie
viel ich davon jenem schönen und reinen Verhältniß schuldig bin."

Bis 1804 lebte Charlotte meist in Waltershausen; 1801 besuchte sie
Wiesbaden und die Umgegend, 1802 Weimar. Ihre Einkünfte waren so
unsicher geworden, daß sie um die Gründung einer Pensionsanstalt dachte,
wovon aber Schiller avrieth. 1804 entschied sich der gänzliche Verlust ihres
Vermögens; sie wandte sich nach Berlin, hauptsächlich Fichtes wegen; dort
lebte sie in den dürftigsten Verhältnissen, bis sich die Prinzessin Mariane ihrer
annahm, nachdem sie 1820 völlig erblindet war. Noch 1828 schrieb Rahel:
-.Sie ist von allen Frauen, die ich je gekannt habe, die geistvollste; ihr Geist
hat wirklich wie Flügel, mit denen sie sich in jedem beliebigen Augenblick,
unter allen Umständen, in alle Höhen schwingen kann; dies ist ein absolutes
Glück, und sie fühlt sich dadurch so frei, daß sie nach dem erhabensten oder
tiefsten Geistesblick öfters lacht, wo es gar nicht hinzugehören scheint: gleich¬
sam in dem Gedanken, daß es etwas Komisches hätte, nur in der eben er¬
blickten Sphäre verweilen oder gar bleiben zu wollen: flugs nimmt ihr Geist
eine andere, öfters entgegengesetzte Richtung, und thut da wieder Wunder.
Auf diese Weise gibt sie sich auch getrost, und ebenso frei, hergebrachten Mei¬
nungen, Vorurtheilen, beliebten, herrschenden Formen des Seins und Den¬
kens hin: sie kann doch lachen und vergnügt sein. Ein wenig lüftet sie die
Flügel, und die leere Last sinkt zu ihren Füßen an den Boden."


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[0349] Nach diesem schauerlichen Schluß gewährt es einige Erquickung, auf die wiederhergestellten Beziehungen zu Schiller zu blicken. Auf ein warmes Lob seines Wallenstein erwiedert er ihr 31. Jan. 17S9: „Man muß selbst el» Produktives Vermögen in sich haben, wenn man aus einer so mangelhaften Darstellung den Sinn und Geist des Dichters herausfindet. Sie haben mich gefunden, das freut mich, denn im Ganzen des Stücks habe ich mein Wesen ausgesprochen." Und 22. April: „Charlottens Geist und Herz können sich nicht verleugnen. Ein rein gefühltes Dichterwerk stellt jedes schöne Verhält¬ niß wieder her, wenn auch die zufälligen Einflüsse einer beschränkten Wirk¬ lichkeit es zuweilen entstellen konnten. — Ihr Andenken, theure Freundin, wird seinen vollen Werth für mich behalten. Es ist mir nicht blos ein schönes Denkmal dieses heutigen Tages, es ist mir ein theures Pfand Ihres Wohl¬ wollens und Ihrer treuen Freundschaft und bringt mir die ersten schönen Zeiten unserer Bekanntschaft zurück. Damals trugen Sie das Schicksal mei¬ nes Geistes an Ihrem freundschaftlichen Herzen und ehrten in mir ein unent¬ wickeltes, noch mit dem Stoff unsicher kämpfendes Talent. Nicht durch das, was ich war und was ich wirklich geleistet hatte, soudern durch das. was ich vielleicht noch werden und leisten konnte, war ich Ihnen werth. Ist es Mir jetzt gelungen, Ihre damaligen Hoffnungen von mir wirklich zu machen und Ihren Antheil an mir zu rechtfertigen, so werde ich nie vergessen, wie viel ich davon jenem schönen und reinen Verhältniß schuldig bin." Bis 1804 lebte Charlotte meist in Waltershausen; 1801 besuchte sie Wiesbaden und die Umgegend, 1802 Weimar. Ihre Einkünfte waren so unsicher geworden, daß sie um die Gründung einer Pensionsanstalt dachte, wovon aber Schiller avrieth. 1804 entschied sich der gänzliche Verlust ihres Vermögens; sie wandte sich nach Berlin, hauptsächlich Fichtes wegen; dort lebte sie in den dürftigsten Verhältnissen, bis sich die Prinzessin Mariane ihrer annahm, nachdem sie 1820 völlig erblindet war. Noch 1828 schrieb Rahel: -.Sie ist von allen Frauen, die ich je gekannt habe, die geistvollste; ihr Geist hat wirklich wie Flügel, mit denen sie sich in jedem beliebigen Augenblick, unter allen Umständen, in alle Höhen schwingen kann; dies ist ein absolutes Glück, und sie fühlt sich dadurch so frei, daß sie nach dem erhabensten oder tiefsten Geistesblick öfters lacht, wo es gar nicht hinzugehören scheint: gleich¬ sam in dem Gedanken, daß es etwas Komisches hätte, nur in der eben er¬ blickten Sphäre verweilen oder gar bleiben zu wollen: flugs nimmt ihr Geist eine andere, öfters entgegengesetzte Richtung, und thut da wieder Wunder. Auf diese Weise gibt sie sich auch getrost, und ebenso frei, hergebrachten Mei¬ nungen, Vorurtheilen, beliebten, herrschenden Formen des Seins und Den¬ kens hin: sie kann doch lachen und vergnügt sein. Ein wenig lüftet sie die Flügel, und die leere Last sinkt zu ihren Füßen an den Boden." 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/349>, abgerufen am 22.12.2024.