Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

digsten Form, mit ihm konnte der Konig über alles Mögliche plaudern und
hin und her disputiren und beides war ihm Bedürfniß. Guizot theilt einige
königliche Handbillets mit. die wohlgeeignet waren, einen energischen und
rücksichtslosen Minister toll zu machen. Der König war durch seine wechselnden
Schicksale in seinen Ueberzeugungen unsicher gemacht, er hatte in seiner Ju¬
gend sowol den Glanz als die Schrecken der Revolution mehr als ein anderer
empfunden, in dem Pathos und der Logik der Revolution war er aufgewach¬
sen, und wenn er auch ein Grauen vor ihr empfand, so konnte er doch nicht
anders denken als sie; er mißtraute seinen liberalen Rathgebern, weil er
fürchtete, sie würden sich mit der Demokratie zu tief einlassen, er mißtraute
aber noch mehr den Conservativen, weil er besorgte, sie würden seine Po¬
pularität compromittiren, an der ihm damals alles gelegen war. Seinem
gemischten Ministerium gegenüber verhielt er sich so, daß er Laffitte auf das
vertraulichste, ja selbst aus das zärtlichste behandelte, die Conservativen da¬
gegen ernst, ja selbst steif: es war das durchaus keine Heuchelei, sondern ganz
natürlich, denn jene verlangten einen guten Bürger, diese einen König.

Guizot als der hoch^ahrendste von den Conservativen, erregte am meisten
die Mißgunst des Volkes; hauptsächlich tadelte man ihn, daß er nicht in der
Neubesetzung der Stellen eifriger zu Werke ging; und doch hat er alles Mög¬
liche darin geleistet, denn er hat von 80 Präfecten 76, von 277 Unterprü-
fccten 196 abgesetzt und so bis in die kleineren Stellen herunter. Aber das
ist vielleicht die widrigste Seite der Revolution: jeder untergeordnete Agent
will versorgt sein und die Canaille drängt sich am meisten vor; auch Guizot
begegnete es ein paar Mal, daß einer seiner neuen Prüfenden betrunken ins
Kollegium kam. oder von der Wache wegen Unfug verhaftet werden mußte.
Seine Grundsätze sprach er am 14. September in einem Schreiben an einen
seiner Präfecten aus: er solle nicht zögern, die unpopulären Maires abzusetzen,
weil diese die Regierung nur in Verlegenheit setzten, anstatt sie zu stärken; er
solle Männer suchen, die für sich denken und handeln, denn das erste Be¬
dürfniß des Landes sei, daß sich überall unabhängige Meinungen und Ein¬
flüsse bilden, die Centralisation der Geister sei schlimmer als die der Geschäfte.

Nach längerem Sträuben gab Guizot am 18. August zu, daß La san¬
dte das Generalcommando der gesammten Nationalgarde vorläufig gelassen
wurde. Damals wie vierzig Jahre früher hatte der General eine ungeheure
Macht in Händen, deren er sich nur nicht bediente, weil ihm die Popularität
höher stand als der wirkliche Cinsluß. In dieses gefährlichen Zeit, wo es
darauf ankam, den Kriegsschrei der französischen Jugend zu dämpfen, konnte
man die Stütze populärer Namen nicht entbehren. In der Aufzählung der
auswärtigen Mächte, mit denen Frankreich zu thun hatte, gibt Guizot unter
andern vom Kaiser Nikolaus eine vortreffliche Charakteristik. -- Für diese


digsten Form, mit ihm konnte der Konig über alles Mögliche plaudern und
hin und her disputiren und beides war ihm Bedürfniß. Guizot theilt einige
königliche Handbillets mit. die wohlgeeignet waren, einen energischen und
rücksichtslosen Minister toll zu machen. Der König war durch seine wechselnden
Schicksale in seinen Ueberzeugungen unsicher gemacht, er hatte in seiner Ju¬
gend sowol den Glanz als die Schrecken der Revolution mehr als ein anderer
empfunden, in dem Pathos und der Logik der Revolution war er aufgewach¬
sen, und wenn er auch ein Grauen vor ihr empfand, so konnte er doch nicht
anders denken als sie; er mißtraute seinen liberalen Rathgebern, weil er
fürchtete, sie würden sich mit der Demokratie zu tief einlassen, er mißtraute
aber noch mehr den Conservativen, weil er besorgte, sie würden seine Po¬
pularität compromittiren, an der ihm damals alles gelegen war. Seinem
gemischten Ministerium gegenüber verhielt er sich so, daß er Laffitte auf das
vertraulichste, ja selbst aus das zärtlichste behandelte, die Conservativen da¬
gegen ernst, ja selbst steif: es war das durchaus keine Heuchelei, sondern ganz
natürlich, denn jene verlangten einen guten Bürger, diese einen König.

Guizot als der hoch^ahrendste von den Conservativen, erregte am meisten
die Mißgunst des Volkes; hauptsächlich tadelte man ihn, daß er nicht in der
Neubesetzung der Stellen eifriger zu Werke ging; und doch hat er alles Mög¬
liche darin geleistet, denn er hat von 80 Präfecten 76, von 277 Unterprü-
fccten 196 abgesetzt und so bis in die kleineren Stellen herunter. Aber das
ist vielleicht die widrigste Seite der Revolution: jeder untergeordnete Agent
will versorgt sein und die Canaille drängt sich am meisten vor; auch Guizot
begegnete es ein paar Mal, daß einer seiner neuen Prüfenden betrunken ins
Kollegium kam. oder von der Wache wegen Unfug verhaftet werden mußte.
Seine Grundsätze sprach er am 14. September in einem Schreiben an einen
seiner Präfecten aus: er solle nicht zögern, die unpopulären Maires abzusetzen,
weil diese die Regierung nur in Verlegenheit setzten, anstatt sie zu stärken; er
solle Männer suchen, die für sich denken und handeln, denn das erste Be¬
dürfniß des Landes sei, daß sich überall unabhängige Meinungen und Ein¬
flüsse bilden, die Centralisation der Geister sei schlimmer als die der Geschäfte.

Nach längerem Sträuben gab Guizot am 18. August zu, daß La san¬
dte das Generalcommando der gesammten Nationalgarde vorläufig gelassen
wurde. Damals wie vierzig Jahre früher hatte der General eine ungeheure
Macht in Händen, deren er sich nur nicht bediente, weil ihm die Popularität
höher stand als der wirkliche Cinsluß. In dieses gefährlichen Zeit, wo es
darauf ankam, den Kriegsschrei der französischen Jugend zu dämpfen, konnte
man die Stütze populärer Namen nicht entbehren. In der Aufzählung der
auswärtigen Mächte, mit denen Frankreich zu thun hatte, gibt Guizot unter
andern vom Kaiser Nikolaus eine vortreffliche Charakteristik. — Für diese


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107080"/>
          <p xml:id="ID_77" prev="#ID_76"> digsten Form, mit ihm konnte der Konig über alles Mögliche plaudern und<lb/>
hin und her disputiren und beides war ihm Bedürfniß. Guizot theilt einige<lb/>
königliche Handbillets mit. die wohlgeeignet waren, einen energischen und<lb/>
rücksichtslosen Minister toll zu machen. Der König war durch seine wechselnden<lb/>
Schicksale in seinen Ueberzeugungen unsicher gemacht, er hatte in seiner Ju¬<lb/>
gend sowol den Glanz als die Schrecken der Revolution mehr als ein anderer<lb/>
empfunden, in dem Pathos und der Logik der Revolution war er aufgewach¬<lb/>
sen, und wenn er auch ein Grauen vor ihr empfand, so konnte er doch nicht<lb/>
anders denken als sie; er mißtraute seinen liberalen Rathgebern, weil er<lb/>
fürchtete, sie würden sich mit der Demokratie zu tief einlassen, er mißtraute<lb/>
aber noch mehr den Conservativen, weil er besorgte, sie würden seine Po¬<lb/>
pularität compromittiren, an der ihm damals alles gelegen war. Seinem<lb/>
gemischten Ministerium gegenüber verhielt er sich so, daß er Laffitte auf das<lb/>
vertraulichste, ja selbst aus das zärtlichste behandelte, die Conservativen da¬<lb/>
gegen ernst, ja selbst steif: es war das durchaus keine Heuchelei, sondern ganz<lb/>
natürlich, denn jene verlangten einen guten Bürger, diese einen König.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_78"> Guizot als der hoch^ahrendste von den Conservativen, erregte am meisten<lb/>
die Mißgunst des Volkes; hauptsächlich tadelte man ihn, daß er nicht in der<lb/>
Neubesetzung der Stellen eifriger zu Werke ging; und doch hat er alles Mög¬<lb/>
liche darin geleistet, denn er hat von 80 Präfecten 76, von 277 Unterprü-<lb/>
fccten 196 abgesetzt und so bis in die kleineren Stellen herunter. Aber das<lb/>
ist vielleicht die widrigste Seite der Revolution: jeder untergeordnete Agent<lb/>
will versorgt sein und die Canaille drängt sich am meisten vor; auch Guizot<lb/>
begegnete es ein paar Mal, daß einer seiner neuen Prüfenden betrunken ins<lb/>
Kollegium kam. oder von der Wache wegen Unfug verhaftet werden mußte.<lb/>
Seine Grundsätze sprach er am 14. September in einem Schreiben an einen<lb/>
seiner Präfecten aus: er solle nicht zögern, die unpopulären Maires abzusetzen,<lb/>
weil diese die Regierung nur in Verlegenheit setzten, anstatt sie zu stärken; er<lb/>
solle Männer suchen, die für sich denken und handeln, denn das erste Be¬<lb/>
dürfniß des Landes sei, daß sich überall unabhängige Meinungen und Ein¬<lb/>
flüsse bilden, die Centralisation der Geister sei schlimmer als die der Geschäfte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_79" next="#ID_80"> Nach längerem Sträuben gab Guizot am 18. August zu, daß La san¬<lb/>
dte das Generalcommando der gesammten Nationalgarde vorläufig gelassen<lb/>
wurde. Damals wie vierzig Jahre früher hatte der General eine ungeheure<lb/>
Macht in Händen, deren er sich nur nicht bediente, weil ihm die Popularität<lb/>
höher stand als der wirkliche Cinsluß. In dieses gefährlichen Zeit, wo es<lb/>
darauf ankam, den Kriegsschrei der französischen Jugend zu dämpfen, konnte<lb/>
man die Stütze populärer Namen nicht entbehren. In der Aufzählung der<lb/>
auswärtigen Mächte, mit denen Frankreich zu thun hatte, gibt Guizot unter<lb/>
andern vom Kaiser Nikolaus eine vortreffliche Charakteristik. &#x2014; Für diese</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] digsten Form, mit ihm konnte der Konig über alles Mögliche plaudern und hin und her disputiren und beides war ihm Bedürfniß. Guizot theilt einige königliche Handbillets mit. die wohlgeeignet waren, einen energischen und rücksichtslosen Minister toll zu machen. Der König war durch seine wechselnden Schicksale in seinen Ueberzeugungen unsicher gemacht, er hatte in seiner Ju¬ gend sowol den Glanz als die Schrecken der Revolution mehr als ein anderer empfunden, in dem Pathos und der Logik der Revolution war er aufgewach¬ sen, und wenn er auch ein Grauen vor ihr empfand, so konnte er doch nicht anders denken als sie; er mißtraute seinen liberalen Rathgebern, weil er fürchtete, sie würden sich mit der Demokratie zu tief einlassen, er mißtraute aber noch mehr den Conservativen, weil er besorgte, sie würden seine Po¬ pularität compromittiren, an der ihm damals alles gelegen war. Seinem gemischten Ministerium gegenüber verhielt er sich so, daß er Laffitte auf das vertraulichste, ja selbst aus das zärtlichste behandelte, die Conservativen da¬ gegen ernst, ja selbst steif: es war das durchaus keine Heuchelei, sondern ganz natürlich, denn jene verlangten einen guten Bürger, diese einen König. Guizot als der hoch^ahrendste von den Conservativen, erregte am meisten die Mißgunst des Volkes; hauptsächlich tadelte man ihn, daß er nicht in der Neubesetzung der Stellen eifriger zu Werke ging; und doch hat er alles Mög¬ liche darin geleistet, denn er hat von 80 Präfecten 76, von 277 Unterprü- fccten 196 abgesetzt und so bis in die kleineren Stellen herunter. Aber das ist vielleicht die widrigste Seite der Revolution: jeder untergeordnete Agent will versorgt sein und die Canaille drängt sich am meisten vor; auch Guizot begegnete es ein paar Mal, daß einer seiner neuen Prüfenden betrunken ins Kollegium kam. oder von der Wache wegen Unfug verhaftet werden mußte. Seine Grundsätze sprach er am 14. September in einem Schreiben an einen seiner Präfecten aus: er solle nicht zögern, die unpopulären Maires abzusetzen, weil diese die Regierung nur in Verlegenheit setzten, anstatt sie zu stärken; er solle Männer suchen, die für sich denken und handeln, denn das erste Be¬ dürfniß des Landes sei, daß sich überall unabhängige Meinungen und Ein¬ flüsse bilden, die Centralisation der Geister sei schlimmer als die der Geschäfte. Nach längerem Sträuben gab Guizot am 18. August zu, daß La san¬ dte das Generalcommando der gesammten Nationalgarde vorläufig gelassen wurde. Damals wie vierzig Jahre früher hatte der General eine ungeheure Macht in Händen, deren er sich nur nicht bediente, weil ihm die Popularität höher stand als der wirkliche Cinsluß. In dieses gefährlichen Zeit, wo es darauf ankam, den Kriegsschrei der französischen Jugend zu dämpfen, konnte man die Stütze populärer Namen nicht entbehren. In der Aufzählung der auswärtigen Mächte, mit denen Frankreich zu thun hatte, gibt Guizot unter andern vom Kaiser Nikolaus eine vortreffliche Charakteristik. — Für diese

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/33
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/33>, abgerufen am 22.12.2024.