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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Jena; der Verkehr mit Charlotte wurde nicht ganz abgebrochen. Noch den
24. Juli schreibt er an Lottchen, der er mit Körners ein Rendezvous in Jena
gibt: "Auch Frau von Kalb wird vermuthlich dann hier sein; sie wünscht sehr,
Sie und Ihre Schwester zu sehn." Den 1. August endlich faßte er sich, in
Lauchstädt, ein Herz, und verlobte sich mit der lange Geliebten; im tiefsten
Geheimniß, woran die Besorgniß, wie Charlotte die Sache aufnehmen werde,
ihren Antheil hatte.

Seit Juni 1788 stand Charlotte mit Goethe in lebhaftem Verkehr; in
noch engerem mit Herder, der im Frühling 1789 von seiner italienischen Reise
zurückkehrte. "In seine Brust ergoß sie jeden innern Kummer, der sie drückte
-- Herr v. Kalb hatte fast in Jahresfrist nicht geschrieben, seine Reisen im
nördlichen Frankreich zehrten das Vermögen auf." Herder charakterisirte sie
folgendermaßen: "Sie können noch zu keinem festen Entschluß gelangen, weil
die Einbildung Sie verhindert, die Wirklichkeit zu sehn, die ewig nur i"
schwankenden Bildern vor Ihnen steht. Mit Feuer und Geschick beginnen Sie.
aber Ihr Blick schaut nicht die Schranken noch die Untiefen der Lebensbahn.
So lassen Sie ein Project nach dem andern fallen; doch wenige haben den
Trost beim Verlust, den Sie besitzen, die Elasticität des Gemüths, die nichts
ganz vernichten kann; denn die Spenden der Phantasie bleiben uner¬
schöpflich." -- Im Juli 1789 sah sie Körners bei sich in Weimar; aus dieser
Zeit erzählt sie auch von einem viertägiger Besuch Schillers: "sie fand ihn
mehr als je in sinnender Betrachtung. Auf Momente schien es ihr, als wenn
er wieder eine Annäherung suchte. Ein sonniger Lebensstrahl glitt noch ein¬
mal durch ihr Leben . . Aber die Zeit verstrich, ohne daß die Herzen sich
ganz geöffnet, und die öde Alltäglichkeit trat wieder in ihre Rechte."

Die Zeit sich ihr zu erklären, rückte näher. Den 3. Nov. schreibt er an
Caroline: "Diesen Brief schrieb mir die Kalb. Sie ist doch ein seltsam wech¬
selndes Geschöpf, ohne Talent glücklich zu sein; wie könnte sie also geben,
was sie selbst nicht hat? Vor ihrer Neugier muß man sich hüten, vor ihrer
Inconsequenz, die sie oft verleitet, sogar sich selbst nicht zu schonen, und auch
vor ihrer Starkgeisterei. die sie leicht verführen könnte, es mit dem Besten
anderer nicht so genau zu nehmen." -- 6. Nov. -- "Die Kalb macht
mich doch etwas verlegen. Das Verhältniß, worin sie mit ihrem Mann
sich versetzen will (ich hab euch, denk ich. schon davon gesagt) hat mich
ihr in gewissem Betracht jetzt unentbehrlich gemacht, weil ich allein ganz
weiß, und sie nicht ohne Rath, ohne fremde Augen dabei zu Werke gehn
kann. Sie hat ihm darüber schon geschrieben und auch Antwort erhalten,
die nun ihre fernern Schritte bestimmen muß. Sie verlangte, und konnte
es auch mit allem Recht von mir verlangen, daß ich nach Weimar zu ihr
kommen und diese neue Lage der Dinge mit ihr berathschlagen solle


Jena; der Verkehr mit Charlotte wurde nicht ganz abgebrochen. Noch den
24. Juli schreibt er an Lottchen, der er mit Körners ein Rendezvous in Jena
gibt: „Auch Frau von Kalb wird vermuthlich dann hier sein; sie wünscht sehr,
Sie und Ihre Schwester zu sehn." Den 1. August endlich faßte er sich, in
Lauchstädt, ein Herz, und verlobte sich mit der lange Geliebten; im tiefsten
Geheimniß, woran die Besorgniß, wie Charlotte die Sache aufnehmen werde,
ihren Antheil hatte.

Seit Juni 1788 stand Charlotte mit Goethe in lebhaftem Verkehr; in
noch engerem mit Herder, der im Frühling 1789 von seiner italienischen Reise
zurückkehrte. „In seine Brust ergoß sie jeden innern Kummer, der sie drückte
— Herr v. Kalb hatte fast in Jahresfrist nicht geschrieben, seine Reisen im
nördlichen Frankreich zehrten das Vermögen auf." Herder charakterisirte sie
folgendermaßen: „Sie können noch zu keinem festen Entschluß gelangen, weil
die Einbildung Sie verhindert, die Wirklichkeit zu sehn, die ewig nur i"
schwankenden Bildern vor Ihnen steht. Mit Feuer und Geschick beginnen Sie.
aber Ihr Blick schaut nicht die Schranken noch die Untiefen der Lebensbahn.
So lassen Sie ein Project nach dem andern fallen; doch wenige haben den
Trost beim Verlust, den Sie besitzen, die Elasticität des Gemüths, die nichts
ganz vernichten kann; denn die Spenden der Phantasie bleiben uner¬
schöpflich." — Im Juli 1789 sah sie Körners bei sich in Weimar; aus dieser
Zeit erzählt sie auch von einem viertägiger Besuch Schillers: „sie fand ihn
mehr als je in sinnender Betrachtung. Auf Momente schien es ihr, als wenn
er wieder eine Annäherung suchte. Ein sonniger Lebensstrahl glitt noch ein¬
mal durch ihr Leben . . Aber die Zeit verstrich, ohne daß die Herzen sich
ganz geöffnet, und die öde Alltäglichkeit trat wieder in ihre Rechte."

Die Zeit sich ihr zu erklären, rückte näher. Den 3. Nov. schreibt er an
Caroline: „Diesen Brief schrieb mir die Kalb. Sie ist doch ein seltsam wech¬
selndes Geschöpf, ohne Talent glücklich zu sein; wie könnte sie also geben,
was sie selbst nicht hat? Vor ihrer Neugier muß man sich hüten, vor ihrer
Inconsequenz, die sie oft verleitet, sogar sich selbst nicht zu schonen, und auch
vor ihrer Starkgeisterei. die sie leicht verführen könnte, es mit dem Besten
anderer nicht so genau zu nehmen." — 6. Nov. — „Die Kalb macht
mich doch etwas verlegen. Das Verhältniß, worin sie mit ihrem Mann
sich versetzen will (ich hab euch, denk ich. schon davon gesagt) hat mich
ihr in gewissem Betracht jetzt unentbehrlich gemacht, weil ich allein ganz
weiß, und sie nicht ohne Rath, ohne fremde Augen dabei zu Werke gehn
kann. Sie hat ihm darüber schon geschrieben und auch Antwort erhalten,
die nun ihre fernern Schritte bestimmen muß. Sie verlangte, und konnte
es auch mit allem Recht von mir verlangen, daß ich nach Weimar zu ihr
kommen und diese neue Lage der Dinge mit ihr berathschlagen solle


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[0340] Jena; der Verkehr mit Charlotte wurde nicht ganz abgebrochen. Noch den 24. Juli schreibt er an Lottchen, der er mit Körners ein Rendezvous in Jena gibt: „Auch Frau von Kalb wird vermuthlich dann hier sein; sie wünscht sehr, Sie und Ihre Schwester zu sehn." Den 1. August endlich faßte er sich, in Lauchstädt, ein Herz, und verlobte sich mit der lange Geliebten; im tiefsten Geheimniß, woran die Besorgniß, wie Charlotte die Sache aufnehmen werde, ihren Antheil hatte. Seit Juni 1788 stand Charlotte mit Goethe in lebhaftem Verkehr; in noch engerem mit Herder, der im Frühling 1789 von seiner italienischen Reise zurückkehrte. „In seine Brust ergoß sie jeden innern Kummer, der sie drückte — Herr v. Kalb hatte fast in Jahresfrist nicht geschrieben, seine Reisen im nördlichen Frankreich zehrten das Vermögen auf." Herder charakterisirte sie folgendermaßen: „Sie können noch zu keinem festen Entschluß gelangen, weil die Einbildung Sie verhindert, die Wirklichkeit zu sehn, die ewig nur i" schwankenden Bildern vor Ihnen steht. Mit Feuer und Geschick beginnen Sie. aber Ihr Blick schaut nicht die Schranken noch die Untiefen der Lebensbahn. So lassen Sie ein Project nach dem andern fallen; doch wenige haben den Trost beim Verlust, den Sie besitzen, die Elasticität des Gemüths, die nichts ganz vernichten kann; denn die Spenden der Phantasie bleiben uner¬ schöpflich." — Im Juli 1789 sah sie Körners bei sich in Weimar; aus dieser Zeit erzählt sie auch von einem viertägiger Besuch Schillers: „sie fand ihn mehr als je in sinnender Betrachtung. Auf Momente schien es ihr, als wenn er wieder eine Annäherung suchte. Ein sonniger Lebensstrahl glitt noch ein¬ mal durch ihr Leben . . Aber die Zeit verstrich, ohne daß die Herzen sich ganz geöffnet, und die öde Alltäglichkeit trat wieder in ihre Rechte." Die Zeit sich ihr zu erklären, rückte näher. Den 3. Nov. schreibt er an Caroline: „Diesen Brief schrieb mir die Kalb. Sie ist doch ein seltsam wech¬ selndes Geschöpf, ohne Talent glücklich zu sein; wie könnte sie also geben, was sie selbst nicht hat? Vor ihrer Neugier muß man sich hüten, vor ihrer Inconsequenz, die sie oft verleitet, sogar sich selbst nicht zu schonen, und auch vor ihrer Starkgeisterei. die sie leicht verführen könnte, es mit dem Besten anderer nicht so genau zu nehmen." — 6. Nov. — „Die Kalb macht mich doch etwas verlegen. Das Verhältniß, worin sie mit ihrem Mann sich versetzen will (ich hab euch, denk ich. schon davon gesagt) hat mich ihr in gewissem Betracht jetzt unentbehrlich gemacht, weil ich allein ganz weiß, und sie nicht ohne Rath, ohne fremde Augen dabei zu Werke gehn kann. Sie hat ihm darüber schon geschrieben und auch Antwort erhalten, die nun ihre fernern Schritte bestimmen muß. Sie verlangte, und konnte es auch mit allem Recht von mir verlangen, daß ich nach Weimar zu ihr kommen und diese neue Lage der Dinge mit ihr berathschlagen solle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/340>, abgerufen am 22.12.2024.