Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

liebe politische Idee, die neben der gemüthlichen Stimmung das Motiv jener
Wahl hergab.

Die gemüthliche Stimmung hat allerdings ihre Rechte. Um den Fürsten
zu imponiren, brauchte man einen Ebenbürtigen; von allen bekannten Namen
hatte aber der des Erzherzog Johann den besten Klang. Schon als junger
Prinz hatte er das Mißtrauen seines Bruders, des Kaisers erregt; gegen Metter-
nich hatte er stillschweigende Opposition gemacht; als kühner Gemsenjäger und
wegen seiner Betheiligung an der tiroler Erhebung war er in den Alpen gefeiert;
er verkehrte viel mit Gelehrten, mit Bürgersleuten, mit dem Volk überhaupt;
er war in seinen Formen noch gemüthlicher als die übrigen östreichischen Prin¬
zen, die in dieser Beziehung schon durch ihren Dialekt vor den norddeutschen
Prinzen so sehr bevorzugt sind; er hatte die Tochter eines Postmeisters ge-
heirathet und man erzählte von ihm einen Trinkspruch: "Kein Oestreich, kein
Preußen, ein einiges Deutschland." Freilich war die Form dieses Trinkspruchs
nicht ganz correct, er hatte vielmehr gesagt: "ein Oestreich, ein Preußen, ein
einiges Deutschland!" -- Aber der Unterschied lag doch nur in einem Buch¬
staben. Setzen wir nun hinzu, daß diesem Ruf im Ganzen die Wirklichkeit
entsprach, daß sich mit den äußern Umgangsformen eine Liebenswürdigkeit des
Herzens und ein Edelmuth der Gesinnung paarte, der freilich namentlich in
der tiroler Angelegenheit durch die wirklichen Machthaber schwer geprüft war,
so wird sich die Wahl vom Standpunkt der Gemüthlichkeit vollkommen recht¬
fertigen.

Aber wie gesagt, es kam noch ein anderes wichtigeres Motiv in Betracht.
Die Einheit Deutschlands war damals das Schibolet der gesammten Nation;
wer nun nicht ein ganz unklarer Kopf war, oder wer nicht auf eine Republik
ausging (und das letztere war nur bei sehr wenigen der Fall) konnte sich diese
Einigung nicht anders vorstellen als in der Wiederherstellung des östreichisch-
deutschen Kaisertums. Das Provisorium sollte nur die definitive Gestaltung
anbahnen. Darum nahm man vorläufig einen Erzherzog, um dann bis auf
den "allergnädigsten Herrn" selbst zu gehn. Dies war die einfache Logik der
Thatsachen, die freilich von vielen wohlgesinnten Männern des Centrums in
der allgemeinen Weinseligkeit verkannt, von den Oestreichern aber sehr richtig
empfunden wurde. Oestreich, das diese Situation sehr für sich hätte ausbeuten
können, wurde damals äußerst ungeschickt regiert; den Oestreichern kann man
es aber nicht verargen, wenn sie später, als die Sachen eine andere Wendung
nahmen, in dem Mangel an vorschauender Logik einen Verrath zu erblicken
glaubten, wenn sie den von der Majorität gewählten neuen Kaiser, der be¬
kanntlich diese Würde nicht annahm, gradezu einen "Gegenkaiser" schalten.
Schon im October, als in der Paulskirche über das Verhältniß Oestreichs zu
Deutschland noch lebhast berathen wurde, hatte sich in Wien die Realität der


liebe politische Idee, die neben der gemüthlichen Stimmung das Motiv jener
Wahl hergab.

Die gemüthliche Stimmung hat allerdings ihre Rechte. Um den Fürsten
zu imponiren, brauchte man einen Ebenbürtigen; von allen bekannten Namen
hatte aber der des Erzherzog Johann den besten Klang. Schon als junger
Prinz hatte er das Mißtrauen seines Bruders, des Kaisers erregt; gegen Metter-
nich hatte er stillschweigende Opposition gemacht; als kühner Gemsenjäger und
wegen seiner Betheiligung an der tiroler Erhebung war er in den Alpen gefeiert;
er verkehrte viel mit Gelehrten, mit Bürgersleuten, mit dem Volk überhaupt;
er war in seinen Formen noch gemüthlicher als die übrigen östreichischen Prin¬
zen, die in dieser Beziehung schon durch ihren Dialekt vor den norddeutschen
Prinzen so sehr bevorzugt sind; er hatte die Tochter eines Postmeisters ge-
heirathet und man erzählte von ihm einen Trinkspruch: „Kein Oestreich, kein
Preußen, ein einiges Deutschland." Freilich war die Form dieses Trinkspruchs
nicht ganz correct, er hatte vielmehr gesagt: „ein Oestreich, ein Preußen, ein
einiges Deutschland!" — Aber der Unterschied lag doch nur in einem Buch¬
staben. Setzen wir nun hinzu, daß diesem Ruf im Ganzen die Wirklichkeit
entsprach, daß sich mit den äußern Umgangsformen eine Liebenswürdigkeit des
Herzens und ein Edelmuth der Gesinnung paarte, der freilich namentlich in
der tiroler Angelegenheit durch die wirklichen Machthaber schwer geprüft war,
so wird sich die Wahl vom Standpunkt der Gemüthlichkeit vollkommen recht¬
fertigen.

Aber wie gesagt, es kam noch ein anderes wichtigeres Motiv in Betracht.
Die Einheit Deutschlands war damals das Schibolet der gesammten Nation;
wer nun nicht ein ganz unklarer Kopf war, oder wer nicht auf eine Republik
ausging (und das letztere war nur bei sehr wenigen der Fall) konnte sich diese
Einigung nicht anders vorstellen als in der Wiederherstellung des östreichisch-
deutschen Kaisertums. Das Provisorium sollte nur die definitive Gestaltung
anbahnen. Darum nahm man vorläufig einen Erzherzog, um dann bis auf
den „allergnädigsten Herrn" selbst zu gehn. Dies war die einfache Logik der
Thatsachen, die freilich von vielen wohlgesinnten Männern des Centrums in
der allgemeinen Weinseligkeit verkannt, von den Oestreichern aber sehr richtig
empfunden wurde. Oestreich, das diese Situation sehr für sich hätte ausbeuten
können, wurde damals äußerst ungeschickt regiert; den Oestreichern kann man
es aber nicht verargen, wenn sie später, als die Sachen eine andere Wendung
nahmen, in dem Mangel an vorschauender Logik einen Verrath zu erblicken
glaubten, wenn sie den von der Majorität gewählten neuen Kaiser, der be¬
kanntlich diese Würde nicht annahm, gradezu einen „Gegenkaiser" schalten.
Schon im October, als in der Paulskirche über das Verhältniß Oestreichs zu
Deutschland noch lebhast berathen wurde, hatte sich in Wien die Realität der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107358"/>
          <p xml:id="ID_903" prev="#ID_902"> liebe politische Idee, die neben der gemüthlichen Stimmung das Motiv jener<lb/>
Wahl hergab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_904"> Die gemüthliche Stimmung hat allerdings ihre Rechte. Um den Fürsten<lb/>
zu imponiren, brauchte man einen Ebenbürtigen; von allen bekannten Namen<lb/>
hatte aber der des Erzherzog Johann den besten Klang. Schon als junger<lb/>
Prinz hatte er das Mißtrauen seines Bruders, des Kaisers erregt; gegen Metter-<lb/>
nich hatte er stillschweigende Opposition gemacht; als kühner Gemsenjäger und<lb/>
wegen seiner Betheiligung an der tiroler Erhebung war er in den Alpen gefeiert;<lb/>
er verkehrte viel mit Gelehrten, mit Bürgersleuten, mit dem Volk überhaupt;<lb/>
er war in seinen Formen noch gemüthlicher als die übrigen östreichischen Prin¬<lb/>
zen, die in dieser Beziehung schon durch ihren Dialekt vor den norddeutschen<lb/>
Prinzen so sehr bevorzugt sind; er hatte die Tochter eines Postmeisters ge-<lb/>
heirathet und man erzählte von ihm einen Trinkspruch: &#x201E;Kein Oestreich, kein<lb/>
Preußen, ein einiges Deutschland." Freilich war die Form dieses Trinkspruchs<lb/>
nicht ganz correct, er hatte vielmehr gesagt: &#x201E;ein Oestreich, ein Preußen, ein<lb/>
einiges Deutschland!" &#x2014; Aber der Unterschied lag doch nur in einem Buch¬<lb/>
staben. Setzen wir nun hinzu, daß diesem Ruf im Ganzen die Wirklichkeit<lb/>
entsprach, daß sich mit den äußern Umgangsformen eine Liebenswürdigkeit des<lb/>
Herzens und ein Edelmuth der Gesinnung paarte, der freilich namentlich in<lb/>
der tiroler Angelegenheit durch die wirklichen Machthaber schwer geprüft war,<lb/>
so wird sich die Wahl vom Standpunkt der Gemüthlichkeit vollkommen recht¬<lb/>
fertigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_905" next="#ID_906"> Aber wie gesagt, es kam noch ein anderes wichtigeres Motiv in Betracht.<lb/>
Die Einheit Deutschlands war damals das Schibolet der gesammten Nation;<lb/>
wer nun nicht ein ganz unklarer Kopf war, oder wer nicht auf eine Republik<lb/>
ausging (und das letztere war nur bei sehr wenigen der Fall) konnte sich diese<lb/>
Einigung nicht anders vorstellen als in der Wiederherstellung des östreichisch-<lb/>
deutschen Kaisertums. Das Provisorium sollte nur die definitive Gestaltung<lb/>
anbahnen. Darum nahm man vorläufig einen Erzherzog, um dann bis auf<lb/>
den &#x201E;allergnädigsten Herrn" selbst zu gehn. Dies war die einfache Logik der<lb/>
Thatsachen, die freilich von vielen wohlgesinnten Männern des Centrums in<lb/>
der allgemeinen Weinseligkeit verkannt, von den Oestreichern aber sehr richtig<lb/>
empfunden wurde. Oestreich, das diese Situation sehr für sich hätte ausbeuten<lb/>
können, wurde damals äußerst ungeschickt regiert; den Oestreichern kann man<lb/>
es aber nicht verargen, wenn sie später, als die Sachen eine andere Wendung<lb/>
nahmen, in dem Mangel an vorschauender Logik einen Verrath zu erblicken<lb/>
glaubten, wenn sie den von der Majorität gewählten neuen Kaiser, der be¬<lb/>
kanntlich diese Würde nicht annahm, gradezu einen &#x201E;Gegenkaiser" schalten.<lb/>
Schon im October, als in der Paulskirche über das Verhältniß Oestreichs zu<lb/>
Deutschland noch lebhast berathen wurde, hatte sich in Wien die Realität der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0311] liebe politische Idee, die neben der gemüthlichen Stimmung das Motiv jener Wahl hergab. Die gemüthliche Stimmung hat allerdings ihre Rechte. Um den Fürsten zu imponiren, brauchte man einen Ebenbürtigen; von allen bekannten Namen hatte aber der des Erzherzog Johann den besten Klang. Schon als junger Prinz hatte er das Mißtrauen seines Bruders, des Kaisers erregt; gegen Metter- nich hatte er stillschweigende Opposition gemacht; als kühner Gemsenjäger und wegen seiner Betheiligung an der tiroler Erhebung war er in den Alpen gefeiert; er verkehrte viel mit Gelehrten, mit Bürgersleuten, mit dem Volk überhaupt; er war in seinen Formen noch gemüthlicher als die übrigen östreichischen Prin¬ zen, die in dieser Beziehung schon durch ihren Dialekt vor den norddeutschen Prinzen so sehr bevorzugt sind; er hatte die Tochter eines Postmeisters ge- heirathet und man erzählte von ihm einen Trinkspruch: „Kein Oestreich, kein Preußen, ein einiges Deutschland." Freilich war die Form dieses Trinkspruchs nicht ganz correct, er hatte vielmehr gesagt: „ein Oestreich, ein Preußen, ein einiges Deutschland!" — Aber der Unterschied lag doch nur in einem Buch¬ staben. Setzen wir nun hinzu, daß diesem Ruf im Ganzen die Wirklichkeit entsprach, daß sich mit den äußern Umgangsformen eine Liebenswürdigkeit des Herzens und ein Edelmuth der Gesinnung paarte, der freilich namentlich in der tiroler Angelegenheit durch die wirklichen Machthaber schwer geprüft war, so wird sich die Wahl vom Standpunkt der Gemüthlichkeit vollkommen recht¬ fertigen. Aber wie gesagt, es kam noch ein anderes wichtigeres Motiv in Betracht. Die Einheit Deutschlands war damals das Schibolet der gesammten Nation; wer nun nicht ein ganz unklarer Kopf war, oder wer nicht auf eine Republik ausging (und das letztere war nur bei sehr wenigen der Fall) konnte sich diese Einigung nicht anders vorstellen als in der Wiederherstellung des östreichisch- deutschen Kaisertums. Das Provisorium sollte nur die definitive Gestaltung anbahnen. Darum nahm man vorläufig einen Erzherzog, um dann bis auf den „allergnädigsten Herrn" selbst zu gehn. Dies war die einfache Logik der Thatsachen, die freilich von vielen wohlgesinnten Männern des Centrums in der allgemeinen Weinseligkeit verkannt, von den Oestreichern aber sehr richtig empfunden wurde. Oestreich, das diese Situation sehr für sich hätte ausbeuten können, wurde damals äußerst ungeschickt regiert; den Oestreichern kann man es aber nicht verargen, wenn sie später, als die Sachen eine andere Wendung nahmen, in dem Mangel an vorschauender Logik einen Verrath zu erblicken glaubten, wenn sie den von der Majorität gewählten neuen Kaiser, der be¬ kanntlich diese Würde nicht annahm, gradezu einen „Gegenkaiser" schalten. Schon im October, als in der Paulskirche über das Verhältniß Oestreichs zu Deutschland noch lebhast berathen wurde, hatte sich in Wien die Realität der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/311
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/311>, abgerufen am 22.12.2024.